Kretschmann brilliert, Eisenmann zieht CDU wie Blei nach unten

Super! Super!», ruft Fraktionschef Andreas Schwarz um 18.00 Uhr. Als die ersten bunten Balken über die Bildschirme flimmern, ist der Mann der Stunde weit und breit nicht zu sehen. Wahlsieger Winfried Kretschmann lässt sich erst später blicken - und gibt sich überrascht. So ein gutes Ergebnis, trotz all der massiven Beschwerden, die ihm täglich per Post ins Haus flatterten, berichtet er. Deshalb freue er sich umso mehr über das Vertrauen der Bürger.

Der 72-Jährige holt für die Grünen in Baden-Württemberg am Sonntag nach aktuellen Hochrechnungen rund 32 Prozent. Damit etabliert er sie als eine Art Volkspartei im konservativen Ländle - die einzige Volkspartei, die dort geblieben ist. Und er zerschmettert die CDU - ausgerechnet im konservativen Südwesten, wo sie für viele Jahrzehnte die Macht gepachtet hatte. Die CDU mit Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann kommt auf gerade einmal knapp 24 Prozent. Es ist ein historisches Wahldesaster für die Union - und ein katastrophaler Auftakt ins Superwahljahr.

58 Jahre lang regiert die CDU Baden-Württemberg, bis Kretschmann 2011 ans Ruder kommt. Damals ist von einem Betriebsunfall die Rede - wegen der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima, des Konfliktes um das Bahnprojekt Stuttgart 21 und der unbeliebt-autoritären Art des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus. Bei der Landtagswahl 2016 zieht Kretschmanns Partei dann an der CDU vorbei - eine Sensation in der CDU-Bastion. Er stellt sich damals in der Flüchtlingskrise an die Seite von Angela Merkel, während CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf seiner Kanzlerin in den Rücken fällt.

Die einst so stolze CDU wird mit 27 Prozent zum Juniorpartner einer grün-schwarzen Koalition. Nun sind es nochmal ein paar Punkte weniger. Autsch.

Kretschmann versetzt den Christdemokraten so einen heftigen Schlag, dass man sich fragen muss, ob sich die CDU in Baden-Württemberg, wo sie einst bei mehr als 50 Prozent stand, je wieder davon erholt. Ist dem betagten Landesvater im Südwesten am Ende gelungen, was der blauhaarige Youtuber Rezo im Wahlkampf zur Europawahl 2019 schon ankündigte: die Zerstörung der CDU?

Im Rampenlicht des Unions-Fiaskos: Susanne Eisenmann. Sie spricht am Abend von einem desaströsen Ergebnis und kündigt an, Verantwortung dafür zu tragen - wie aber, lässt sie aber offen. Ein führendes Amt in der Partei will sie nicht mehr anstreben. Sie steht vor den Trümmern ihrer politischen Laufbahn. Hinter den Kulissen ist man nicht mehr gut auf sie zu sprechen. Kretschmann habe das Beste aus seiner Partei rausgeholt, Eisenmann habe die CDU «wie Blei nach unten gezogen», hört man von einem, der der Parteiführung nahesteht.

Dabei sah es noch vor wenigen Monaten gar nicht so übel aus für die ruppige Kultusministerin, die ein Gegenentwurf zu Kretschmann sein wollte. Sie sei ein gefährlicher Gegner, hieß es da bei den Grünen.

Aber als Kultusministerin steht man eben ständig in der Kritik, jeden Tag im Dauerfeuer von Lehrern, Eltern und Schülern. Das Amt wird zur Hypothek in Eisenmanns Wahlkampf. Dann setzt sich die 56-Jährige auch noch für die Öffnung von Schulen unabhängig von Corona-Inzidenzen ein, was sie zwar bekannt, aber alles andere als beliebt macht. Und ihre Plakatkampagne wird im Netz verlacht.

Mit jeder Umfrage verliert die CDU weitere wertvolle Prozentpunkte. Im Endspurt verhagelt auch noch die Maskenaffäre der Union Eisenmanns Wahlkampf. Während die Grünen im Landtag am Sonntagabend jubeln, nehmen die Christdemokraten die Ergebnisse still und bedrückt auf den Bildschirmen hin. «Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu», sagt die Abgeordnete Friedlinde Gurr-Hirsch mit Blick auf die Maskenaffäre.

Währenddessen kann sich Kretschmann im Wahlkampf als Krisenmanager profilieren. Schon ohne all die hausgemachten Probleme der Union ist er ein politischer Gegner, der schwer zu knacken ist. Der Landesvater erfreut sich seit Jahren hoher Beliebtheitswerte. In seinen ersten fünf Jahren regiert er den Koalitionspartner SPD klein, in der zweiten Runde marginalisiert er nun die CDU. Kretschmann kommt an im konservativen Milieu. Er philosophiert gerne über den Heimatbegriff, bezeichnet kriminelle Flüchtlinge schon mal als «Tunichtgute» oder wirbt für die Kaufprämie für Diesel-Autos. Damit gräbt er den Christdemokraten seit Jahren das Wasser ab. Selbst die CDU-Anhänger wollen lieber ihn als Eisenmann als Ministerpräsidenten.

Auch wenn Kretschmann den Christdemokraten die erniedrigendste Wahlpleite in der Geschichte des Landes beschert hat, werden sie alles dafür tun, sich in eine Regierung mit den Grünen retten. Denn noch schlimmer, als weiter Juniorpartner unter Kretschmann zu sein, wäre für die Christdemokraten die Vorstellung, neben den Rechtspopulisten auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen zu müssen. Eine Katastrophe, sagen Parteistrategen.

Die CDU wird also mit aller Kraft für eine Neuauflage eines grün-schwarzen Bündnisses werben. Sie setzt nun dabei auf Landeschef Thomas Strobl, der gut mit Kretschmann kann. Er soll die Gespräche mit den Grünen führen, die Mitte der Woche stattfinden sollen. Wenn Strobl die CDU in eine Regierung rettet, kann er sich vielleicht selbst retten. Ansonsten könnte es auch für ihn ungemütlich werden.

Das wird es auch für Armin Laschet. Denn das desolate Ergebnis aus dem Südwesten hängt dem neuen CDU-Bundeschef nun in den Knochen. Und dabei muss sich Laschet doch als Kanzlerkandidat der Union durchsetzen gegen CSU-Chef Markus Söder.

Kretschmann hat nun die Wahl, wie es im Ländle weitergeht. Er selbst will vor allem eine verlässliche, stabile Regierung, sagte der Chef zuletzt immer wieder. Und er ist nicht angewiesen auf die CDU.

Kretschmann wird von allen Kräften im Landtag umgarnt, sieht man mal von der AfD ab, mit der keiner regieren will. SPD und FDP stehen aber in den Startlöchern. Neben Grün-Schwarz wäre auch eine Ampel aus Grünen, SPD und FDP ein Bündnis mit stabilen Mehrheitsverhältnissen.

Nach einer ARD-Hochrechnung vom Abend wäre sogar eine Neuauflage der grün-roten Koalition denkbar, die zwischen 2011 und 2016 schon einmal regierte - allerdings nur mit hauchdünner Mehrheit. Kretschmanns grünem Landesverband dürfte das Gefallen - er sieht die größten inhaltlichen Schnittmengen mit der SPD, betrachtet die Union als Bremsklotz. Wird die CDU wirklich in die Opposition gedrängt, könnte sich ihr freier Fall fortsetzen.