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31.01.2021 | 14:45 | Nichtlandwirtschaftliche Investoren 

Agrarbetriebe wachsen über Holdingstrukturen

Berlin - Hinweise auf eine Veränderung des agrarstrukturellen Wandels in Ostdeutschland hat eine Studie des Thünen-Instituts für Ländliche Räume ergeben.

Agrar-Holdings
(c) proplanta
„Das betriebliche Wachstum vollzieht sich zunehmend in lokalen und überregional organisierten Holdingstrukturen“, sagte Projektleiter Andreas Tietz bei der Vorstellung der Ergebnisse am Donnerstag (28.1.) im Bundeslandwirtschaftsministerium (Dokumentation). Laut Tietz wird dieser Prozess von nichtlandwirtschaftlichen Investoren, zum Teil aber auch den Landwirten selbst vorangetrieben. Die in den Landkreisen Vorpommern-Rügen und Märkisch-Oderland durchgeführten Untersuchungen kommen unter anderem zudem Ergebnis, dass ortsansässige Betriebsinhaber besser in das Dorfleben integriert sind als Akteure von überregionalen, aber auch regionalen Agrarholdings.

Zudem sind die Eigentumskonzentrationen in den beiden Fallregionen höher als bisher vermutet. In manchen Gemeinden liegen deutlich mehr als 50 % des Acker- und Grünlands in den Händen der drei größten Flächeneigentümer. Vor allem der wirtschaftliche Druck nach der Wende hat laut Studie Privatpersonen veranlasst, Flächen zu verkaufen.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wertete die Studie als Bestätigung der Gefahr von Fehlentwicklungen auf dem Bodenmarkt durch die Aktivitäten insbesondere von außerlandwirtschaftlichen Investoren. Sie warf den ostdeutschen Landesregierungen vor, weiterhin nichts gegen deren zunehmende Aktivitäten zu tun. Die würden immer mehr zur Gefahr für die bäuerliche Landwirtschaft und deren Zugang zu Grund und Boden. „Ich habe kein Verständnis, dass nicht gehandelt wird“, sagte die Ministerin.

Direktzahlungen nicht ausschlaggebend

Die Thünen-Studie im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist ein Baustein einer umfassenden Untersuchung, die Mitte 2022 abgeschlossen sein soll. Die Braunschweiger Wissenschaftler unterscheiden zwischen lokalen Holdings aus Nachfolgeunternehmen von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), neuen lokalen Holdings, die aus später entstandenen eigenständigen Unternehmen entstanden sind, sowie überregionalen Holdings, die teilweise über Tochterunternehmen in anderen Regionen verfügen.

Kontrolliert werden die überregionalen Holdings laut Thünen-Klassifikation von nichtortsansässigen, nichtlandwirtschaftlichen Investoren. Ein wesentlicher Faktor für die Bildung von Holdings sei die strukturelle Schwäche von LPG-Nachfolgeunternehmen. Verkäufe erfolgten zumeist im Zuge des Generationswechsels in deren Führungsebene.

Nicht ausschlaggebend für ein Engagement von außerlandwirtschaftlichen Investoren sind nach Aussage von Projektleiter Tietz die EU-Direktzahlungen. Sie seien für die Entscheidung zum Einstieg in die Landwirtschaft unerheblich.

Distanz verstärkt sich

Keinen maßgeblichen Einfluss haben Holdings laut Thünen- Studie auf die Entwicklung ländlicher Räume. Die Wissenschaftler verweisen auf die insgesamt gesunkene Bedeutung der Landwirtschaft in den Dörfern. Landwirtschaft spiele aber nach wie vor eine wichtige Rolle für die lokalen, natürlichen Ressourcen und ressourcennahen Infrastrukturen, so Tietz. Damit gehe es auch um den Beitrag der Landwirtschaft zur ländlichen Entwicklung, das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung sowie letztlich um die gesellschaftliche Akzeptanz der heutigen Landwirtschaft.

Fest stehe, „wer aus der Gegend kommt, bringt sich mehr ein ins Dorfleben, engagiert sich in der Gemeinde“, zitierte Klöckner in diesem Zusammenhang ein Ergebnis der Untersuchung. Für sie steht damit außer Frage, dass die Entwicklung auf dem Bodenmarkt die Distanz zwischen den Agrarunternehmen und der ländlichen Bevölkerung verstärke.

Durch die Präsenz überregionaler Investoren fließe zudem Wertschöpfung aus der Region zum entfernten Firmensitz ab, während die Gemeinde die nötige Infrastruktur vor Ort finanziere. Es sei wichtig, diese Zusammenhänge zu untersuchen.

Wenn man es will, kriegt man es hin

Klöckner warf den neuen Ländern fehlenden politischen Willen vor, die erforderlichen Änderungen im landwirtschaftlichen Bodenrecht auf den Weg zu bringen.

