Die Haltungskennzeichnung sei nicht der Schlüssel für den Umbau, sagt der Wissenschaftler im Interview mit AGRA-EUROPE. Dies gelte erst recht nicht in den ersten Jahren, in denen sie nur für frisches
Schweinefleisch vorgesehen sei. Zudem habe der vorgelegte
Gesetzentwurf handwerkliche Schwächen.
Für Grethe steht außer Frage, dass eine flächendeckende Neuaufstellung der
Nutztierhaltung allein über „die Entscheidung an der Ladenkasse“ nicht funktionieren wird. Entscheidend für den Umbau der Tierhaltung seien daher langfristig verlässliche Tierwohlprämien. Dies sei die Voraussetzung, dass die vereinbarte Anschubfinanzierung tatsächlich Kraft entfalten könne. Und es würde der Forderung der Borchert-Kommission nach einer „hinreichend klare Finanzperspektive“ Rechnung tragen.
Die dabei anvisierten zehn Jahre sieht der Wissenschaftler als absolute Untergrenze. Noch sei das Zeitfenster offen: „Wenn 2023 die notwendigen politischen Entscheidungen getroffen werden, kann ein Einstieg in den Umbau gelingen.“
Grethe bekennt sich zu einer Reduzierung der Tierhaltung, kritisiert aber Ausmaß und Form des aktuellen Rückgangs in der Schweinehaltung, der einem „Abbau mit der Abrissbirne“ gleichkomme. Der treffe oft gerade diejenigen, die bereit seien, einen Umbau zu deutlich mehr
Tierwohl zu leisten. „Wir versagen als Gesellschaft zurzeit, weil wir den vielen Tierhalterinnen und Tierhaltern, die gerne zu einem deutlich höheren Tierwohlniveau produzieren wollen, keine Optionen bieten.“
Viel zu wenig passiert
Enttäuscht zeigt sich Grethe von der bisherigen Arbeit der Ampelkoalition. In Bezug auf die großen Stellschrauben wie etwa der Umbau der Nutztierhaltung und die Verringerung des Konsums tierischer Produkte, Wiedervernässung der Moore, oder eine gute Dünge- und Pflanzenschutzpolitik sei „viel zu wenig passiert“.
Scharfe Kritik übt der Direktor des ThinkTanks Agora Agrar an den Brüsseler Pflanzenschutzpositionen: „Die Vorschläge für pauschale Verbote von Pflanzenschutzmitteln in umfangreichen Gebietskulissen und ohne Kompensationszahlungen haben in Deutschland viel aufgebautes Vertrauen zwischen Sektor, Zivilgesellschaft und Politik beschädigt.“
Laut Grethe sollte die Bundesregierung ein Konzept entwickeln, das nicht vorrangig auf Verbote setzt, sondern Handlungsspielräume für Landwirtinnen und Landwirte lässt und trotzdem eine ambitionierte Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes erlaube. Hierfür kämen beispielsweise zwischen landwirtschaftlichen Betrieben handelbare Zertifikate in Frage.