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02.08.2020 | 13:00 | Arbeitsschutzkontrollgesetz 

Hubertus Heil räumt mit Missständen in der Fleischindustrie auf

Berlin - Das Bundeskabinett hat in der vergangenen Woche schärfere Regeln für die Fleischindustrie auf den Weg gebracht. Der Entwurf zu einem Arbeitsschutzkontrollgesetz sieht vor, dass Betriebe ab 50 Mitarbeitern vom 1. Januar 2021 an bei der Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung keine Werkvertragsarbeiter und drei Monate später auch keine Leiharbeiter mehr beschäftigen dürfen.

Arbeitsschutzkontrollgesetz
Ab 2021 dürfen in zentralen Bereichen keine Werkvertragsarbeiter mehr beschäftigt werden - Elektronische Zeiterfassung und Mindestanforderungen an Unterkünfte geplant (c) proplanta
Zur Pflicht wird außerdem die elektronische Erfassung der Arbeitszeiten.Daneben sollen bestimmte Mindestanforderungen an die Unterkünfte der Schlachtband-Arbeiter festgeschriebenwerden.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte Ende Mai angekündigt, mit den Missständen in der Fleischindustrie „aufzuräumen“ zuwollen und unwürdige Beschäftigungsverhältnisse zu beenden. Das bisherige System der „Sub-Sub-Sub-Unternehmen“ sei von den Behörden nicht mehr nachzuvollziehen, hatte der SPD-Politiker seinerzeit argumentiert.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner zeigte sich nach der Kabinettssitzung zufrieden: „Mit dem Beschluss haben wir der unhaltbaren Praxis des Subunternehmertums in der Fleischwirtschaft einen Riegel vorgeschoben: klare Verantwortlichkeit statt Kaskaden von Schattenunternehmen“. Gleichzeitig habe die Bundesregierung im Sinne kleinerer und mittlerer Unternehmen Korrekturen am ursprünglichen Entwurf erreicht. Für solche Kleinbetriebe werde es nun Ausnahmen geben, damit es nicht zu einer noch größeren Zentralisierung komme.

Massiver Eingriff in Unternehmensrechte

Dem Verband der Fleischwirtschaft (VDF) gehen die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zu weit. „Wir wehren uns nicht gegen das Verbot der Werkverträge und haben kein Problem mit den meisten im Gesetz vorgesehenen arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben und auch nicht mit der elektronischen Arbeitszeiterfassung“, erklärte VDF-Hauptgeschäftsführerin Dr. Heike Harstick gegenüber AGRA-EUROPE.

Die zentrale Vorschrift zum Verbot von Werkverträgen sei allerdings sehr uneindeutig gefasst und greife massiv in die gesellschaftsrechtlichen Strukturen der Unternehmen ein. Kooperationen und Gemeinschaftsunternehmen würden damit faktisch verboten, und je nach Auslegung wären auch Lohnschlachtungen oder Markenfleischprogramme, bei denen mehrere Unternehmen in der Kette zusammenarbeiteten, in der heutigen Form nicht mehr möglich. „Das alles hat mit Arbeitsschutz absolut nichts zu tun“, kritisierte Harstick.

Großkonzerne im Vorteil

Das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung für die Fleischwirtschaft kann aus Sicht des VDF ebenso wenig mit Arbeitsschutz begründet werden. Leiharbeiter seien den Festangestellten gleichgestellt und würden der vollen Verantwortung des entleihenden Unternehmens unterstehen, argumentierte Harstick.

Kein Betrieb könne vollständig auf eine zeitweise Ergänzung oder den vorübergehenden Ersatz von Stammpersonal verzichten. Sei eine Arbeitnehmerüberlassung in Fleischbetrieben nicht mehr zulässig, könnten saisonale Spitzen oder Sonderaufträge nicht mehr bedient werden. „Insbesondere für mittlere und kleine Betriebe kann der zeitgleiche Ausfall von mehreren Mitarbeitern dann sehr bedrohlich werden“, machte die VDF-Hauptgeschäftsführerin deutlich. Betriebe, die ohnehin keine Vollzeitstellen anbieten könnten, weil sie nicht an jedem Wochentag schlachteten oder zerlegten, stünden vor dem Aus, sobald das Unternehmen insgesamt mehr als 49 Beschäftigte habe.