Ein Hemmschuh sei dabei nicht zuletzt der Widerstand in Teilen des Berufsstands. Nicht gelten lassen will Klöckner den Verweis auf die Schwierigkeiten, rechtssichere Regelungen etwa zur Einbeziehung von Anteilskäufen in das Grundstückverkehrsrecht zu finden: „Wenn man es will, kriegt man es hin.“ Ihr Ministerium unterstütze die Länder bei diesen Themen „so gut es geht“.

Die Ressortchefin räumte ein, dass der Bund bislang nicht seiner Ankündigung nachgekommen sei, die Umgehungsmöglichkeiten bei der Grunderwerbsteuer im Rahmen von Anteilskäufen zu reduzieren. Die Verantwortung dafür trage Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der eine notwendige Absenkung der Beteiligungsschwelle, ab der die Steuer fällig werde, von 95 % auf 75 % blockiere.

Auch bei einer etwaigen landwirtschaftlichen Sonderregelung stehe das Finanzressort auf der Bremse. Wesentlich verbessert habe man die Transparenz bei der Erfassung von Holdingstrukturen. Klöckner wies darauf hin, dass vor allem auf deutsche Initiative hin in der EU-Agrarstrukturerhebung die Verflechtungen zwischen Konzernen und deren Tochterunternehmen dargelegt würden.

Spürbare Auswirkungen wird nach Einschätzung der Ministerin der unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft erarbeitete Vorschlag haben, Unternehmensverbünde bei den EU-Agrarzahlungen künftig als einen einzigen Antragsteller zu betrachten. Ziel sei es, Zahlungen an Agrarholdings einzuschränken. Dies sei nicht zuletzt deshalb notwendig, um das Direktzahlungssystem nicht zu diskreditieren.

Vor der eigenen Tür kehren

Mit ihrer erneuten Kritik an der Bodenpolitik der Länder löste Klöckner Widerspruch aus. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich Ostendorff, forderte die Ministerin dazu auf, „vor der eigenen Tür zu kehren, statt die Verantwortung immer auf die Länder abzuschieben.“ Noch immer würden die EU-Direktzahlungen „über die Fläche vergossen und zum großen Teil an Bodeneigentümer durchgereicht.“ Das verschärfe das Kaufinteresse von Investoren. Zudem müsse die Ministerin endlich eine Neuregelung bei der Grunderwerbsteuer durchsetzen, um die Umgehungsmöglichkeiten bei Anteilskäufen zu unterbinden.

Auch die agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Dr. Kirsten Tackmann , verwies auf den Handlungsbedarf des Bunds, insbesondere bei der Grunderwerbssteuer. Den habe die Ministerin immerhin eingeräumt, anstatt immer nur allein die Bundesländer in die Pflicht zu nehmen, so die Linken-Politikerin.

Die Thünen-Studie zu den Auswirkungen überregionaler Investoren in der Landwirtschaft wertet Tackmann als Bestätigung ihrer seit langem vorgebrachten Warnungen. Dazu zähle die Einsicht, dass es die schlechte Einkommenssituation in Agrarbetrieben den landwirtschaftsfremden Investorennetzwerken leicht mache, Anteile oder ganze Agrarbetriebe aufzukaufen und dass diese Entwicklung auch den ländlichen Räumen schade.

„Aber diese Lernkurve muss nun unverzüglich Konsequenzen haben“, mahnte Tackmann. So müsse etwa die Privatisierung der verbliebenen 100.000 ha der Bodenverwertungs- und -veraltungsgesellschaft (BVVG) unverzüglich gestoppt und in einen öffentlichen Bodenfonds zur langfristigen Verpachtung an ortsansässige, nachhaltig wirtschaftende Agrarbetriebe zur Verfügung gestellt werden.

Ackerland in Bauernhand

Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sieht nun den Bund gefordert. „Es reicht nicht, wenn Ministerin Klöckner die AbL-Forderung ‚Ackerland in Bauernhand‘ übernimmt“, erklärte der stellvertretende AbL-Bundesvorsitzende Reiko Wöllert. Klöckner könne die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, „indem sie die lukrativen Anteilskäufe für die außerlandwirtschaftlichen Investoren unattraktiv macht.“ Sie müsse es nur politisch wollen.

Die Länderagrarminister sieht Wöllert in der Pflicht, durch „soziale Agrarstrukturgesetze“ eine gerechtere Verteilung des Bodens gezielt zu steuern. „Die Agrarpolitik muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine vielfältige Eigentumsstruktur erhalten bleibt, die für Diversität in der Landbewirtschaftung, in der Agrarlandschaft und auch im Angebot landwirtschaftlicher Produkte sorgt“, betonte WWF-Naturschutzvorstand Christoph Heinrich. Einen Beitrag dazu könne die Abschaffung der flächengebundenen Direktzahlungen leisten. Die anstehende GAP-Förderperiode müsse dazu genutzt werden, Schritte in diese Richtung einzuleiten.
AgE
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