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02.11.2010 | 06:44 | Gemeinsame Agrarpolitik GAP  

Direktzahlungen: Auslaufmodell oder unverzichtbar

Hannover - Die Diskussion um die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) läuft auf Hochtouren.

Geld
Vor allem die Frage nach dem Fortbestand der Direktzahlungen wird unterschiedlich beantwortet. Auf dem Unternehmertag der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, der am 26. Oktober in der Oldenburger Weser-Ems-Halle stattfand, erörterten Experten vor rund 1.000 Besuchern die gegensätzlichen Standpunkte. Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Präsident des von Thünen-Instituts (vTI) in Braunschweig, sprach sich für eine grundlegende Neuorientierung der Agrarpolitik und gegen die dauerhafte Fortführung von Direktzahlungen aus. Dagegen plädierte Werner Hilse, Präsident des niedersächsischen Landvolk-Verbandes, für einen Fortbestand der EU-Zahlungen an die Landwirte.

Laut Isermeyer, der auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) ist, bieten sich für die zukünftige EU-Agrarpolitik zwei Alternativen. Entweder versucht die Politik, die europäischen Landwirte dauerhaft zu schützen, die Einkommen der Grundeigentümer zu stützen und den Strukturwandel zu bremsen. Oder sie geht schrittweise dazu über, die öffentlichen Mittel konsequent für den „Einkauf“ knapper gesellschaftlicher Leistungen zu verwenden. „Das wäre der Wechsel zu einer gestalterischen Politik“, so die Ansicht des Wissenschaftlers.

Während sich die verantwortlichen Politiker „wahrscheinlich für die erste Variante aussprechen werden“, favorisieren Isermeyer und der Beirat die zweite Variante. Man habe empfohlen, die Zeit von 2013 bis 2020 als Übergangsperiode zu nutzen, in der die Direktzahlungen zunächst fortgeführt werden, in der aber eine grundlegend neue GAP ohne Direktzahlungen für die Zeit nach 2020 vorbereitet wird. „Eine schrittweise Reduzierung der Direktzahlungen ist für die Landwirtschaft in den meisten Regionen verkraftbar“, so der vTI-Präsident. In Problemregionen sei eventuell eine dauerhafte Unterstützung in Form von Ausgleichszulagen erforderlich.

Der „Allzweckwaffe“ Direktzahlungen attestierte der Wissenschaftler zahlreiche Schwächen. Sie seien nicht dazu geeignet, die großen Herausforderungen im Politikfeld Ernährung, Landwirtschaft und ländliche Räume zu meistern. Themen wie gesunde Ernährung, Tierhaltungssysteme, Klimaschutz und Artenvielfalt seien durch eine flächenbezogene Förderung nach dem Gießkannenprinzip nicht in den Griff zu bekommen. Isermeyer rät stattdessen zu gezielten „Aktionsplänen, mit denen sich der Staat die gewünschten Zustände direkt bei denjenigen einkauft, die die Lösungen am besten erbringen können“.

„Wir kommen ohne Direktzahlungen nicht aus“, konterte Landvolk-Präsident Werner Hilse. In der jetzigen Situation hätte das gravierende Folgen für die landwirtschaftlichen Strukturen, die Einkommensverteilung innerhalb der europäischen Landwirtschaft und für die Lebensmittelpreise. Die Landwirtschaft arbeite und plane in langen Zyklen und brauche deshalb Kontinuität und Planungssicherheit. Änderungen der Agrarpolitik müssten über lange Zeiträume erfolgen, damit sich die Landwirte den Veränderungen anpassen könnten.

Hilse erläuterte die Vorteile von Direktzahlungen für die Landwirtschaft und die Gesellschaft. Die Prämien seien unter anderem „ein notwendiger Ausgleich“ für höhere Produktionsstandards gegenüber der Konkurrenz aus Drittländern. „Die Ansprüche innerhalb der EU an Umwelt- und Tierschutz, Verbrauchersicherheit, aber auch an Arbeits- und Sozialstandards sind sehr hoch, werden aber am globalen Markt kaum honoriert“, erklärte der Landvolk-Präsident.

