Zwar räumte der stellvertretende DBV-Generalsekretär
Udo Hemmerling in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsernährungsausschusses am Montag (16.5.) im
Bundestag ein, dass der Mengeneffekt einer Aussetzung begrenzt sein werde. Gleichwohl sei es angebracht, die Einführung dieser Maßnahme zumindest zeitlich aufzuschieben, ohne jedoch gänzlich darauf zu verzichten.
Der Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, Prof. Matin Qaim, verwies auf die wichtige Funktion von Brachflächen für die
Biodiversität und sprach sich gegen einen Verzicht aus. Sinnvoll könnte aber eine temporäre Aussetzung bei gleichzeitiger Reduzierung des vorgesehenen 4 %-Satzes sein, so der Bonner Agrarökonom.
Kritisch zur Aussetzung der
Stilllegung äußerten sich Dr. Norbert Röder vom
Thünen-Institut für
Ländliche Räume und Prof. Sebastian Lakner vom Institut für Agrarökonomie der Universität Rostock.
Weltweite Getreideversorgung knapp
Hemmerling veranschlagte den Umfang der zusätzlichen Ackerflächen für die
Getreideproduktion durch einen Verzicht auf Stilllegung auf rund 200.000 ha. Ausgehend von einem Ertrag in Höhe von etwa 50 dt/ha auf diesen eher unterdurchschnittlich ertragreichen Flächen resultiere daraus eine Gesamtmenge von etwa 1 Mio. t Getreide in Deutschland.
Europaweit vervielfache sich dieser Mengeneffekt allerdings. Nach Einschätzung des stellvertretenden DBV-Generalsekretärs wird die weltweite
Versorgung bei Getreide in den kommenden Jahren weiter knapp bleiben. Deutschland habe in den letzten Jahren jeweils etwa 8 Mio. t Brotweizen exportiert. Um diesen globalen Beitrag zu erhalten, brauchten die Landwirten eine sichere Düngemittelversorgung.
Im Falle eines Versorgungsnotfalles bei Gas müsse die Ernährungs- und Landwirtschaft vorrangig berücksichtigt werden. Zustimmung signalisierte Hemmerling zur Initiative des Bundeslandwirtschaftsministeriums für eine spätere Einführung des Fruchtwechselgebotes. Dabei gehe es um geschätzt 500.000 ha Stoppelweizen, die sonst fehlen würden.
Lakner betonte den Wert der Brachflächen für die Biodiversität. Um deren positiven Effekte zu stärken, sei allerdings eine koordinierte Ausweisung in der Region notwendig. Der Wissenschaftler verwies auf Möglichkeiten, die in diesem Zusammenhang ein kooperativer Naturschutz bieten könne. Das zeige das Beispiel der Niederlande.
Thünen-Wissenschaftler Röder stellte klar, dass ein Aussetzen oder der komplette Verzicht auf die Pflicht zur Stilllegung ab 2023 der
Artenvielfalt schaden und nicht den ökonomisch gewünschten Erfolg bringen würde, den manche von einer solchen Maßnahme erwarteten. Keinesfalls dürften die negativen Effekte unterschätzt werden.
Einerseits seien Verbesserungen in der Biodiversität oder bei der Speicherung von Bodenkohlenstoff auf Brachflächen nur über mehrere Jahre hinweg zu erreichen. Andererseits würden Fortschritte durch die mit einer Nutzung verbundenen Eingriffe schnell zunichte gemacht. Daher sollte Röder zufolge der Sicherung bestehender Brachflächen eine hohe Priorität eingeräumt werden.
Ausbleibende Produktivitätsfortschritte als Kernproblem
ZEF-Direktor Qaim kritisierte einseitige Betrachtungen der zunehmenden globalen Ernährungsunsicherheit. „Hunger ist ein Verteilungs- und ein Mengenproblem“, sagte der Agrarökonom. Er bezeichnete ausbleibende Produktivitätsfortschritte in der
Agrarproduktion als eine wesentliche Ursache des seit Jahren wachsenden Hungerproblems.
Umso dringender sei der Einsatz von Innovationen unter Einschluss gentechnischer Methoden, die zu Unrecht in Verruf gekommen seien. Keine Lösung sieht der Wissenschaftler angesichts weltweit zurückgehender Landwirtschaftsflächen in einem Vorgehen nach dem Prinzip „Chemie raus,
Ökolandbau hoch“. Stattdessen müsse es darum gehen, auf kleiner werdender Produktionsflächen mehr zu produzieren, ohne ökologische Anforderungen abzusenken.
Internationalen Handel sichern
Der Direktor beim World Food Programm der Vereinten Nationen (WFP), Dr. Martin Frick, betonte die Notwendigkeit, den weltweiten Handel mit Nahrungsmitteln, Kraftstoffen und Düngemitteln aufrechtzuerhalten.
Eine Voraussetzung dafür sei die sofortige Wiedereröffnung der Schwarzmeerhäfen, damit dringend benötigte
Nahrungsmittel aus der Ukraine hungernde Menschen in Ländern wie Afghanistan, Äthiopien, Südsudan, Syrien und Jemen erreichen könnten. Daneben seien betreffende Länder aufgefordert, eingelagertes Getreide zur Verfügung zu stellen.
Unbedingt vermieden werden müssten Ausfuhrbeschränkungen für wichtige Güter, um globale
Nahrungsmittelpreise nicht noch weiter in die Höhe zu treiben. Schließlich gelte es, Agrarspekulationen durch mehr Transparenz entgegenzuwirken. Dazu gelte es, Initiativen wie das Agrarmarktinformationssystem (AMIS) zu stärken, um den reibungslosen Ablauf des Agrarhandels zu gewährleisten.
Mittel- und langfristig sieht Frick eine wichtige Aufgabe darin, Menschen in Entwicklungsländern dabei zu unterstützen, wieder eigenständig Nahrungsmittel anzubauen und so langfristig ihre Abhängigkeit von Importen und von Hilfslieferungen zu verringern.
Absage an Roll-Back in der Agrarpolitik
Vor einem „Roll-Back“ in der Landwirtschaftspolitik warnte Stig Tanzmann von Brot für die Welt. Zur Bekämpfung der aktuellen Hungersnöte im globalen Süden und der drohenden Engpässe wegen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine seien „global abgestimmte Maßnahmen“ notwendig. Als wichtigste Schritte für mehr Transparenz und für mehr
Nahrungsmittelsicherheit müssten Spekulationen beendet werden.
Der Referent forderte einen Rückgang der tierischen Erzeugung in Deutschland, um Flächen für den Anbau von Pflanzen zur unmittelbaren menschlichen
Ernährung zu mobilisieren. Eine Absage erteilte Tanzmann der „neuen Gentechnik“. Lena Bassermann vom Inkota-Netzwerk verlangte ein Verbot von Agrarfinanzgeschäften in Krisenzeiten.