Umweltausschuss will für Rinder deutlich höheren Schwellenwert
Brüssel - Die Vorschläge der Brüsseler Kommission zur Novellierung der EU-Industrieemissionsrichtlinie (IED) gehen im Hinblick auf die Tierhaltung selbst den Umweltpolitikern im Europaparlament zu weit.
Die EU-Umweltpolitiker plädieren für eine Einbeziehung der Rinderhaltung ab 300 Großvieheinheiten - Für höheren Schwellenwert bei Schweinen und Geflügel als von der Kommission vorgeschlagen - Plenum entscheidet im Juli - Unterschiedliche Berechnungsschlüssel - Hennies: Bauernhöfe sind keine Industriebetriebe - Krüsken warnt vor Gefährdung des Tierwohls. (c) proplanta
Der Umweltausschuss hat am vergangenen Mittwoch (24.5.) in seinen Empfehlungen für das Plenum eine Verdoppelung des Schwellenwertes für die Rinderhaltung auf 300 Großvieheinheiten (GVE) gefordert.
Die Kommission hat bekanntlich für Rinder, Schweine und Geflügel sowie Gemischtbetriebe eine Grenze von jeweils 150 GVE vorgeschlagen; der gleiche Grenzwert soll für Gemischtbetriebe gelten. Für Schweine und Geflügel sind die Umweltpolitiker für eine leichtere Anhebung, nämlich auf jeweils 200 GVE. Auch soll es nach ihrem Willen Ausnahmen bei extensiver Tierhaltung geben.
Gemischtbetriebe, die die drei genannten Tierarten halten, sollen gemäß den Vorstellungen des Umweltausschusses bei einem Schwellenwert von 250 GVE zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Emissionsminderung ergreifen müssen. Der Mandatsentwurf soll im Juli dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt werden. Im Anschluss könnten dann die Trilog-Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission beginnen.
Agrarpolitiker gegen Aufnahme der Rinderhaltung
Sehr viel niedrigere Werte hatte der Landwirtschaftsausschuss in seiner Stellungnahme von Ende April empfohlen. Rinderhalter sollten ihm zufolge gar nicht in die Richtlinie aufgenommen, Gemischtbetriebe daraus gestrichen werden.
Ferner forderten die Agrarpolitiker, die GVE-Schwellenwerte für Geflügel und Schweine in Stallplatz-Obergrenzen umzuwandeln, wie es bislang praktiziert wird. Dabei wurde für Geflügel als Schwelle eine Stallplatzzahl von gut 40.000 vorgeschlagen, für Mastschweine von 2.000. Für Sauen wollte der Landwirtschaftsausschuss eine Obergrenze von 750 Stallplätzen. Dies hätte exakt den Vorgaben der seit 2010 gültigen IED entsprochen.
Im März hatte sich die Mehrheit des auf Seiten der Mitgliedstaaten federführenden Umweltrates dafür ausgesprochen, für Rinder und Schweine einen Grenzwert von jeweils 350 GVE einzuführen. Für Geflügel soll es nach dem Willen des Rates ab 280 GVE eine verpflichtende Anwendung der IED-Regeln geben. Dagegen soll der Wert für Gemischtbetriebe mit den drei genannten Tierarten - wie im Fall von Rindern und Schweinen - 350 GVE betragen.
Unterschiede bei Berechnungsschlüsseln
Zu beachten ist allerdings, dass es Unterschiede bei den GVE-Berechnungsschlüsseln auf EU-Ebene und in Deutschland gibt. Bisher wurden in der aktuell gültigen IED statt GVE-Schwellenwerte numerische Bestandszahlen festgelegt. So wird beispielsweise eine Milchkuh vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) als 1,0 GVE gewertet.
Hingegen stuft das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) eine Milchkuh als 1,2 GVE ein. Dies bedeutet, dass bei einer Grenze von 350 GVE nach dem Eurostat-Wert künftig noch die Haltung von bis zu 350 Milchkühen ohne emissionsrechtliche Genehmigungspflicht erlaubt wäre, während es laut KTBL-Schlüssel lediglich bis zu 291 Milchkühen wären.