Sollte das Gesetz so wie jetzt vorgesehen in Kraft treten, biete es zudem keine Rechtssicherheit für Unternehmen, so Harstick. Zum einen, weil die darin vorgesehenen Inhaber- und Organisationsdefinitionen unklar seien und zum anderen, weil von Rechtsexperten angezweifelt werde, dass ein solches Gesetz im Einklang mit der Verfassung stehe. Beim VDF geht man davon aus, dass große Konzerne mehr Möglichkeiten haben werden, mit den vorgesehenen Regelungen klar zu kommen und Rechtsunsicherheiten zu überstehen. „Im Ergebnis geht das Gesetz somit in Richtung Zerschlagung der kleinen und mittelständischen Strukturen der Fleischwirtschaft“, fürchtet Harstick.

Wirtschaftsfeindliche Ideologie

Beim Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) hat das geplante Arbeitsschutzkontrollgesetz scharfen Protest ausgelöst. „Wir sind erschüttert, mit welcher wirtschaftsfeindlichen Ideologie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit seinem Entwurf die in unserem Rechtsstaat geltenden ökonomischen und juristischen Grundlagen komplett über Bord wirft“, sagte ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke. Das über die Werkverträge hinausgehende Verbot der Arbeitnehmerüberlassung und der Unternehmenskooperation sei unverhältnismäßig, mit heißer Nadel gestrickt und gefährde Arbeitsplätze, monierte Ripke. Die Bundesregierung nehme in nie dagewesener Art und Weise einer einzelnen Branche rechtsstaatlich zugesicherte, marktwirtschaftliche Grundprinzipien weg.

Politik schafft Fakten

Nach Einschätzung der SPD-Tierschutzbeauftragten Susanne Mittag hat ihr Parteikollege Heil schnell und effektiv die Chance genutzt, die sich durch den öffentlichen Druck auf die Union geboten hat, um langjährige SPD-Forderungen durchzusetzen und gegen den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie vorzugehen. Die Menschen könnten nun sehen, wie einfach Verbesserungen angegangen werden könnten, wenn der Koalitionspartner nicht mehr auf der Bremse stehe, erklärte die SPD Bundestagsabgeordnete.

Lob für den Gesetzentwurf kam auch vom Fraktionschef der CDU im niedersächsischen Landtag, Dirk Toepffer. Die Bundesregierung halte Wort und lasse den Ankündigungen Taten folgen. Bis zum Jahreswechsel hätten die großen Schlachtbetriebe nun genug Zeit, die Verträge umzustellen. Die Fleischindustrie habe das eigentlich sinnvolle Instrument der Werkverträge mithilfe von Sub-Sub-Unternehmen über Jahre hinweg missbräuchlich perfektioniert, kritisierte Toepffer. Es brauche sich also niemand zu wundern, wenn nun eine augenscheinliche Sonderregelung für die Fleischbranche forciert werde.

„Wir haben es satt, von den Großen ein ums andere Mal an der Nase herumgeführt zu werden. Die Politik schafft jetzt Fakten“, so der CDU-Politiker aus der Veredlungshochburg Niedersachsen.

Armutszeugnis

Für den agrarpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Friedrich Ostendorff, ist es ein „Armutszeugnis“, dass erst die Corona-Pandemie dazu führe, dass mit den unhaltbaren Zuständen in der Fleischindustrie aufgeräumt werde. Bisher habe die Bundesregierung in der Fleischbranche ohne Erfolg auf Selbstverpflichtungen gesetzt. Jetzt seien klare gesetzliche Regelungen notwendig, denn ohne Druck verändere sich die Fleischbranche in keiner Weise. Das undurchschaubare Geflecht von Subunternehmerketten in der Fleischindustrie diene einzig dem Zweck, Löhne und Kosten zu drücken. Die Fleischbarone hätten dabei viele Jahre lang ihre Verantwortung für die Beschäftigten an Subunternehmen ausgelagert. „Mit dieser organisierten Verantwortungslosigkeit muss endlich Schluss sein“, forderte Ostendorff.
AgE
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