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16.10.2022 | 14:00 | EU-Abstimmung 

Wiederzulassung von Glyphosat: Wann fällt die Entscheidung?

Brüssel - Der Pflanzenschutzmittelwirkstoff Glyphosat entzweit erneut die EU-Mitgliedstaaten. Eine Entscheidung über den Kommissionsvorschlag zur Wiederzulassung des Herbizidwirkstoffs blieb vergangene Woche aus.

Wiederzulassung von Glyphosat
Keine qualifizierte Mehrheit dafür oder dagegen - Deutschland und Frankreich sowie Slowenien enthalten sich. (c) proplanta
In der Abstimmung am Freitag (14.10.) im Ständigen Ausschuss der EU-Kommission für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) gab es weder eine qualifizierte Mehrheit für noch gegen eine einjährige Verlängerung der Zulassung bis zum 15. Dezember 2023, auch wenn die Befürworter in der Überzahl waren.

Deutschland enthielt sich erwartungsgemäß bei der Abstimmung. Gleiches taten Frankreich und Slowenien. Gegen den Entwurf votierten Kroatien, Luxemburg und Malta. Bekanntlich liegen die erforderlichen Schwellen für eine qualifizierte Mehrheit bei mindestens 55 % der Mitgliedstaaten sowie 65 % der EU-Bevölkerung. Demnach waren insbesondere die Enthaltungen der beiden größten EU-Länder - Deutschland und Frankreich - maßgeblich dafür, dass das Quorum von 65 % der EU-Bevölkerung knapp verfehlt wurde. Das bedeutet, dass nun der SCoPAFF-Berufungsausschuss an der Reihe ist. Die Abstimmung dort dürfte aller Voraussicht spätestens in drei Wochen angesetzt werden. Sollte es hier seitens der EU-Länder erneut keine Entscheidung für oder gegen die Wiederzulassung geben, kann die Kommission ihren Zulassungsvorschlag umsetzen.

Derweil hieß es von einer Sprecherin der Behörde auf Anfrage, dass man die Mitgliedstaaten, die sich enthalten oder gegen eine Wiederzulassung gestimmt haben, ermuntern wolle, ihre Entscheidung zu überdenken.

Warten auf Risikobewertung

Der Kommissionsvorschlag über die einjährige Verlängerung basiert auf der aktuell geltenden Risikobewertung, da die federführende Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ihre abschließende Neubewertung desWirkstoffs voraussichtlich erst im Juli 2023 vorlegen wird. Ursprünglich war eine Präsentation der Ergebnisse spätestens für Herbst dieses Jahres anvisiert worden. Diese Frist sei aufgrund der umfangreichen Rückmeldungen im Bewertungsprozess nicht einzuhalten, begründete EFSA die Verzögerung.

Derweil hat die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) im Rahmen der neuen Risikobewertung bereits Ende Mai dieses Jahres klargestellt, dass die Einstufung von Glyphosat als krebserregend „nicht gerechtfertigt“ sei. Damit bestätigte die EU-Behörde in Helsinki ihre Einschätzung aus dem Jahr 2017, die mit zur Wiederzulassung von Glyphosat beigetragen hatte. Bekanntlich hatte Deutschland im selben Jahr unter dem damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU zum Ärger des Koalitionspartners SPD für eine Wiederzulassung des Herbizidwirkstoffs für fünf Jahre gestimmt und damit für eine qualitative Mehrheit der „Ja- Sager“ gesorgt.

Ausstieg in Deutschland 2024

Derweil stellte das Bundeslandwirtschaftsministerium jetzt klar, dass sich die Bundesregierung darauf verständigt habe, die Anwendung von Glyphosat in Deutschland zu beenden. Der Ausstiegstermin sei laut Koalitionsvertrag auf den 1. Januar 2024 datiert und bereits in der aktuell geltenden Pflanzenschutzanwendungsverordnung verankert. Die Bundesregierung begründe ihre Enthaltung damit, dass der EU-Kommission bei der formal-administrativen Verlängerung der Glyphosatzulassung um einen kurzen Zeitraum nicht im Weg gestanden werden dürfe, so das Agrarressort. Die Verlängerung sei auch notwendig, um „die Standhaftigkeit der fachlichen Entscheidung über eine Erneuerung oder Nicht-Genehmigung im Rahmen gerichtlicher Überprüfungen zu gewährleisten“. Schließlich solle eine fachliche Entscheidung nicht aufgrund von Form- oder Verfahrensfehlern anfechtbar sein.

Krisen gemeinsam im Blick behalten

Allerdings mache die Bundesregierung auch keinen Hehl daraus, dass man die Verzögerung im Verfahren kritisch sehe, erklärte das Ministerium. So habe man die Kommission schon vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen von Glyphosat auf die biologische Vielfalt in dem Verfahren zur Wiedergenehmigung eine maßgebliche Rolle spielen müsse. Darüber hinaus verweist das Bundeslandwirtschaftsministerium darauf, dass Berlin an dem erklärten europäischen Ziel, den Landwirtschaftssektor nachhaltiger, ökologischer und damit zukunftsfest zu gestalten, festhalte. Gerade vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und den dadurch bedingten Erschütterungen der globalen Agrar- und Ernährungssysteme gelte es, alle Krisen gemeinsam im Blick zu behalten.

Ernährungssicherheit könne allerdings nur „mit dem Erhalt der Artenvielfalt, einer intakten Umwelt und mit echtem Klimaschutz erreicht werden“, betonte das Berliner Agrarressort. Die Bundesregierung setze daher im Einklang mit dem Green Deal auf eine Agrarpolitik, die Klimaschutz und Biodiversität als grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Landwirtschaft erkenne und berücksichtige.

Mehr CO2 bei Ausstieg

Derweil warnte FDP-Agrarsprecher Dr. Gero Hocker vor einer Politisierung der technischen Übergangszulassung. Daher hat sich seine Fraktion in der Koalition dafür eingesetzt, dass sich Deutschland bei der Abstimmung enthalte. „Somit haben wir ein wichtiges Zeichen gesetzt“, betonte Hocker. Zukünftige Entscheidungen dürfen nur aufgrund von Wissenschaftlichkeit getroffen werden und nicht politischen Glaubenssätzen und Ideologien unterliegen.

In der derzeitigen Lage sei dieser Grundsatz von besonderer Bedeutung, damit heimische Landwirte durch effizienten Ackerbau die heimische Bevölkerung, aber auch Menschen anderer Staaten versorgen könnten. Ein politisch herbeigeführter Glyphosat-Ausstieg würde hingegen Ernteverluste und ein mehr an Kohlendioxid bedeuten, gab der Liberale zu bedenken. Eine weitere Genehmigung des Wirkstoffes nach wissenschaftlichen Kriterien „wäre deshalb wünschenswert“.
AgE
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