Außerdem seien die Direktzahlungen „das effektivste Instrument gegen die Folgen volatiler Märkte“. Davon profitierten nicht nur landwirtschaftliche Betriebe, sondern auch die Verbraucher. „Die EU-Zahlungen stabilisieren die Preise für Lebensmittel und halten sie auf niedrigem Niveau“, so Hilse. Auch die Ernährungswirtschaft sei durch die Direktzahlungen in der Lage, qualitativ hochwertige Rohstoffe für die Nahrungsmittelproduktion günstig einzukaufen.

Zuvor hatte Arendt Meyer zu Wehdel, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die Bedeutung der Direktzahlungen für die niedersächsische Landwirtschaft skizziert. Das Geld mache auf Haupterwerbsbetrieben rund 56 Prozent des Gewinns aus. Dabei sei der Anteil in der Veredlung geringer (39 Prozent) als beim Ackerbau (50 Prozent) und Futterbau (58 Prozent). Große Unterschiede gebe es zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Betrieben. Bei den erfolgreichen war der Prämienanteil am Gewinn tendenziell geringer.

„Treibende Kraft für die Reform der GAP sind die Budgetverhandlungen für den Zeitraum 2014 bis 2020“, stellte der Kammerpräsident klar. Heute machten die Direktzahlungen den Löwenanteil des agrarpolitischen Budgets aus. In diesem Jahr gebe die Union etwa 58 Mrd. Euro und damit über 40 Prozent des gesamten Haushalts für die Bauern aus. „Das schafft Begehrlichkeiten in anderen Politikbereichen“, so Meyer zu Wehdel, der mit einem Fortbestand der, allerdings reduzierten, Direktzahlungen rechnet.

Außerdem geht der Kammerpräsident davon aus, dass das Geld zwischen den EU-Ländern anders verteilt und das GAP-Modell mit den zwei Säulen „Marktordnung“ und „ländlicher Raum“ weiterhin Bestand haben wird. Dabei kann eine Basisprämie, die das Einkommen sichert, durch verpflichtende „grüne Dienstleistungen“, zum Beispiel den Erhalt von Dauergrünland oder das Befolgen von Fruchtfolgeregeln, ergänzt werden.

Wie „in dieser Phase der Unsicherheit“ Landwirte ihre Betriebe auf die Zukunft einstellen können, erläuterte Hilmar Gerdes von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Wer sich abwartend verhalte, laufe Gefahr, dringende Ersatzinvestitionen zu verschieben und einen Investitionsstau zu provozieren. „Zudem kann der Anschluss an die nach vorne schreitenden Betriebe verloren werden, was letztlich in einer Betriebsaufgabe münden kann“, so der Betriebswirtschaftler der Kammer.

Als „rentabelste Wachstumsform“ bezeichnete Gerdes die kontinuierliche Entwicklung in moderaten Schritten. Dabei werde die gesamte Produktion durch verbesserte biologische Leistungen qualitativ und durch größere Produktionsmengen quantitativ gesteigert. Da aber vielerorts Flächen begrenzt seien und kein weiteres Wachstum möglich sei, werde häufig eine Zusammenarbeit mit anderen Betrieben gesucht. So könne nicht nur der technische Fortschritt gemeinsam genutzt werden. „Das ist oft auch der schrittweise Einstieg in den Partnerbetrieb bis zur späteren einvernehmlichen Übernahme“, sagte Gerdes.

Größere Wachstumsschritte, bei denen zum Beispiel ganze Betriebe übernommen werden, bergen nach Ansicht des Fachmanns höhere Risiken. „Nur Betriebe mit überzeugenden biologischen und ökonomischen Leistungen können und sollten sich das zumuten“, empfahl der Oldenburger. Solche Schritte seien in der Regel mit der Einstellung von Fremd-Arbeitskräften verbunden. Ob sich ein Betrieb weiter spezialisieren oder anderen Geschäftsfeldern zuwenden soll, hänge von den jeweiligen Voraussetzungen und der Risikobereitschaft des Unternehmers ab. „Dessen Fähigkeiten und Geschick spielen zukünftig die zentrale Rolle in der betrieblichen Weiterentwicklung“, so der Ökonom.

Der Unternehmertag für Landwirte fand in diesem Jahr bereits zum elften Mal statt. Veranstalter waren die Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die Arbeitsgemeinschaft der Volksbanken und Raiffeisenbanken Weser-Ems und das Landvolk Niedersachsen. (lwk-Niedersachsen)
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