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19.11.2017 | 13:00 | Agrarwende 
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Jamaika-Koalition: Was sich in der Landwirtschaftspolitik ändert

Berlin - Eine mögliche Jamaika-Koalition wird in der Landwirtschaftspolitik einige neue Akzente setzen.

Landwirtschaftspolitik
(c) proplanta
Einen grundlegenden Richtungswechsel dürfte es jedoch nicht geben. Das ergibt sich zumindest aus dem Stand der Sondierungsgespräche am vergangenen Freitag. Zuvor hatten die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen noch einmal deutliche Fortschritte erzielt, ohne jedoch bereits völliges Einvernehmen zu erreichen. Klärung sollte eine abschließende Landwirtschaftsrunde am Wochenende bringen.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hatte bereits zur Wochenmitte die Erwartung geäußert, dass eine Jamaika-Koalition nicht an unterschiedlichen Auffassungen zur Landwirtschaft scheitern werde. Der CSU-Politiker zeigte sich im Interview mit AGRA-EUROPE „positiv überrascht“, dass einige bis dahin strittige Punkte hätten abgeräumt werden können. Dazu zählt insbesondere die geplante Weiterentwicklung eines freiwilligen staatlichen Tierwohllabels zu einer verbindlichen, „europarechtskonformen“ Haltungskennzeichnung für tierische Produkte. Dabei will man „auf den Erhalt kleiner Strukturen und die ökonomischen Konsequenzen für die Betriebe“ achten. Einig geworden war man sich auch in dem Vorhaben, den Einsatz chemischer Wirkstoffe in der Landwirtschaft „der Menge nach“ zu verringern. Dazu soll es ein Reduktionsprogramm geben

Mit dem Thema Glyphosat will man sich erst nach einer Entscheidung der EU-Kommission über die weitere Zulassung beschäftigen. Offen geblieben war auch die Position zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und deren Weiterentwicklung nach 2020. Kompromisse schienen allerdings auch in diesen Punkten erreichbar.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) reagierte zurückhaltend auf die vorgelegten Sondierungsergebnisse. Wichtige und kritische Fragen seien unbeantwortet geblieben, beklagte DBV-Präsident Joachim Rukwied. Grüne wollen Mittelumschichtung Die Jamaika-Sondierer wollen einen „gesellschaftlichen Konsens“ für die Nutztierhaltung herstellen, „den Tierschutz voranbringen“ und den Tierhaltern „einen verlässlichen, planungssicheren und wirtschaftlichen Weg“ ermöglichen.

Lücken bei Haltungsnormen im Tierschutzrecht will man gezielt schließen und das Töten von Eintagsküken endgültig beenden. Der Kompetenzkreis Tierwohl soll zu einem Runden Tisch Tierwohl ausgebaut und die Nutztierstrategie zu einem Tierschutzplan fortgeschrieben werden. Finanziert werden soll die Weiterentwicklung der Tierhaltung ebenso wie andere Aufgaben über eine bessere Ausstattung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) sowie „Bundesprogramme“.

In Brüssel will man sich dafür einsetzen, dass die Agrarmittel in der neuen Förderperiode auf dem derzeitigen Niveau bleiben. Über die künftige Gestaltung der GAP gingen die Auffassungen indes noch auseinander. Während CDU und CSU die Direktzahlungen zwar zielgenauer ausgestalten und aufgrund der höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit größerer Betriebe degressiv gestalten wollen, streben die Grünen eine stärkere Ausrichtung der GAP auf Umwelt-, Klima-, Naturschutz sowie Tierwohl an. Sie treten zudem dafür ein, noch in dieser Förderperiode von der Option zur Wiedereinführung gekoppelter Zahlungen Gebrauch zu machen und zusätzliche Mittel von der Ersten in die Zweite Säule umzuschichten. Union und FDP lehnen dies ab.

