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15.12.2014 | 09:03 | Aushebelung des Mindestlohns 

Mindestlohngesetz provoziert Umgehungen

Berlin - Der Schlag traf Michael Bauer* unvorbereitet. Sein Vorgesetzter eröffnete dem 55-Jährigen im Oktober, dass sein Arbeitsvertrag gekündigt werde. Der Grund war der Mindestlohn.

Mindestlohngesetz
Ein Mann kämpft um seinen Job. Wegen des Mindestlohns droht er ihn zu verlieren. Viele andere Arbeitnehmer klagen bei den Gewerkschaften über Umgehungsversuche. Kommt eine Welle von Tricksereien gegen die neue Lohnuntergrenze? (c) proplanta
«Ich war entsetzt», sagt Bauer. Offenbar ist er kein Einzelfall - die Liste möglicher Umgehungen der neuen Lohnuntergrenze ist lang.

Bauer ist angestellt bei einer Sozialeinrichtung in einer kleineren Stadt in Bayern, die ihn an einen Mittelständler vermittelt hat. Er bekommt 4,95 Euro pro Stunde. Mit dem Arbeitsvertrag wäre ab dem 1. Januar der Mindestlohn von 8,50 Euro fällig geworden. Stattdessen sollte er eine Vereinbarung unterzeichnen, nach der es beim alten Lohn bleiben sollte - nur dass der nun «Motivationszulage» heißen sollte. Eine Lohnfortzahlung bei Krankheit sollte es dagegen nicht mehr geben.

Bauer unterschrieb nicht - obwohl ihm sein Chef seither in vier weiteren Gesprächen die Vereinbarung schmackhaft machen wollte. Seine Empörung wuchs: «Was sich die Leute für Tricks ausdenken!» Doch auf die 370 Euro pro Monat, die er von der Sozialeinrichtung bekommt, kann der 55-Jährige bei einer Erwerbsminderungsrente von 650 Euro nicht verzichten. Rund 19 Stunden die Woche macht er bei dem Mittelständler einfachere Büroarbeiten. Bauer will das weiter machen, es gefällt ihm dort. Doch wie sollte das nun noch gehen?

«Wir können nichts dafür», sagte ihm sein Chef. Die Bezirksverwaltung, die die Sozialeinrichtung finanziert, wolle nicht mehr zahlen. «Das ist der größte Skandal», sagt Bauer, «dass eine staatliche Stelle zur Aushebelung des Mindestlohns drängt.»

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kennt die Strategien gegen die neue Lohnuntergrenze. «Es scheint Arbeitgeber in Deutschland zu geben, die sich mehr Gedanken über eine Umgehung statt um die Umsetzung des Mindestlohns machen», sagt das DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. «Wir wissen von Anwaltskanzleien, die Arbeitgebern dabei helfen.»

3,7 Millionen Menschen sollen ab Neujahr vom Mindestlohn profitieren. Wird er durchlöchert? Es gibt Berichte über Vertriebsunternehmen, die erwachsene Zusteller durch Minderjährige ersetzen wollen. Denn für sie wird kein Mindestlohn fällig. Es gibt Berichte über Fast-Food-Ketten, die zwar korrekt zahlen, aber dafür Sonderzahlungen streichen wollen. Und bei den Gewerkschaften sind viele Beschwerden aufgelaufen, weil Arbeitsverträge vor dem 1. Januar noch schnell geändert werden sollten.

«Dann gibt es das Schlupfloch, dass die Arbeitszeit nicht von Anfang bis zum Ende, sondern als Dauer angegeben werden muss», sagt Körzell. Die Gefahr: Für eine Tour eines Austrägers würden etwa vier Stunden kalkuliert. «Wenn dieser aber fünf Stunden braucht, bekommt er dennoch nur vier Stunden zu 8,50 bezahlt.»

Bei Langzeitarbeitslosen bereiten sich Branchen darauf vor, Betroffene nur für sechs Monate einzustellen, meint der Gewerkschaftsmann. Grund: So lange muss für sie kein Mindestlohn bezahlt werden. «Danach kann der Beschäftigte dann durch einen anderen Langzeitarbeitslosen ersetzt werden.» Andere Arbeitnehmer klagen laut Körzell darüber, dass ihr Chef Weihnachts- oder Urlaubsgeld streichen will, wenn er Mindestlohn zahlen muss.

Bei Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist man längst hellhörig. «Den Mindestlohn nun mit Tricks und Täuscherei zu umgehen, ist gegenüber den Beschäftigten wie auch den ehrlichen, aufrichtigen Arbeitgebern unsozial», sagt ein Sprecher. Arbeitgeber müssten mit hohen Strafen rechnen. Bis zu 500.000 Euro können fällig werden. Doch gibt es genügend Kontrolleure? Die zuständigen Zollbehörden sollen um 1.600 Mitarbeiter aufgestockt werden - nötig laut IG Bau: 3.000 zusätzliche Kontrolleure.

Angebote oder Werbung für Rechtsberatung mit dem erklärten Ziel, gegen das Mindestlohngesetz zu verstoßen, verletzten geltende Vorschriften, warnt das Ministerium. Der Tausch von Zulagen gegen Mindestlohn sei hingegen lediglich «nicht fair».

Für Michael Bauer gibt es Hoffnung. Der Mittelständler, bei dem er weiterarbeiten möchte, will ihn halten - auch zu Bedingungen des Mindestlohns. Selbst anstellen will er ihn aber nicht und sucht nun nach einer Zeitarbeitsfirma, die Bauer beschäftigen soll.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert. (dpa)
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