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21.02.2021 | 12:05 | EU-Nitratrichtlinie 

Kommission verklagt Deutschland wegen Nichteinhaltung der FFH-Richtlinie

Brüssel -  Nach dem Gerangel um die Einhaltung der EU-Nitratrichtlinie wirft die Europäische Kommission Deutschland nun auch jahrelange Verstöße gegen das Naturschutzrecht vor.

EU-Nitratrichtlinie
Meldefristen teilweise seit mehr als zehn Jahren abgelaufen. (c) proplanta
Die Brüsseler Behörde verklagt die Bundesrepublik wegen mangelhafter Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Wie die Kommission am Donnerstag (18.2.) mitteilte, hat Deutschland eine bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als Schutzgebiete ausgewiesen. Zudem seien die für die einzelnen Gebiete festgelegten Erhaltungsziele nicht hinreichend quantifiziert und messbar und ermöglichten daher keine ausreichende Berichterstattung.

Die Behörde beklagt, dass es in allen Bundesländern und auch auf Bundesebene allgemeine und anhaltende Praxis gewesen sei, für alle 4.606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine hinreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen. Das habe erhebliche Auswirkungen auf die Qualität und Wirksamkeit der zu ergreifenden Erhaltungsmaßnahmen.

Die Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnahmen ist der Kommission zufolge in einigen Fällen schon vor mehr als zehn Jahren abgelaufen. 2015 sei ein Aufforderungsschreiben übermittelt worden. Nach eingehender Diskussion mit den deutschen Behörden sei im Jahr 2019 ein ergänzendes Aufforderungsschreiben verfasst worden, gefolgt von einer mit Gründen versehenen Stellungnahme im Februar 2020).

Neben Deutschland hat die Kommission in Sachen Naturschutzrecht weitere Mitgliedsländer im Visier: Ebenfalls wegen mangelhafter Umsetzung der FFH-Richtlinie eröffnete sie in der vergangenen Woche Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien und Litauen.

Gut 99 Prozent rechtlich gesichert?

In der Reaktion des Bundesumweltministeriums hieß es, dass man in den letzten Jahren bezüglich eines Teils der Kommissionsvorwürfe „erhebliche Fortschritte“ gemacht habe. So seien inzwischen 99,4 % aller FFH-Gebiete rechtlich gesichert und für etwa 84 % Prozent der Gebiete die Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden. Dazu gehörten auch die FFH-Gebiete in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), für die der Bund die Verantwortung trage.

Überdies werde die Veröffentlichung der geforderten Managementpläne von allen Bundesländern sowie dem Bund für seine AWZ bereits vorgenommen oder sei zumindest „geplant“. Des Weiteren sei die Zahl der FFH-Gebiete mit unzureichender Meldung von Erhaltungsmaßnahmen „im Laufe der Jahre immer weiter reduziert“ worden, erklärte das Bundesumweltministerium. Die Kommission sei über diese Fortschritte regelmäßig unterrichtet worden.

Mehrjähriger Aufwand

Kern des rechtlichen Dissenses sind laut dem Berliner Umweltressort die aus Sicht der EU-Kommission nicht ausreichend detaillierte Festlegung der gebietsspezifischen Erhaltungsziele. Das Petitum der EU-Behörde sei nach Ansicht der Bundesländer allerdings „rechtlich zu weitgehend“. Dem habe sich der Bund angeschlossen.

Moniert wird von deutscher Seite auch, dass die Umsetzung einen „immensen finanziellen und verwaltungstechnischen Aufwand“ bedeuten würde und sich für die insgesamt rund 4.600 FFH-Gebiete vermutlich über viele Jahre hinziehen könne. Dem Bundesumweltministerium zufolge ist die Einreichung der Klage vor dem EuGH mit den genauen Einzelheiten „in den kommenden Wochen oder Monaten“ zu erwarten. Die Bundesregierung werde diese dann eingehend prüfen und eng mit den Bundesländern abstimmen, die für die weitaus meisten FFH-Gebiete zuständig seien.

Von dem der Klage vorgeschalteten Vertragsverletzungsverfahren waren laut Umweltressort alle 16 Bundesländer mit insgesamt rund 4.600 FFH-Gebieten betroffen, der Bund mit den acht FFH-Gebieten in der Nord- und Ostsee.

