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10.07.2019 | 03:36 | Lebensverhältnisse 

Arme und reiche Städte in Deutschland driften immer weiter auseinander

Berlin - Die Bundesregierung nimmt diese Woche einen neuen Anlauf, um möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands zu erreichen.

Deutschlandatlas
Wo fehlen Wohnungen - und wo stehen sie leer? Wo brummt die Wirtschaft, wo schwächelt sie? Und welche Landkreise ziehen Menschen an, welche verlieren sie? (c) proplanta
Der Bericht, den eine eigens dafür gegründete Kommission in den vergangenen Monaten dazu erstellt hat, enthält allerdings wenig konkrete Pläne. Auch wo das Geld herkommen soll, bleibt vielfach offen.

Immerhin hat das Bundesinnenministerium jetzt eine Bestandsaufnahme vorgelegt, die eine bessere Analyse der Probleme in den strukturschwachen Gebieten erlaubt - vom Funkloch bis zur stillgelegten Bahnstrecke. Den Bericht und den dazugehörigen «Deutschlandatlas» will Innenminister Horst Seehofer (CSU) an diesem Mittwoch gemeinsam mit Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) in Berlin vorstellen.

Die Datensammlung zeigt beispielsweise, dass im äußersten Nordosten Deutschlands, in den Stadtstaaten und im Ruhrgebiet besonders viele Menschen Leistungen der sozialen Mindestsicherung erhalten. Elf Prozent der Menschen oder mehr erhielten dort 2017 Leistungen wie Hartz IV, Grundsicherung im Alter oder auch Unterstützung als Asylbewerber. In Bayern und Baden-Württemberg ist der Anteil der Männer und Frauen, die solche Leistungen erhalten, am niedrigsten.

In Deutschland gibt es demnach 7,59 Millionen Empfänger sozialer Mindestsicherung, das entspricht 9,2 Prozent der Bevölkerung. Mehr als die Hälfte davon bekommt Hartz IV.

In dem Fünftel Deutschlands mit dem größten Handlungsbedarf liegt das verfügbare Einkommen laut Bericht im Mittel bei 18.589 Euro pro Einwohner. In dem Fünftel des Landes, wo am wenigsten nachgesteuert werden muss, liegt dieser Mittelwert bei 25.253 Euro.

Der Atlas soll anhand von 54 Indikatoren ein Bild davon liefern, wie es in Sachen Infrastruktur, Wohnen, Arbeitsleben oder Sicherheit in der Bundesrepublik aussieht. Viele Daten wurden dabei auf Kreisebene erhoben. «Der Atlas ist im Grunde das Röntgenbild Deutschlands, die innere Vermessung unseres Landes», sagt Michael Frehse, der den Heimat-Bereich im Innenministerium leitet.

Große regionale Unterschiede zeigen sich auch beim Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigem. Es misst den Wert der erwirtschafteten Waren und Dienstleistungen und ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Auch hier lagen Bayern und Baden-Württemberg 2016 vorn, die ostdeutschen Länder waren im Vergleich zum großen Rest des Landes deutlich abgeschlagen.

Die Teilung zeigt sich auch auf dem Wohnungsmarkt. Auffällig viele leerstehende Wohnungen gab es 2017 in Sachsen, Sachsen-Anhalt und weiten Teilen Thüringens. Dort und im östlichen Mecklenburg-Vorpommern lag ihr Anteil bei zehn Prozent oder mehr. Besonders knapp sind Wohnungen in den Großstädten - hier stehen unter zwei Prozent des Bestands leer.

Ein zunächst verblüffendes Bild ergibt sich bei der Binnenwanderung, wo Zu- und Wegzüge miteinander verrechnet werden. Viele zog es 2017 in den Umkreis großer Städte - aber auch an die Ostseeküste.

Strukturschwache Gegenden im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern verbuchten ebenfalls starken Zuzug. Denkbar wäre, dass manche im Ruhestand an die Ostsee umziehen. Allerdings werteten die Experten die Altersstruktur der Zuzügler nicht aus.

Die Kluft zwischen armen und reichen Städten hat sich trotz der guten Konjunktur in den vergangenen Jahren einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge vergrößert. Hohe Schuldenberge bei steigenden Kosten für Hartz-IV-Empfänger und hohe Haushaltsdefizite setzen schwache Kommunen unter Druck, wie aus der am Dienstag publizierten Studie hervorgeht. Die ohnehin schon starken Kommunen profitieren hingegen kräftig von der Wirtschaftslage.

Die Autoren hatten die Entwicklung der zehn reichsten und zehn ärmsten kreisfreien Städte verglichen. Als Indikator nahmen sie den Anteil an Hartz-IV-Empfängern. Das Haushaltsdefizit der armen Kommunen lag im Zeitraum 2010 bis 2017 bei fast einer Milliarde Euro, während die reichen Städte einen Überschuss von 3,6 Milliarden erzielten.

Zu den ärmsten gehören fünf Ruhrpott-Städte, darunter Gelsenkirchen - dort bezieht fast jeder Vierte Hartz IV. Es geht um Menschen im Alter bis zu 65 Jahren; Rentner bekommen aus einem anderen Topf Hilfen, der nicht von den Kommunen getragen wird. In Essen, Herne, Duisburg und Dortmund bekommt etwa jeder Fünfte Hartz IV.

Demgegenüber stehen zehn Städte mit dem niedrigsten Hartz-IV-Anteil, von denen acht in Bayern und zwei in Baden-Württemberg sind. Am besten sieht es in München aus, wo den Angaben zufolge nur 4,5 Prozent der Bevölkerung die staatliche Hilfe beziehen.

Was zu tun ist, liegt für den Deutschen Städtetag auf der Hand. «Wir brauchen eine nachhaltige Lösung des Altschuldenproblems, die auch an den Ursachen ansetzt. Eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose ist dafür ein richtiger Weg», sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. Außerdem müssten die Mittel zur regionalen Wirtschaftsförderung erhöht werden.

Regionen, die Verlierer des globalisierungsbedingten Strukturwandels sind, dürften mit ihren Problemen nicht allein gelassen werden - unabhängig davon, ob es sich um Städte oder ländliche Gebiete handelt.
dpa
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