Anlass ist der Verzicht des Agrarministeriums auf Rechtsmittel gegen Urteile, die Schutzauflagen für die Zulassung mehrerer Pestizide einkassiert hatten. Das Umweltministerium hatte dagegen gemahnt, Berufung einzulegen, und warnte vor gravierenden Auswirkungen auf die Insektenwelt.
Die Grünen warfen
Agrarministerin Julia Klöckner (
CDU) vor, «fatale erstinstanzliche Urteile» gegen Umweltauflagen für Pestizide ohne Überprüfung zu schlucken.
Das
Agrarministerium erläuterte am Mittwoch, es entspreche auch seiner Rechtsauffassung, dass es für eine Verpflichtung der Landwirte zur faktischen Aufgabe von mindestens zehn Prozent ihrer Ackerflächen keine gesetzliche Grundlage gebe. Klöckner habe daher entschieden, keinen Widerspruch einzulegen, sagte eine Sprecherin. Zuerst berichtete die «Süddeutschen Zeitung» (Mittwoch) darüber.
Konkret geht es um Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweig von Anfang September. Pestizid-Hersteller hatten gegen das Bundesamt für
Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit (BVL) geklagt, das für Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln zuständig ist. Es untersteht dem Agrarressort.
Das Gericht verpflichtete das BVL, die Genehmigungen ohne Auflagen zu erteilen, die das
Umweltbundesamt erwirkt hatte - etwa zum Ausweisen von Schutzzonen. Dagegen hätte das
BVL einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen können.
Die Richter argumentierten unter anderem, die «Berücksichtigung unannehmbarer Auswirkungen auf die biologische Vielfalt» sei nicht möglich. Es mangele an wissenschaftlichen Methoden zur Bewertung der Effekte, die von der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde (Efsa) anerkannt seien.
Ein Sprecher des Umweltministeriums sagte, es könne nicht im Sinne des Europarechts sein, wenn es den Auftrag zur Achtung der biologischen Vielfalt gebe, dies aber wegen fehlender Detailregeln nicht umgesetzt werden könne. So bedeutende Fragen sollten nicht durch erstinstanzliche Urteile geklärt werden.
Das Agrarressort betonte, in den Urteilen sei es allein darum gegangen, ob mittelbare Auswirkungen bereits jetzt berücksichtigt werden könnten - bei unmittelbaren Auswirkungen auf die Umwelt würden selbstverständlich sämtliche Risiken «ausgiebig geprüft und bewertet», heißt es in einem Schreiben von Staatssekretär Hermann Onko Aeikens an das Umweltministerium, das der dpa vorliegt.
Grünen-Agrarexperte
Harald Ebner warnte, mit einem Verzicht auf die Berufung mache Klöckner die gesamte Arten- und Insektenschutzpolitik der Bundesregierung vollkommen unglaubwürdig. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) könne nur tatenlos zusehen.
Unabhängig davon hatte das Bundeskabinett ein Paket mit Regelungen beschlossen, die mehr
Umweltschutz in der Landwirtschaft durchsetzen sollen. Dazu gehört ein Verbot des umstrittenen Unkrautgifts
Glyphosat Ende 2023. Der Einsatz von Schädlingsgiften soll auch insgesamt stark eingeschränkt werden. Das sieht ein «Aktionsprogramm» vor, das aber noch kein Gesetz ist, dies soll noch folgen. Gegen die Pläne gibt es massive Proteste von Landwirten.
Wie eine neue Studie unter Leitung von Forschern der Technischen Universität München belegt, nimmt der Insektenschwund zu. Sie hatten in drei Regionen des Landes Insekten und andere Gliederfüßer wie Spinnentiere oder Tausendfüßer in Wäldern und Graslandschaften gezählt. Zumindest in letzteren hänge der Tierschwund vermutlich mit der Landwirtschaft zusammen, schreiben sie im Journal «Nature».