Davon geht zumindest der Brüsseler Haushaltskontrollpolitiker Daniel Freund angesichts des nun von der
EU-Kommission begonnenen Verfahrens im Rahmen des Rechtsstaatsmechanismus aus. Der Grünen-Politiker begründete seine Einschätzung vergangener Woche im Gespräch mit AGRA-EUROPE unter anderem mit der Begünstigung von politischen Freunden von Regierungschef Viktor Orbán beim Verkauf von sich in Staatshand befindlichen Agrarflächen.
Nach Darstellung Freunds ist es nach wie vor gängige Praxis, dass angebotene Flächen entweder nicht ordnungsgemäß ausgeschrieben werden oder der Flächenzuschnitt absichtlich derartig groß gewählt wird, dass die meisten Landwirte finanziell nicht in der Lage sind, mitzubieten. Demgegenüber würden Oligarchen und Strohmänner des ungarischen Ministerpräsidenten, wie Orbáns Schulfreund LörincMeszváros, systematisch bevorzugt.
Als weitere Kritikpunkte brachte der Europaabgeordnete das „kaputte Katasterwesen“ sowie die Benachteiligung ausländischer Bieter vor. Des Weiteren gebe es auch große Probleme beim Vergabewesen, was sich auf die ordentliche Auszahlung von Geldern der Zweiten Säule negativ auswirke.
EU-Rechtsstaatsmechanismus erstmalig in Gang gesetztDie Kommission hatte in der vorigen Woche für Ungarn den seit Januar 2021 gültigen EU-Rechtsstaatsmechanismus zum ersten Mal in Gang gesetzt. In dem an Budapest übersendeten Notifizierungsschreiben hatte die Kommission unter anderem die von Freund dargelegten Vorwürfe ausgeführt.
Mit der nun begonnenen ersten Phase des Prozesses beginnt ein dreimonatiger Dialog zwischen der Brüsseler Behörde und der ungarischen Regierung. Sollte es nach den Konsultationen keine Einigung auf eine hinreichende Behebung der Probleme geben, kann die Behörde im Rahmen der zweiten Phase einen konkreten Sanktionsvorschlag vorlegen. In diesem wird dann festgelegt, welche Haushaltsmittel und welche Anteile der Zahlungen nach Ansicht der Kommission an den Nettoempfänger Ungarn eingefroren werden sollten.
Ungarn müsste
EU-Zahlungen bei Sperrung vorstrecken Im Anschluss müssten dann die Mitgliedstaaten per Mehrheitsbeschluss und mit Zustimmung des Europaparlaments den Vorschlag der Kommission auch noch annehmen. Voraussetzung sind die Stimmen von mindestens 15 EU-Länder mit nicht weniger als 65 % der in der EU lebenden Bevölkerung.
Sollte es tatsächlich zu einem entsprechenden Beschluss kommen, müssten die ungarischen
Bauern zumindest der Theorie nach zunächst aber nicht mit einem Zahlungsausfall ihrer Beihilfen rechnen. Ungarn wäre dann verpflichtet, die Förderung aus nationalen Mitteln vorzustrecken. Dies müsste solange geschehen, bis die von Brüssel vorgebrachten Kritikpunkte abgestellt würden. Unklar wäre allerdings, ob das Land kurzfristig überhaupt dazu in der Lage oder willens wäre, die Zahlungen zu leisten.