Um schnelle Entscheidungen treffen zu können, müssten Diskussionsabstimmungen verkürzt werden. Der Katastrophenfall gebe der Staatsregierung umfangreiche Steuerungs-, Eingriffs- und Durchgriffsmöglichkeiten. Bei der Ansteckungsgeschwindigkeit müsse Zeit gewonnen werden, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.
Als Grund für die Ausrufung nannte Söder die Tatsache, dass im Land die Infektionsketten nicht mehr nachvollzogen werden könnten. «Das heißt, es beginnt eine exponentielle Entwicklung.» Um die Ausbreitung des Virus Sars-CoV-2 wieder zu verlangsamen, müssten soziale Kontakte weitmöglichst gemieden und das öffentliche Leben verlangsamt werden. «Klar ist, es werden Menschen sterben.»
Die Zahl der Coronavirus-Infizierten in Bayern hat derweil die 1.000er-Marke überschritten. Am Sonntag waren es 886 Menschen, bis Montagmittag registrierten die Behörden 1.067 bestätigte Infektionen in Bayern. Wenn es in diesem Tempo weitergehe, könne es sein, dass es am Wochenende mehrere Tausend Infizierte im Land gebe. Bis Montagmittag starben landesweit vier ältere Menschen an Covid-19.
Angesichts der steigenden Fallzahlen bereitet sich Bayern auf einen medizinischen Ausnahmezustand vor. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) betonte, dass es zur medizinischen
Versorgung rund 4.000 Intensivbetten in Bayern gebe. In der Regel seien diese zu 80 Prozent ausgelastet. Die Krankenhäuser seien aufgerufen, alle Kapazitäten - aber auch ihre technische Ausstattung etwa mit Beatmungsgeräten - zu melden. Ältere Ärzte sollen rekrutiert werden. Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) rief zudem Medizinstudenten zum freiwilligen Einsatz in der Corona-Krise auf.
«Gerade im medizinischen Bereich werden wir in den kommenden Wochen jede Unterstützung brauchen können, um unsere Bevölkerung zu beraten und zu schützen sowie bereits infizierte Erkrankte bestmöglich zu versorgen.» Im Bedarfsfall sei auch denkbar, dass etwa in Messehallen Sonderkliniken errichtet würden. Um die Kapazitäten zu steigern, könnten auch Abteilungen von Kliniken für Corona-Patienten zusammengelegt werden.
Zum Schutz der Wirtschaft vor den nicht ansatzweise absehbaren Folgen der Corona-Krise stellt Bayern ab sofort auch ein Hilfspaket in Höhe von zehn Milliarden Euro bereit. «Die Lage ist sehr ernst und verändert sich täglich, leider nicht zum Guten», betonte Söder.
Um die Geldmittel bereitstellen zu können, soll die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse für zunächst ein Jahr außer Kraft gesetzt werden. Schon am Donnerstag wird sich der Landtag mit dem Thema befassen. Längst sei klar, dass die Folgen der Corona-Pandemie größer seien, als bei der Finanzkrise. Unternehmen drohten massivste Umsatzeinbußen, dem Staat gingen Steuereinnahmen verloren.
Der Zehn-Milliarden-Euro-Schutzschirm soll der Wirtschaft unter anderem spezielle Bürgschaftsrahmen und finanzielle Soforthilfen von 5.000 bis 30.000 Euro ermöglichen. «Wir werden keinen hängen lassen», sagte Söder. Priorität habe der Erhalt der
Liquidität von Unternehmen und auch von Kulturschaffenden. Um Unternehmen mehr Spielräume zu geben, seien auch Steuerstundungen möglich.
Unabhängig vom Katastrophenfall sind seit diesem Montag schon alle Schulen und Kindergärten im Freistaat geschlossen. Darüber hinaus weitet der Freistaat in dieser Woche die Beschränkungen weiter aus.
Ab Dienstag werden Bars, Kinos, Gaststätten und Schwimmbäder geschlossen, auch Sportplätze und Spielplätze sollen gesperrt werden. Ab Mittwoch gilt das auch für ausgewählte Geschäfte, die nicht zur Grundversorgung notwendig sind. Speiselokale und Betriebskantinen sollen nur noch von 6.00 bis 15.00 Uhr und mit größeren Sitzabständen öffnen. Anschließend seien aber durchaus noch Auslieferungen möglich.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, dass nach dem Infektionsschutzgesetz bei Verstößen gegen die Ladenöffnungszeiten «Geldbußen, Geldstrafen und auch Freiheitsstrafen» möglich seien. Um die Grundversorgung mit
Lebensmitteln und anderen wichtigen Produkten sicherzustellen, weitet Bayern aber die Ladenöffnungszeiten für bestimmte Geschäfte aus: Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Apotheken, Tankstellen, Banken und einige weitere Geschäfte dürfen unter der Woche nun bis 22.00 Uhr öffnen und auch sonntags geöffnet haben, dann bis 18.00 Uhr.
Anders als in anderen Ländern soll es wegen des Coronavirus in Bayern zunächst keine Ausgangssperren geben. Söder appellierte aber an alle Bürger, sich genau zu überlegen, welche Orte man besuchen wolle. «Ich kann nicht versprechen, dass es die letzten Maßnahmen sind», so der Ministerpräsident. Zugleich betonte er, dass niemand sagen könne, ob die Maßnahmen am Ende den gewünschten Erfolg bringen würden. «Es gibt keine Blaupause, wie es funktionieren kann. (...) Es kann auch noch sehr schlimm werden, aber wir geben uns Mühe.»
Die Reaktionen auf die Maßnahmen waren überwiegend positiv - einzig die Gewerkschaft Verdi kritisierte die verlängerten Öffnungszeiten in Lebensmittelgeschäften und Drogerien. «Die extremen Belastungen zehren an der Gesundheit und am Immunsystem der Beschäftigten, was sie zusätzlich angreifbar macht für eine Ansteckung durch den Coronavirus», hieß es in einer Mitteilung. Dagegen lobten etwa Wirtschaftsverbände, Pfleger-Vereinigung und die
SPD die Maßnahmen.