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19.06.2022 | 06:00 | Ukraine-Krieg 

Ukraine: Agrarminister rechnet mit weiter rückläufiger Weizenversorgung

Kiew - Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solsky hält es für möglich, dass große Teile von bis zu drei Weizenernten in dem von Russland angegriffenen Land für den Weltmarkt und damit für die globale Lebensmittelversorgung verlorengehen.

Agrarminister Mykola Solsky
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Ukrainischer Agrarminister Mykola Solsky (c) proplanta
Gegenüber dem Nachrichtendienst Reuters stellte Solsky vergangene Woche klar, dass es inzwischen nicht mehr nur um die nicht exportierten Bestände des Vorjahres und die womöglich verderbende Getreideernte 2022 gehe. Der Minister wies darauf hin, dass in wenigen Monaten schon die Aussaat der Winterweizenernte beginne.

Wegen der anhaltenden Kriegshandlungen und der Blockade der ukrainischen Seehäfen sowie der sich anbahnenden großen Erntemenge, für die absehbar kein professioneller Lagerraum zur Verfügung stehe, könnte in diesem Jahr aber alles anders sein, warnte Solsky.

Viele Bauern überlegten bereits, ob sich die Weizenaussaat überhaupt noch lohne. Immerhin sei schon aus den Ernten 2021 und 2022 ein erheblicher Lagerbestand zu erwarten, von dem man nicht wisse, ob dieser überhaupt vermarktet werden könne.

Solsky hält es deshalb für möglich, dass die Aussaatfläche beim Weizen zur Ernte 2023 deutlich kleiner ausfällt. Ihm zufolge wurden zur diesjährigen Ernte auf rund 6,5 Mio. ha Winterweizen angebaut, von denen sich 1,5 Mio. ha in von Russland kontrollierten Gebieten befinden. Damit dürften schon im Wirtschaftsjahr 2022/23 schätzungsweise 5 Mio. t Weizen aus der ukrainischen Bilanz fallen, stellte der Agrarminister fest.

Er gab auch zu bedenken, dass ukrainische Landwirte ihre Aussaatpläne schon in diesem Frühjahr von Körnermais hin zu Sonnenblumen, Buchweizen und anderen Kulturen geändert hätten, die transportwürdiger seien als Mais oder dem ukrainischen Eigenbedarf dienten. Die dürfte im Herbst auch beim Weizen so geschehen.

Inlandsversorgung gesichert

Anfang voriger Woche hatte Solskys Stellvertreter, Taras Vysotsky, festgestellt, dass die Ukraine durch den russischen Angriffskrieg einen beachtlichen Teil ihrer Anbauflächen zumindest für dieses Jahr verloren habe. Die Inlandsversorgung sei dennoch gesichert.

Laut Vysotsky konnte etwa ein Viertel der geplanten Flächen als Folge der Kriegshandlungen nicht wie geplant bestellt werden. Zudem hätten die Landwirte mit Blick auf die Entwicklungen im Land und beim Export ihre Prioritäten bei der Frühjahrsaussaat geändert.

Statt auf ressourcenintensive und anspruchsvolle Kulturen für den internationalen Markt zu setzen, habe man vielerorts Pflanzen bevorzugt, die mit relativ geringem Aufwand angebaut werden könnten oder weniger Platz in der Logistik beanspruchten. So falle die Anbaufläche beim Körnermais mit geschätzten 4,6 Mio. ha um fast ein Fünftel kleiner aus als im Vorjahr, während die Fläche mit Sonnenblumen mit 4,7 Mio. ha nahezu stabil geblieben sei. Trotz des vorläufigen Verlusts an Anbauflächen sei die absehbare Ernte aber vollkommen ausreichend, um den Inlandsbedarf zu decken, betonte der Vizeminister.

20 Millionen Tonnen Weizen erwartet

Laut dem Landwirtschaftsministerium liegen zudem wegen der Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen noch bis zu 20 Mio. t Getreide aus der Ernte 2021 auf Lager. Auch sei die Bevölkerung durch Flucht ins Ausland deutlich geschrumpft, was den Nahrungsmittelbedarf derzeit spürbar senke, gab Vysotsky zu bedenken. Das Agrarressort geht in einer ersten Prognose zur Getreideernte 2022 von 48 Mio. t bis 50 Mio. t aus, womit es in etwa bisherige, private Schätzungen bestätigt.