Bund ignoriert EU-Vorgaben

Nach Auffassung des Agrarsprechers der Grünen/EFA im Europaparlament, Martin Häusling , belegt die Kommissionsklage, wie wenig die Bundesregierung sich um den Erhalt der Lebensgrundlagen, um den Natur- und Artenschutz kümmert. „Sie ignoriert fast alle Vorgaben der EU zum Naturschutz. Deutschland riskiere damit, ähnlich wie bei der Klage wegen nicht Umsetzung der Nitratrichtlinie, wieder erhebliche Strafzahlungen“.

Häusling bezeichnete es als „ein Desaster“, wenn die EU-Kommission der Bundesregierung vorwerfen müsse, dass keines der 4.606 FFH-Gebiete ausreichend geschützt werde. Diese Klage zeige dem Grünen-Politiker zufolge, dass die Aussagen von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Bundesumweltministerin Svenja Schulze wieder einmal wie „hohl und falsch“ klingen, wenn diese einerseits Insektenschutz versprächen, andererseits aber nicht mal die grundlegenden Arbeiten absolvierten beziehungsweise diese nicht von den Bundesländern einforderten.

Warnschuss nicht gehört

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) forderte Bund und Länder auf, endlich tätig zu werden. Der mit der begründeten Stellungnahme abgegebene Warnschuss sei offenbar nicht gehört worden, so NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Jetzt drohten in letzter Konsequenz sogar Strafzahlungen.

Der Umweltrechtsreferent des Verbandes, Raphael Weyland, betonte, dass seit dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie drei Jahrzehnte und seit dem Einleiten des Vertragsverletzungsverfahrens sieben Jahre vergangen seien. Es gehe um die Umsetzung von Vorgaben, zu denen sich Deutschland bereits 1992 verpflichtet habe.

Aus Sicht des NABU sind zunächst vor allem die Bundesländer am Zug. Diese müssten die Vorgaben systematisch umsetzen; die Bundesregierung müsse dies für die marinen Gebiete in der AWZ von Nord- und Ostsee tun. „Wer nicht mit Verboten und Vorgaben arbeiten will, muss Landwirten und Waldbesitzern attraktive Anreize für Naturschutzmaßnahmen bieten“, so Weyland. Dafür würden nach Schätzungen des NABU 1,4 Mrd. Euro jährlich gebraucht, die durch die Umschichtung von Agrarzahlungen mobilisiert werden könnten. Die derzeitigen Pläne des Bundeslandwirtschaftsministeriums ignorierten das jedoch und riskierten „weitere schmerzhafte Urteile“ des EuGH.

„Delta del Llobregat“ im Blick

Im Hinblick auf Spanien betont die EU-Kommission in ihrem Aufforderungsschreiben, dem ersten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens, dass Madrid weitere Maßnahmen zum Schutz und Management des Natura-2000-Netzes ergreifen müsse.

Insbesondere komme die Regierung ihren Verpflichtungen aus der FFH-Richtlinie hinsichtlich des „Delta del Llobregat“ nicht ausreichend nach, so die Kommission, die dabei auf große Infrastrukturprojekte wie die Erweiterung des internationalen Flughafens und des Seehafens von Barcelona verweist. Sie unterstreicht in dem Zusammenhang die Bedeutung des empfindlichen „Stehgewässer-Ökosystems“. Dieses weise eine herausragende biologische Vielfalt auf, sei unter anderem für die Migrationsrouten vieler europäischer Vogelarten „sehr wichtig“ und trage dazu bei, die „Gesamtkohärenz des Natura-2000- Netzes“ zu bewahren.

Umweltschützern zufolge geben sich in dem Delta rund 360 Vogelarten ein Stelldichein. Der Regierung Litauens hält die EU-Behörde in ihrem Aufforderungsschreiben vor, dass sie die Frist für den Abschluss der erforderlichen Maßnahmen bei 406 Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der borealen biogeografischen Region habe verstreichen lassen. Darüber hinaus habe Litauen es versäumt, ausreichend detaillierte und quantifizierte standortspezifische Erhaltungsziele und die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen für diese Gebiete festzulegen.

Spanien und Litauen haben nun jeweils zwei Monate Zeit, um die angesprochenen Mängel zu beheben. Geschieht dies nicht, wäre der nächste Schritt der Kommission die Übermittlung einer „mit Gründen versehenen Stellungnahme“.
AgE
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