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03.01.2021 | 11:08 | Lebensmittelpreise 

Kann EU-Agrarreform das Lebensmittel-Preisdumping beenden?

Hannover/Brüssel - Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hält die jüngsten Proteste von Bauern gegen Lebensmittelketten für gerechtfertigt.

Dumpingpreise für Lebensmittel
Fleisch, Milch, Butter: Eine Preiskrise nach der anderen bringt vor allem kleinere Bauernhöfe in Bedrängnis. Der Handel müsse mehr Verantwortung zeigen, fordert Niedersachsens Regierungschef. Bei der Honorierung von Umweltleistungen seien die EU-Reformen wichtig. (c) proplanta
Er fordert den Bund auf, bei verbindlichen Regeln für Qualitätsstandards in der Landwirtschaft nachzulegen. «Der Kampf der Landwirte für faire Preise ist ausdrücklich berechtigt», sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. «Auch für die Aktionen vor Supermärkten habe ich Verständnis. Ich bedauere sehr, dass das Management der großen Einzelhandelsketten vorher nicht genügend Einsicht gezeigt hat.»

Weil machte die Handelskonzerne für einen anhaltenden Billigkurs zulasten vieler Agrarbetriebe verantwortlich. «Da hat sich der Lebensmittel-Einzelhandel nicht mit Ruhm bekleckert, der Preiskampf ist bedenkenlos durchgetragen worden», kritisierte er. Das Bewusstsein, dass mehr Qualität auch mehr koste, müsse sich auch bei den Verbrauchern noch mehr verbreiten. Doch die Einkaufsmacht der großen Ketten spiele gleichermaßen eine zentrale Rolle.

«Wir müssen zu einer Politik kommen, die unterstreicht und durchsetzt: Wenn wir mehr Qualität bei Lebensmitteln erwarten, müssen wir auch mehr Geld dafür bezahlen», sagte Weil. «Meines Erachtens sind dafür zusätzliche Regeln notwendig. Im Kern geht es darum: Wer schützt Landwirte vor Dumping-Angeboten, wenn sie sich große Mühe geben bei der Lebensmittelproduktion

Aus diesem Grund sei er für ein verbindliches, staatliches Tierwohl-Label. Weil äußerte hier scharfe Kritik in Richtung von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU): «Die Bundesregierung redet sich da mit Hinweisen auf die EU aus der Verantwortung raus - aber ich habe nicht wahrgenommen, dass sie irgendwelche größeren Aktivitäten in Richtung Brüssel oder anderer Mitgliedsländer entwickelt hätte.»

Klöckner teilte am Sonntag mit, sie begrüße, dass sich jetzt auch die SPD in Teilen für die Landwirtschaft interessiere. Sie forderte Weil auf, dafür zu sorgen, dass die SPD im Bundestag ihre Blockade gegen das Baugesetzbuch und das Tierwohlkennzeichen aufgebe, welche den Bauern den Umbau zu Tierwohlställen und die bessere Kennzeichnung von tierwohlgerechten Produkten ermögliche. Sie erwarte auch, dass ihr Gesetzentwurf gegen unlautere Handelspraktiken im Parlament von der SPD nicht auf die lange Bank geschoben wird.

Auch Niedersachsens neuer Bauernpräsident Holger Hennies unterstützt den Protest der Landwirte gegen die Preispolitik des Einzelhandels. «Die Aktionen zeigen, dass zum einem die Märkte aus dem Ruder gelaufen sind und zum anderen die Landwirte dem ständig steigenden Regelungsdruck nicht mehr standhalten können», sagte Hennies. Er forderte den Einzelhandel dazu auf, die aus Sicht der Bauern unfairen Handelspraktiken zu beenden.

Es müssten Verhandlungen auf Augenhöhe über die Gestaltung der Lebensmittelpreise möglich sein. «Wir fordern ein eindeutiges Bekenntnis zu Produkten, die nach deutschem Standard produziert wurden - das gilt auch für verarbeitete Produkte», sagte Hennies. Außerdem müsse das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Politik und Lebensmittel-Einzelhandel aufhören.

Erst vor wenigen Tagen hatten Landwirte mit Hunderten Traktoren längere Zeit Aldi-Lager in Niedersachsen blockiert. Hintergrund der Proteste war eine angekündigte Senkung der Butterpreise. Aldi kündigte weitere Gespräche an, einen Tag vor Silvester beendeten die Landwirte ihre Blockaden dann.

Weil als Regierungschef des Agrarlandes Niedersachsen sieht die neue Landwirtschaftspolitik der Europäischen Union mit einem größeren Finanzierungsanteil für Öko-Projekte grundsätzlich positiv. «Die neuen Umweltvorgaben sind ein weiterer Anreiz für den Umbau der Landwirtschaft», sagte Weil. «Wir sind bei uns mit dem «Niedersächsischen Weg» auch schon einen großen Schritt vorangekommen: Naturschutz, Landwirtschaft und Politik haben gemeinsame Positionen erarbeitet, obwohl wir von völlig unterschiedlichen Interessen her kamen.»

Dass Betriebe etwa bei mehr Landschaftsschutz und weiteren Umweltleistungen anteilig mehr Geld bekommen sollen, hält Weil für richtig. «Die Landwirtschaft wird für öffentliche Aufgaben in die Pflicht genommen - dass sie dafür auch Entgelte einfordert, ist völlig verständlich.»

Für viele Bauern sei die «Sandwich-Situation» zwischen steigenden Erwartungen und Behauptung auf dem Weltmarkt schwierig. «Sie sind Adressaten von immer größeren Forderungen - Tierschutz, Gewässerschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Artenschutz -, andererseits aber auch Teilnehmer an einem großen internationalen Markt. Dort ist der Preis das knallharte Kriterium. Deshalb müssen wir der Landwirtschaft helfen, ansonsten überfordern wir sie.»
dpa
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