Für Schweine liegen die in Deutschland verwendeten KTBL-Umrechnungswerte dagegen deutlich niedriger als jene von Eurostat. So werden von den Luxemburger Statistikern alle Schweine - außer Sauen sowie Ferkel unter 20 kg - mit jeweils 0,3 GVE bewertet. Derweil sieht der in Deutschland übliche KTBL-Schlüssel nur 0,13 GVE für Mastschweine im Gewichtsbereich zwischen 25 kg und 115 kg vor.
Pragmatischer Kompromiss
Der umweltpolitische Sprecher der EVP, Dr. Peter Liese, wies darauf hin, dass seine Fraktion einen pragmatischen Kompromiss gefunden habe. Er bezeichnete den Beschluss als „eine Zeitenwende“ im Umweltausschuss des Europaparlaments. Denn laut dem CDU-Politiker hat das Gremium zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Vorschlag der EU-Kommission in allen relevanten Punkten substantiell abgeschwächt.
Derweil hatte der Deutsche Bauernverband (DBV) im Vorfeld der Entscheidung nochmals auf die Gefahr von drastischen Verschärfungen für die Landwirtschaft im Zuge der Novellierung der Industrieemissionsrichtlinie aufmerksam gemacht. DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken appellierte an die EU-Umweltpolitiker, die Anliegen der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu berücksichtigen. Krüsken warnte mit Nachdruck davor, die Rinderhaltung in die Industrieemissionsrichtlinie einzubeziehen.
Im Zweifel für das Tierwohl
Zudem dürften die bestehenden Schwellenwerte für Ställe mit Schweinen und Geflügel, ab denen Betriebe zusätzliche Maßnahmen zur Emissionsminderung ergreifen müssten, nicht reduziert werden, betonte der DBV-Generalsekretär. Schließlich müsse die vorgesehene Aggregationsregel gestrichen werden, nach der mehrere Ställe eines Betriebes bei der Emissionsminderung zusammen betrachtet werden.
„Wir stehen zu einer Tierhaltung, die ihre Umweltauswirkungen stetig reduziert“, unterstrich Krüsken. Gleichzeitig gebe es jedoch Zielkonflikte zwischen mehr Tierwohl auf der einen und der Emissionsminderung auf der anderen Seite. Im Zweifel müsse dabei das Tierwohl an erster Stelle stehen, forderte der DBV-Generalsekretär. Dies sollte auch die Leitlinie für die Abstimmung im Plenum des Europaparlamentes sein.
Auch kleine Höfe betroffen
Scharfe Kritik an den Beschlüssen der EU-Umweltpolitiker übte auch der Präsident des Landvolks Niedersachsen, Dr. Holger Hennies. Beim Landvolkpräsidenten stößt es ebenfalls auf Missfallen, dass rinderhaltende Betriebe künftig Teil der Richtlinie sein sollen. Konkret warnt Hennies vor einem deutlichen Anstieg der Investitions- und Betriebskosten für diese Höfe. Einen höheren Milchpreis bekomme man dafür nicht.
Noch weniger akzeptabel sei es, dass die Schwellenwerte für Schweine- und Geflügelställe für die höheren Anforderungen der IED jetzt sogar fast jede Bauernfamilie treffen würden, die aus der Schweine- oder Geflügelhaltung einen Teil oder den Großteil ihres Einkommens erwirtschafteten. „Selbst kleine Höfe sind betroffen“, beklagte der Landvolkpräsident. „Unsere Bauernhöfe sind aber keine Industriebetriebe.“
Position nochmal überdenken
Daher erwartet Hennies jetzt, dass das Europaparlament als Ganzes die Position des Umweltausschusses noch einmal überdenkt und sich der Haltung des Landwirtschaftsausschusses annähert. Auch bei den EU-Ausschüssen der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) stieß der Mandatsentwurf des Umweltausschusses zu der IED-Novelle auf scharfe Kritik.
Bereits die geltende Richtlinie aus dem Jahr 2010 habe gezeigt, dass die Umsetzung der Vorgaben für die Landwirte kostspielig und verwaltungsaufwändig sei. Eine Ausweitung auf die Mehrheit der Tierhaltungsbetriebe hätte „untragbare Folgen“ für die Erzeuger, ihre Familien und die ländlichen Gebiete, warnten COPA und COGECA.