Nach der formalen Entscheidung am Mittwoch (27.7.) im Kollegium der Kommissare steht es den Mitgliedstaaten nun frei, die gemäß der Reform der Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) vorgegebene Stilllegungspflicht für 4 % der
Agrarflächen 2023 nicht anzuwenden.
Außerdem ist bei einem Verzicht auf das Fruchtwechselgebot beispielsweise der Anbau von Weizen auf Weizen zulässig. Die Kommission erhofft sich davon eine Verbesserung der weltweiten Versorgungslage mit Lebensmitteln. Nicht erlaubt ist indes der Anbau von Mais und
Sojabohnen auf den Stilllegungsflächen. Die Kommission begründet dies damit, dass beide Früchte vorwiegend in der
Tierernährung zum Einsatz kommen.
Vor dem endgültigen Votum durch die EU-Behörde hatten die Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit dem Vorschlag zugestimmt. Die beiden Konditionalitätsregelungen zum „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“ (GLÖZ) 7 und 8 sind Teil der ab dem kommenden Jahr geltenden GAP-Reform. Nach Schätzung der Kommission könnten EU-weit durch den Verzicht auf die Flächenstilllegung von 4 % insgesamt rund 1,5 Mio. ha zusätzlich in die Produktion von Feldfrüchten genommen werden.
Deutschland will dauerhafte LösungGemäß des GLÖZ-7-Standards in der Konditionalität müssen Betriebe, die 10 ha und mehr
Ackerland bewirtschaften, auf ihren Schlägen eine
Fruchtfolge einhalten. Der Anbau derselben Hauptkultur zwei Jahre hintereinander auf derselben Fläche ist mit Inkrafttreten der neuen
GAP im Regelfall nicht mehr zulässig.
Dem GLÖZ-8-Standard zur
Stilllegung zufolge wären ebenfalls
Betriebe mit mindestens 10 ha Ackerland gezwungen, 4 % ihrer Flächen stillzulegen. Das
Bundeslandwirtschaftsministerium übte Kritik an der von EU-Seite erlaubten Aussetzung der Stilllegungspflicht. Wie ein Sprecher des Berliner Agrarressorts gegenüber AGRA-EUROPE erklärte, ist vor allem die Begründung der EU-Kommission, mit dieser Entscheidung einen Beitrag zur Ernährungssicherheit zu leisten, nicht hinreichend.
So adressiere die Behörde in ihrem Vorschlag nicht, wie das Agrarsystem grundsätzlich so verändert werden könne, dass die globale
Ernährungssicherung dauerhaft erreichbar sei.
Österreich bereitet Aussetzung vorBundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist indes mit seiner skeptischen Haltung offenbar nicht allein. So verlautete jetzt aus Brüsseler Kreisen, dass Frankreich und Spanien von der Aussetzung der Stilllegungsflicht wohl keinen Gebrauch machen werden. Trotzdem hatten die beiden Länder dem Vernehmen nach für die Durchführungsverordnung votiert, während Deutschland sich enthalten hatte.
Kritik gab es auch aus Portugal und Rumänien, allerdings, weil ihnen die Regelung nicht weit genug geht. Beide Mitgliedsländer sollen moniert haben, dass Mais und Sojabohnen nicht auf den für die Stilllegung reservierten Flächen angebaut werden dürfen. Zustimmung zu den von der Kommission eingeräumten Möglichkeiten äußerte Österreichs
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.
Sein Land habe dem Schritt der
EU-Kommission zugestimmt, teilte der ÖVP-Politiker mit. Nun werde die nationale Umsetzung dieser Ausnahme vorbereitet, um den Landwirten möglichst schnell Planungssicherheit zu geben. Biodiversitätsflächen des Agrarumweltprogramms (ÖPUL) seien davon nicht betroffen.
Verschiebung vom Tank zum Teller angemahntDer Sprecher von
Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir beklagte dagegen, dass keine Überlegungen angestellt worden seien, wie die Konkurrenz von Teller zu Tank, Trog und Tonne aufgelöst werden könne. Er wies darauf hin, dass auf 14 % der Ackerflächen in Deutschland Pflanzen angebaut würden, die am Ende im Autotank landeten.
