Der Agrarsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, warf Ressortchef Cem Özdemir vor, er werde der ethisch-moralischen Verantwortung Deutschlands nicht gerecht, die weit über die
Versorgung der eigenen Bevölkerung hinausreiche.
„Jedes Brot, das wir mit Weizen aus Deutschland zusätzlich backen können, ist ein Beitrag im Kampf gegen den Hunger und trägt insofern zu Stabilität und Sicherheit bei - auch in Nordafrika oder Nahost“, so Stegemann, der bei Özdemir „rein ideologische Gründe“ vermutet.
Agrarpolitik sei Sicherheitspolitik. Das müsse die Bundesregierung „endlich begreifen und danach handeln“.
Bestärkt sehen sich Unionspolitiker in der von der österreichischen Regierung veranlassten Freigabe der Brachflächen für eine Nutzung. Die Wiener
Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger begründete den Schritt mit den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die weltweite Versorgungssicherheit sowie mit massiv steigenden Betriebs- und Futtermittelkosten. Die CSU-Agrarpolitikerin im Europaparlament,
Marlene Mortler, nannte es beschämend, wie sich Deutschland derzeit agrarpolitisch in Europa präsentiere.
„Jeder Hektar hilft“Nach den vorliegenden Informationen ist Deutschland das einzige EU-Land, das keinerlei Anbau auf den ÖVF-Brachflächen erlaubt. Alle anderen lassen dies zumindest beschränkt zu. Köstinger hatte beim vergangenen
EU-Agrarrat von der Kommission gefordert, zügig ein
Maßnahmenpaket für mehr Versorgungssicherheit zu schnüren und ungenützte Flächen für die agrarische Produktion freizugeben.
Mit ihrem Beschluss vom 23. März war die Brüsseler Administration diesem Anliegen gefolgt, das auch von anderen Mitgliedstaaten vorgebracht worden war. „Jeder Hektar, den wir in Europa in Bewirtschaftung bringen, auch der österreichische Beitrag, hilft“, erklärte Köstinger vergangene Woche. In der aktuellen Situation brauchten die
Bauern mehr Flexibilität für den Anbau, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Dafür habe man den nationalen Rechtsrahmen geschaffen. Die
Neuregelung umfasst nach Angaben des Wiener Agrarressorts ausschließlich Ökologische Vorrangflächen im Rahmen der Ersten Säule für das Jahr 2022; dabei geht es potentiell um insgesamt rund 9.000 ha.
Die Zeichen der Zeit erkanntStegemann sprach von einer mutigen Entscheidung der österreichischen Regierung, die zeige, „wie Verantwortung für die
Ernährungssicherung aussehen kann“. Laut Unionsfraktionsvize Steffen Bilger hat die Landwirtschaftsministerin Köstinger im Gegensatz zu ihrem deutschen Amtskollegen „die Zeichen der Zeit erkannt“.
Während Özdemir die von der
EU-Kommission eingeräumte Frist verstreichen lasse, setze Österreich EU-Recht eins zu eins um. Die deutsche
Ampel beschreite damit in Europa „einen unrühmlichen Sonderweg“, kritisierte Bilger. Obwohl die österreichische Regierung unter Beteiligung der Grünen handle und eine Mehrheit der deutschen Länderagrarminister Özdemir zum Handeln auffordere, schalte der
Bundeslandwirtschaftsminister auf stur.
Zwar habe Özdemir jetzt noch auf Zeit spielen können. Bei der ab 2023 geplanten
Stilllegung von 4 % der Ackerflächen werde man ihm das jedoch nicht mehr durchgehen lassen, kündigte Bilger an. CSU-Agrarierin
Mortler warf Özdemir eine „ideologisch engstirnige Politik“ vor, mit der sich Deutschland zunehmend in Europa isoliere.
Keine Daten zu BiodiversitätseffektenKritik an Özdemir kam auch von der AfD. Für deren agrarpolitischen Sprecher Stephan Protschka sind die von der Bundesregierung angeführten negativen Auswirkungen einer Anbaufreigabe auf die
Biodiversität nicht nachvollziehbar. Auf seine Frage nach messbaren Effekten der Ökologischen Vorrangflächen auf eine Eindämmung des Artensterbens habe er von der Regierung keine konkrete Antwort erhalten.
Die Bundesregierung verfüge eigenen Angaben zufolge derzeit nicht über die notwendige Datengrundlage zur umfassenden Bewertung der Biodiversitätseffekte von agrarpolitischen Maßnahmen. „Wir bleiben deshalb dabei, dass der nationale Sonderweg der Bundesregierung bezüglich der Ökologischen Vorrangflächen grundfalsch ist“, resümierte Protschka.