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31.10.2018 | 08:51 | Politischer Rückzug 

Merkels Wahlkreis über Rückzug gespalten

Stralsund - Vorpommern ist schön, aber arm: Die politische Strahlkraft von Angela Merkel (CDU) warf Licht auf die Ostseeregion, in der sie seit 1990 bei jeder Bundestagswahl das Direktmandat gewann.

Angela Merkel
Die Meinungen über Merkels politischen Rückzug sind in ihrem Wahlkreis gespalten: Sie habe Glanz und Investitionen in die Region gebracht, sagen ihre Anhänger. Ihre Kritiker sehen das ganz anders. (c) proplanta
Mit US-Präsident George W. Bush traf sie sich 2006 zum Wildschweingrillen in Trinwillershagen. Mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und später mit dem französischen Präsidenten François Hollande kam sie in Stralsund zu politischen Gesprächen zusammen. Merkel selbst nennt Vorpommern ihre «politische Heimat» - und hat die Region mit Rügens Kreidefelsen und Stralsunds Backsteinkirchen vielen Staatsgästen gezeigt.

Umso größer ist in ihrem Fan-Lager in Vorpommern der Schock über den angekündigten politischen Rückzug. Die Entscheidung schmerze, sagt der Wirtschaftsminister und CDU-Kreischef von Vorpommern-Rügen, Harry Glawe. «Wenn Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin und Parteivorsitzende ist, dann werden wir hier in Vorpommern sehr schnell vergessen werden», ahnte bereits im Sommer während des Unionsstreits der pensionierte Landrat Wolfhard Molkentin (CDU). 1990 hatte dieser sich für Merkel als CDU-Bundestagskandidatin stark gemacht und der damals 36-jährigen Vize-Regierungssprecherin der letzten DDR-Regierung den Weg ins Parlament geebnet. Es folgte eine beispiellose Politkarriere.

Ebenso wie die PR für die Region wurden auf kommunaler politischer Ebene Merkels Hinweise geschätzt, wo welche Türen zu Bundes- und EU-Förderprogrammen am besten aufzustoßen sind. Der Landkreis Vorpommern-Rügen ist der Kreis, der vom Bundesprogramm für den Breitbandausbau in der ersten Runde am stärksten profitierte. Das Stralsunder Ozeaneum und Meeresmuseum erhielten Bundesförderungen im zweistelligen Millionenbereich. «Wir mussten unsere Hausaufgaben schon selber machen», sagte Stralsunds Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) und weist jeglichen Verdacht einer Bevorzugung zurück.

Doch manchmal habe es wohl schon gereicht, dass die entscheidenden Stellen wussten, dass das hier Merkels Wahlkreis ist. Am meisten schätze er ihre Verlässlichkeit und ihr offenes Ohr für Anliegen.

Als seit 2015 Flüchtlinge zunehmend nach Deutschland drängten, wurden auch in ihrem Wahlkreis die kritischen Stimmen laut, schlug ihr bei Visiten offener Hass von AfD-Anhängern entgegen, wurde ihr Büro Ziel von Vandalismus-Angriffen. AfD-Bundestagsfraktions-Vize Leif-Erik Holm, der im Ostseewahlkreis vor einem Jahr gegen Merkel als Direktkandidat antrat, sieht die Kanzlerin inzwischen als «lame duck» - eine lahme Ente. Die ehemals konservative CDU stehe nach 18 Jahren unter Merkel vor einem Scherbenhaufen, so Holm.

Der 58-jährige Gemüsehändler Hans-Christian Oehlckers verkaufte Merkel im Bundeswahlkampf auf dem Wochenmarkt im vorpommerschen Barth Pflaumen und Tomaten. Er sei erfreut, dass sich Merkel endlich zurückziehe, sagt er heute. «Es ging doch nur noch um Postengerangel, aber nicht um die Probleme der Menschen.»

Rügens Linkspolitikerin Kerstin Kassner bezeichnet Merkels Schritt als «überfällig». Mit seiner ausgeprägten Tourismusindustrie und den relativ wenigen Industriearbeitsplätzen bewegt sich Vorpommern bei den Einkommen bundesweit seit Jahren im Lohnkeller. Merkel habe zwar für Investitionen in ihrem Wahlkreis gesorgt, aber nichts dafür getan, dass es den kleinen Leuten besser gehe, bilanziert Kassner.

Holger Kliewe, Geflügelbauer auf der Insel Rügen, der 2006 mit der Vogelgrippe in Existenznöte geriet und sich wirtschaftlich neu aufstellen musste, nahm Merkels Ankündigung vom langsamen Rückzug aus der Politik mit Bedauern auf. Menschlich könne er den Schritt aber verstehen. «Ich habe immer an ihr bewundert, wie sie sich trotz der vielen Termine in Europa und der Welt um ihren Wahlkreis gekümmert hat», sagt er. Mit Landwirten fachsimpelte Merkel über Bodenrichtwerte, mit Fischern über Fangquoten. «Es ist schon erstaunlich, wie gut sie bei solchen Fachthemen Bescheid wusste.»

Zur nächsten Bundestagswahl wird Merkel auch den Weg für einen neuen CDU-Direktkandidaten in ihrem Wahlkreis frei machen. 2021 wäre sie 31 Jahre im Amt. Allerdings ist Vorpommern längst keine unangefochtene CDU-Hochburg mehr - im Mai wurde hier ein Sozialdemokrat Landrat.
dpa
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