Wichtiges Signal

Zufrieden über die erreichte Verständigung im Bereich der Tierhaltung äußerte sich der agrarpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff. Die vorgesehene Weiterentwicklung eines staatlichen Tierwohllabels zu einer verbindlichen Haltungskennzeichnung sei „ein großer Erfolg“ für seine Partei, sagte der Grünen-Politiker gegenüber AGRAEUROPE. Ostendorff bekräftigte den hohen Stellenwert, den insbesondere die Tierhaltung in seiner Partei habe. Ohne konkrete Maßnahmen für einen Wandel werde Jamaika kaum Akzeptanz in den Reihen der Grünen finden; mit der Haltungskennzeichnung werde daher ein wichtiges Signal gesetzt. „Damit können wir arbeiten“, so der langjährige Parlamentarier.

Enttäuscht von den vorgelegten Ergebnissen im Bereich Landwirtschaft zeigte sich hingegen der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Spiering . Seiner Auffassung nachgeben die möglichen künftigen Koalitionäre keine Antworten auf die drängendsten Fragen der Land- und Ernährungswirtschaft sowie des ländlichen Raums. Lösungen zur Neuausrichtung der GAP, zu den Zukunftsperspektiven der ländlichen Räume und einer Stärkung der Landwirte gegenüber den Discountern bleibe man ebenso schuldig wie Aussagen zu den Bereichen Regionalvermarktung, Düngung, Boden- und Wasserschutz sowie vielem mehr.

Klassischer agrarpolitischer Fehlstart

Ähnlich äußerte sich die Agrarsprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Dr. Kirsten Tackmann. „Existenzielle Probleme in vielen landwirtschaftlichen Betrieben sind offensichtlich nicht einmal Gegenstand der Sondierungen“, kritisierte die Brandenburgerin. Als Beispiel nannte sie Änderungen des Bodenrechts gegen explodierende Bodenkauf- und Pachtpreise und landwirtschaftsfremde Investoren sowie Maßnahmen gegen die „Marktübermacht von Saatgut-, Schlachthof-, Molkerei- und Lebensmitteleinzelhandelskonzernen“, gegen die kostendeckende Erzeugerpreise nicht durchsetzbar seien.

„Mit dieser Ignoranz verspielen die Jamaika-Sondierenden die Zukunft der ortsansässigen Landwirtschaft“, warnte Tackmann und sprach von einem „klassischen agrarpolitischen Fehlstart“. „Geradewegs absurd“ ist für die Linken-Politikerin die Aussage im Sondierungspapier zur Entscheidung über eine Wiederzulassung von Glyphosat. „Dass sich eine zukünftige Regierungskoalition in dieser Sache klar zur Sicherung des Vorsorgeprinzips positioniert, ist nicht nur selbstverständlich, sondern zwingend notwendig“, so Tackmann. Nach ihrer Auffassung geben die möglichen künftigen Koalitionsparteien damit das Vorsorgeprinzip fahrlässig auf. Mit dem Hinweis auf die Entscheidung durch die EU-Kommission drücke man sich vor der Verantwortung.

Gefahr von Strukturbrüchen

DBV-Präsident Rukwied teilte das Bekenntnis zu einer flächendeckenden und wirtschaftlich nachhaltigen Landwirtschaft und zur Arbeit der Bauernfamilien. Im Widerspruch dazu stünden aber die diskutierten finanziellen Umverteilungen und Größenbegrenzungen innerhalb der EU-Agrarpolitik. Hier bestehe die große Gefahr, „dass entgegen der politischen Absichtsbekundung Strukturbrüche ausgelöst werden“, betonte Rukwied.

Unbehagen bereitet dem Bauernpräsidenten auch der geplante Umbau der Tierhaltung. Der im Grundsatz richtige Weg einer Förderung von mehr Tierwohl dürfe nicht durch die Ausgestaltung von Auflagen oder Kennzeichnungsregelungen konterkariert werden.

Eine besondere Herausforderung sieht der DBV-Präsident beim Thema Pflanzenschutz: „Hier dürfen wir den Weg der fachlichen und wissensbasierten Bewertung von Wirkstoffen und Anwendungen nicht verlassen“, stellte er klar. Bei der notwendigen Konkretisierung im Rahmen der anschließenden Koalitionsverhandlungen müssten diese Punkte berücksichtigt werden.

