Zu diesem Fazit kommt ein am vergangenen Sonntag (3.11.) von der „New York Times“ veröffentlichter Artikel zur Vergabe von Agrarsubventionen in EU-Ländern, die mit der Anhäufung von landwirtschaftlichen Flächen im Besitz außerlandwirtschaftlicher Investoren in Ungarn und Tschechien verbunden sein soll.
Probleme soll es zudem in der Slowakei geben. Schwerpunktmäßig stützt sich der Artikel vor allem auf Aussagen des ehemaligen Unterstaatssekretärs im ungarischen Landwirtschaftsministeriums, Joszef Angyan. Ihm zufolge sind vor allem nach 2011 Ländereien in Staatshand über „günstige
Pachtverträge und Landverkäufe“ an politische Freunde sowie das familiäre Umfeld von Ministerpräsident Viktor Orbán vergeben worden.
Kleinere und mittlere landwirtschaftliche
Betriebe, aber auch politische Gegner der Budapester Fidesz-Regierung seien hingegen „systematisch“ ausgeschlossen worden. Die
EU-Kommission verwies indes auf die laufenden Ermittlungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF). Ein Kommissionssprecher betonte, dass die EU-Betrugsbekämpfer beispielsweise seit 2015 gegen Ungarn ermittelten und seit 2017 weitere Untersuchungen liefen, bei denen die korrekte Verwendung von Fördermitteln der Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) überprüft würden.
Gegen Tschechien gebe es von Seiten der Kommission noch tiefergehendere Untersuchungen, die vor allem mögliche Interessenkonflikte gegen den Prager Regierungschef Andrej Babiš zum Ziel hätten, so der Sprecher. Hier werde es in wenigen Monaten erste Ergebnisse geben.
Untersuchungen gegen Tschechien laufenBereits im vergangenen Jahr hatte die EU-Kommission Agrarfördergelder von der Prager Regierung zurückgefordert. Auch Haushaltskommissar Günther Oettinger hatte sich direkt in die Auseinandersetzung mit Tschechien eingemischt; damals soll es um Rückforderungen von insgesamt 12,4 Mio. Euro gegangen sein. Zugleich wurde nun seitens der Kommission auf die
Gründung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) verwiesen, die entsprechende Untersuchungen noch verstärken könnte. Ungarn hat sich allerdings, anders als Tschechien, dieser Organisation nicht angeschlossen.
Des Weiteren verweist der Artikel auf die Vertreibung kleiner Landwirte von ihren Ländereien in der Slowakei. Selbst ein slowakischer Oberstaatsanwalt habe die dortige Existenz einer „Agrar-Mafia“ eingeräumt. In diesem Zusammenhang werden auch Verbindungen zum Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak im vergangenen Jahr gezogen.
Schul- und Geschäftsfreunde profitierenLaut Darstellung des ehemaligen ungarischen Unterstaatssekretärs Angyan sind die flächenbezogenen Direktzahlungen der EU oberstes Ziel der Machenschaften in seinem Heimatland gewesen. Aber auch Mittel der ländlichen Entwicklung seien gezielt an Günstlinge und Unterstützer der ungarischen Regierung gegangen, erklärte Angyan gegenüber der New York Times. Der Zeitung zufolge sollen allein im vergangenen Jahr ein enger Schulfreund Orbáns sowie ein Geschäftsfreund durch ihre Unternehmen zusammen 28 Mio. $ (25,1 Mio. Euro) an EU-Agrarsubventionen erhalten haben.
Ein Sprecher der ungarischen Regierung betonte in dem Artikel, dass die ungarische Vergabe der Agrarsubventionenmit EU-Recht vereinbar sei. Die Beantwortung von Fragen zu Landverkäufen an das Umfeld des Regierungschefs lehnte der Sprecher laut New York Times allerdings ab.
Agrarsubventionen als Patronagesystem
Bestätigt wurde der Bericht der New York Times gegenüber AGRAEUROPE durch den ungarischen EU-Agrarpolitiker Attila Ara-Kovács. Er warf dem Regierungschef seines Landes vor, Günstlingswirtschaft und Korruption mithilfe von EU-Agrargeldern zu betreiben. Auch er sprach von einer Anhäufung landwirtschaftlicher Flächen und einem Subventionsmissbrauch im Umfeld des ungarischen Ministerpräsidenten. Orbán setze europäische Agrarsubventionen als Patronagesystem ein, das seine Freunde und Familie bereichere, seine politischen Interessen schütze und seine Rivalen bestrafe, so der ehemalige Diplomat.
Der frühere Leiter des „Budapest Centre of Foreign Affairs“ beklagte, der Regierungschef der rechtsnationalen Fidesz-Partei habe dafür gesorgt, dass Familienmitglieder sowie enge Mitarbeiter und Freunde tausende Hektar Staatsland unter
Marktpreis erhalten hätten. Auch er verwies auf einen „Freund aus Kindertagen“, der mittlerweile einer der reichsten Männer und größten Landbesitzer Ungarns geworden sei. Diese Leute erhielten nun aufgrund des Besitzes der LändereienAgrarsubventionen der EU in Millionenhöhe.
Orbáns „Doppelmoral“ gegenüber der EU Überdies monierte der Abgeordnete der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D), dass Orbán eine „Politik der Doppelmoral“ betreibe. Während seine Regierung ständig die EU-Institutionen und Brüssel angreife, nehme er auf der anderen Seite deren Geld. Ara-Kovács zeigte sich empört darüber, dass die
Gemeinsame Agrarpolitik von denselben „antidemokratischen Kräften“ ausgenutzt werde, die die EU von innen bedrohten. Er forderte das EU-Parlament, den Rat und die Kommission eindringlich dazu auf, eine Renationalisierung der
GAP nach 2020 unter allen Umständen zu verhindern und den EU-Regierungen nicht noch mehr Kompetenzen darüber zu geben, wie sie die Agrargelder verwenden könnten.
Im Fall der gegenwärtigen ungarischen Regierung würden die Mittel für eigene Zwecke missbraucht. Ara-Kovács kündigte an, gemeinsam mit seinem Landsmann Sándor Rónai eine schriftliche Anfrage an die Europäische Kommission zu richten, wie die Behörde mit Korruptionsfällen auf hoher nationaler Regierungsebene umgehen wolle.
Kappung allein reicht nichtScharfe Kritik an Orbáns Machenschaften äußerte auch der Agrarsprecher der Fraktion der Grünen/EFAim Europaparlament, Martin Häusling. Mit Blick auf die
Diskussion rund um die GAP-Reform forderte der Europaabgeordnete, „endlich eine klare Definition für den aktiven Landwirt“ zu schaffen. Nur wer aktiver Landwirt sei, sollte Land kaufen und Agrarsubventionen in Anspruch nehmen dürfen.
Der Grünen-Politiker beklagte, dass sich die Kommission und der Rat um diese eindeutige Definition auch in der laufenden Debatte zur
Agrarreform bisher stets gedrückt und Klarstellungen verwässert hätten. Dass eine Kappung der
EU-Zahlungen bei einer bestimmten
Betriebsgröße oder Zahlungshöhe allein nicht ausreiche, zeige das ungarische Beispiel. Dort wurden trotz der auf den ersten Blick sinnvollen Regelung die Flächen „trickreich“ auf verschiedene Gesellschaften verteilt.
Umrechnungskurs: 1 $ = 0,8962 Euro