„Das muss deutlich runtergefahren werden“, so der Sprecher. Global gesehen könnte nach seinen Worten bei einer Verschiebung der Nutzung vom Tank zum Teller der Ausfall der Ukraine als Getreidelieferant „mehrfach ausgeglichen werden“. Im Weiteren sei auf „ein maßvolles“ Reduzieren der Tierbestände zu drängen. Dies hätte zur Folge, dass in Deutschland nicht mehr 60 % der Getreideanbaufläche für Futtermittel zum Einsatz kämen.
Auch sei das Thema
Lebensmittelverschwendung in Brüssel nicht adressiert worden. Dem Sprecher zufolge ist die Kommission entsprechende Antworten schuldig geblieben. Um der Notwendigkeit eines in diesen Punkten EU-weit gemeinsamen und damit nachhaltig wirkenden Vorgehens Ausdruck zu verleihen, habe sich Deutschland bei der Abstimmung enthalten.
Jetzt wird geprüftDavon abgesehen werde das Ministerium die Rahmenbedingungen für die nationale Umsetzung nun prüfen und mit den anderen Ressorts, den Ländern sowie den Akteuren diskutieren, führte der Sprecher weiter aus. Unstrittig ist auch in Berlin dagegen die einjährige Aufhebung der Fruchtwechselpflicht. Dafür hatte sich Minister Özdemir im Vorfeld der Brüsseler Entscheidung stark gemacht. Gemäß der jetzt angenommenen EU-Durchführungsverordnung können die Mitgliedsländer den Landwirten zur Ernte 2023 erlauben, beispielsweise Weizen nach Weizen anzubauen.
Ablenkungsmanöver beklagtDerweil warf der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im Europaparlament, Norbert Lins, dem Bundeslandwirtschaftsminister ein Herumlavieren beim Thema Aussetzung der Stilllegungs- und Fruchtwechselpflicht vor. Nach der Entscheidung der EU-Kommission sei der Grünen-Politiker nun dabei, „zu zögern und sich herauswinden“ zu wollen. Zuvor habe der Bundesminister noch Gesprächsbereitschaft angekündigt, merkte der CDU-Politiker in Brüssel an.
Eine Aussetzung für ein Jahr sei „keine Teller statt Trog-, Tank statt Teller- oder Nitratdebatte“. Solche Ablenkungsmanöver könne sich Özdemir sparen. „Statt tage- oder wochenlanger Diskussionen brauchen wir jetzt alle endlich schnell Klarheit“, betonte der Ausschussvorsitzende.
Jetzt sei es an der Zeit, es wie die anderen Mitgliedstaaten zu machen und „Pragmatismus anstatt Ideologie“ walten zu lassen. Nachdrücklich drängte Lins darauf, die aufziehende Hungersnot in der Welt zu bekämpfen. Zudem bräuchten die Landwirte Planungssicherheit. Der CDU-Politiker an den Bundeslandwirtschaftsminister: „Tun Sie etwas gegen den Hunger in der Welt. Setzen Sie den Fruchtwechsel und die Stilllegung für nächstes Jahr jetzt aus!“
Falsche ZahlenDer agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA im Europaparlament,
Martin Häusling, übte dagegen scharfe Kritik an dem Brüsseler Beschluss: „Mit dieser nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich unsinnigen Entscheidung verabschiedet sich die Kommission endgültig von ihren vollmundigen Ankündigungen zum Schutz der Artenvielfalt.“
Wer glaube, mit einer solchen Aussetzung nennenswerte Zusatzerträge zu produzieren, irre. Häusling erklärte, dass ein großer Teil der Aufnahme der Stilllegungsflächen in die Produktion auf wüstenartigen Böden in Ländern wie Spanien und Portugal stattfinden würde.
Dort aber Weizen anzubauen, um die etwaigen globalen Engpässe ausgleichen zu wollen, sei „eine Illusion“. Zudem warf der Grünen-Politiker der Kommission vor, mit falschen Zahlen zu operieren, wenn sie von 1,5 Mio. ha zusätzlicher Fläche spreche. Hier würden Hoffnungen auf Mehrerträge geschürt, die aus der
Luft gegriffen seien.