Haltungskennzeichnung „Ding der Unmöglichkeit“

Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Walter Heidl , übte scharfe Kritik an der vorgesehenen Einführung einer verbindlichen Haltungskennzeichnung für tierische Erzeugnisse sowie der angestrebten mengenmäßigen Reduzierung des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Heidl verwies auf die schwierige Umsetzung einer Haltungskennzeichnung.

Während sie bei Eiern vergleichsweise einfach bewerkstelligt werden könne, sei dies bei Milch oder Fleisch hingegen „ein Ding der Unmöglichkeit“, da jeder Milliliter und jedes Einzelteil einzeln erfasst und mit einer Kennzeichnung versehen werden müsste, so der Verbandspräsident. Aufgrund des enormen Aufwandes lasse sich dies vielleicht „in fabrikähnlichen Strukturen“ umsetzen, nicht jedoch bei den rund 100.000 Bauernhöfen in Bayern. „Wenn diese Kennzeichnung Pflicht wird, werden die Lebensmittelkonzerne ihre Rohstoffe nicht mehr vom Familienbetrieb, sondern aus der Fabrikhalle beziehen“, befürchtet Heidl.

Für problematisch hält der BBV-Präsident auch das pauschal ausgegebene Ziel, die Einsatzmenge von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Die Bauern setzten Pflanzenschutzmittel aus guten Gründen ein, wobei es zuallererst um Biosicherheit und Verbraucherschutz gehe, betonte Heidl. Ein so wichtiges Thema dürfe nicht zur „politischen Verhandlungsmasse“ verkommen. Soviel Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein seien die Politiker den Verbrauchern und den Landwirten schuldig.

BÖLW befürchtet Stillstand

Bereits zu Beginn der vergangenen Woche hatten der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und Umweltverbände von den Sondierern weitergehende Regelungen für die Landwirtschaft gefordert. „Die Verhandlungsführer müssen nachlegen, wenn sie der Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie der Zivilgesellschaft ein politisches Konzept anbieten wollen, das sich nicht in Allgemeinplätzen verliert, sondern konkrete Wirkung zur Lösung der vielfältigen Probleme des Sektors entfaltet“, mahnte der Vorsitzende des Bio-Spitzenverbandes, Dr. Felix Prinz zu Löwenstein .

Ein drohender „Stillstand in der Landwirtschaftspolitik“ würde seiner Auffassung nach weder dem Wunsch ihrer Wähler nach mehr Tier- und Klimaschutz gerecht noch der Notwendigkeit dazu. Bei der GAP-Reform komme es darauf an, ohne harte Brüche den Übergang dahingehend zu schaffen, „dass die Bauern für Umwelt- oder Klimaschutz entlohnt werden“.

BUND fordert Agrarwende

Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Prof. Hubert Weiger, bekräftigte seine Erwartung an eine „Agrarwende“. Gefordert seien „zukunftsweisende Entscheidungen für Umwelt, Klima und bäuerlich-ökologische Landwirtschaft“. Die neue Bundesregierung müsse einen Umbauplan für die Tierhaltung vorlegen, der mit einem verbindlichen Finanzierungsplan, einem ambitionierten Zeitplan und gesetzlichen Rahmenregelungen unterlegt sei. Die erforderlichen Mittel könnten nur aus mehreren Töpfen stammen.

Unter anderem bedürfe es einer Ausrichtung der EU-Agrarfördermittel auf die Honorierung gesellschaftlich gewünschter Leistungen. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) warf CDU, CSU und FDP vor, strikt am „System der milliardenschweren und überwiegend umweltschädlichen Agrarsubventionen“ festhalten zu wollen. NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller warnte vor einem „Fiasko für Umwelt und Steuerzahler“. Ein Festschreiben der Direktzahlungen über 2020 hinaus wäre seiner Auffassung nach „der Sargnagel für die Artenvielfalt, aber auch für die ländlichen Räume“.

AgE
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Kommentare 
cource schrieb am 19.11.2017 17:48 Uhrzustimmen(65) widersprechen(12)
zum tierschutz gehört aber auch, dass man die wehrlosen schafe im gatter vor den wölfen schützt---die gemsen oder steinböcke in der freien wildniss können wenigsten versuchen zu fliehen aber die schafe im gatter sind dem wolf brutal ausgeliefert, das ist auch tierquälerei
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