Beim Weizen rechnet es mit einem Aufkommen von lediglich bis zu 20 Mio. t aus, nach 33 Mio. t im Vorjahr. Die Gerstenernte soll 5 Mio. t erreichen und damit knapp die Hälfte der Vorjahresmenge einbringen.

Die Maiserzeugung wird laut dem Kiewer Ministerium bei 24 Mio. t liegen, was einem Minus von fast 14 Mio. t oder gut einem Drittel entsprechen würde.

Die Rapserzeugung wird amtlicherseits auf 2,5 Mio. t geschätzt, 0,4 Mio.  t niedriger als 2021. Bei den für den Export noch wichtigeren Sonnenblumen soll die Ernte etwa 10 Mio t betragen. Damit würde das Vorjahresniveau hier um fast 7,0 Mio. t verfehlt. An Sojabohnen könnten bis zu 2,8 Mio. t vom Feld geholt werden, verglichen mit 3,5 Mio. t im Vorjahr.

Prognose auf wackeligen Füßen

Vysotsky räumte bei der Bekanntgabe der Prognose ein, dass diese angesichts der Kriegshandlungen im Osten des Landes und der Schwierigkeiten bei der Aussaat noch auf sehr wackligen Füßen stehe. Deutliche Korrekturen nach oben oder unten seien deshalb mit fortschreitenden Erntearbeiten denkbar. Abzuwarten bleibe auch, welche Mengen an Getreide und Ölsaaten tatsächlich vom Feld geborgen und später erhalten werden könnten.

Lagerraum sei aufgrund der noch Bestände aus der Ernte 2021 und teils zerstörter landwirtschaftlicher Einrichtungen vielerorts knapp. Laut Angaben des Nachrichtendienstes Ukrinform sind schon die ersten Wintergerstenbestände in der Region Odessa und im ukrainischen Teil Bessarabiens gedroschen worden.

Beim Ukrainischen Agrarrat (VAR), der landesweit etwa 1.100 Unternehmen mit insgesamt rund 3,5 Mio. ha Anbaufläche vertritt, wächst unterdessen die Sorge, was die Lagerung der neuen Ernte betrifft. Der Verbandsvorsitzende Andriy Dykun geht davon aus, dass für mindestens 10 Mio. t kein professioneller Lagerraum zur Verfügung stehen wird. Er regte deshalb an, jetzt schnellstmöglich die Voraussetzungen für provisorische Lagermöglichkeiten zu schaffen und Kunststoffschläuche oder Silobags in möglichst großer Zahl zu importieren.

Vorschlägen Russlands nicht zu trauen

Ungeachtet dessen mahnte der Agrarrats-Vorsitzende, alles für die Aufhebung der Hafenblockade und die Wiederaufnahme der Exporte über die Seehäfen zu unternehmen. Ansonsten drohe der Verlust großer Mengen an Getreide, da Provisorien nur für eine kurze Lagerzeit geeignet seien. Dennoch sieht es trotz der in der vorletzten Woche erfolgten russischen Offerte zur Freigabe der Schwarzmeerhäfen nicht nach einer schnellen Lösung aus.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in der vergangenen Woche noch einmal klargestellt, dass man nur dann der Minenräumung der Hafengebiete und der Schaffung eines Transitkorridors im Schwarzen Meer zustimmen werde, wenn dieser von „Staaten, denen wir vertrauen können“, gesichert werde. Den russischen Vorschlägen traue er jedenfalls nicht, betonte Selenskyj.

Im Übrigen sollte die Blockade der Schwarzmeerhäfen von denen aufgehoben werden, die sie begonnen hätten, so der Präsident bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und weiteren europäischen Spitzenpolitikern in Kiew. Selenskyj will unterdessen weiter an alternativen Transportrouten arbeiten und die Kapazitäten für Exporte per Bahn, Lkw oder Schiffen über die Donau ausbauen.
AgE
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