Mitgliedsländer nun gefordertBegrüßt wurde die Kommissionsentscheidung von den EU-Ausschüssen der
Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA). Allerdings stellten die beiden Dachverbände zugleich fest, dass diese Ausnahmen allein nicht ausreichten, um die negativen Folgen des Ukraine-Krieges für die Ernährungssicherheit genügend abzumildern.
Nun seien aber die Mitgliedstaaten zunächst gefordert, die Ausnahmen auch zuzulassen und so den Landwirten Planungssicherheit zu geben. COPA-Präsidentin Christiane Lambert betonte, die
Bauern in der EU müssten in die Lage versetzt werden, mehr zu produzieren. Die Beschränkungen für den Anbau von Mais und Sojabohnen auf Brachflächen seien deshalb „unsinnig“.
Außerdem äußerte die Präsidentin des französischen Bauernverbandes (
FNSEA) die Befürchtung, dass sich die Umsetzung zu kompliziert gestalten könnte. Am Ende würde dann den Landwirten der Anreiz fehlen, davon tatsächlich Gebrauch zu machen. Nach Ansicht von COGECA-Präsident Ramon Armengol ist bei der Entscheidung die aktuelle
Marktsituation nicht zur Genüge berücksichtigt worden.
Auch der Spanier mutmaßt, dass den Landwirten kein hinreichender Anreiz geboten werde, mehr Getreide und Ölsaaten anzubauen. Im Weiteren erwarten
COPA und
COGECA jetzt, dass die EU-Kommission ohne größere Verzögerungen die nationalen Strategiepläne zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) genehmigt. Dies sei von enormer Wichtigkeit.
Maismarkt „ernsthaft destabilisiert“Die Entscheidung, den Anbau von Mais und Sojabohnen auf den Stilllegungsflächen nicht zuzulassen, stieß auch bei der European Confederation of Maize Production (CEPM) auf Kritik. Die CEPM hält die Argumentation der EU-Kommission, dass Soja und Mais hauptsächlich in der Fütterung zum Einsatz kämen, für nicht stichhaltig.
Gerade der
Maismarkt sei in Europa und weltweit durch die russische Invasion der Ukraine „ernsthaft destabilisiert worden“. Die Confederation verwies darauf, dass die Ukraine zuletzt mit 16 % der weltweiten Ausfuhrmenge der viertgrößte
Exporteur von Mais und mit 55 % der EU-Maiseinfuhren hier der wichtigste Lieferant gewesen sei.
Zwar könne die Vereinbarung zur Aufhebung der Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen möglicherweise eine Erleichterung des Maishandels bringen. Eine wirkliche Entspannung der Lage werde angesichts der Schäden, die durch die russische Angriffe an der ukrainischen Infrastruktur entstanden seien, jedoch lange auf sich warten lassen.
Wichtiges GrundnahrungsmittelDarüber hinaus gab die CEPM zu bedenken, dass die ukrainische
Maisproduktion zumindest in diesem Jahr gestört sei. Nach aktuellem Stand sei der Anbau zurückgegangen. Zudem hätten die ukrainischen Erzeuger unter den derzeitigen Bedingungen Schwierigkeiten, das volle Potential der angebauten Kulturen auszuschöpfen. Hinsichtlich des Umstandes, dass Mais in der EU überwiegend als Futtermittel eingesetzt wird, unterstrich die CEPM, dass auch tierische
Erzeugnisse Teil der europäischen Ernährungssouveränität seien.
Außerdem trage die Veredlungswirtschaft zu einer geringeren Abhängigkeit von synthetischen Düngemitteln bei. Schließlich werde ein nicht unerheblicher Teil des europäischen Maises für den menschlichen Verzehr verwendet. Genannt wurden von der Confederation die Produkte Grieß, Stärke und Zuckermais. Außerdem komme in vielen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens Mais eine wichtige Rolle als Grundnahrungsmittel zu.
Bei der derzeitigen Lage auf dem
Weltmarkt seien diese Staaten unmittelbar von dem starken Preisanstieg betroffen. Neben Weizen bedeute auch jede Tonne Mais, die auf dem Weltmarkt nicht verfügbar sei, eine zusätzliche Belastung für diese Länder und ihre Bevölkerung, so die CEPM. Dieser Realität trage die EU-Kommission mit dem Ausschluss von Mais keinerlei Rechnung.