Die Möglichkeitsform ist angebracht, wenn Handelsdiplomaten ihrer 162 Mitgliedstaaten um Fortschritte ringen. Die Weltwirtschaft könnte durch den Handel angekurbelt werden. Es würden viele neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn es doch bloß gelingen würde, die Weichen für ein globales und für alle gerechtes Freihandelsabkommen zu stellen. Davon ist die
WTO bei ihrem 10. Ministertreffen - vom 15. bis 18. Dezember in Nairobi - weit entfernt. Ausgerechnet die erste Welthandelskonferenz in Afrika südlich der
Sahara könnte das Scheitern der Doha-Entwicklungsrunde besiegeln.
WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo räumte nach den letzten Sondierungsgesprächen in Genf ein, dass ein Durchbruch zum Abschluss der Doha-Runde in Nairobi kaum möglich sein wird: «Ich glaube, es wird sehr schwierig die Positionen miteinander zu vereinen.»
Die Doha-Runde war vor 14 Jahren im Emirat Katar mit dem erklärten Ziel gestartet worden, den Welthandel zu liberalisieren und zugleich Ungerechtigkeiten in WTO-Abkommen gegenüber armen Staaten zu korrigieren und die Entwicklungsländer insgesamt zu fördern. Doch statt eines Doha-Vertrages, der den Weg zum globalen Freihandel ebnen soll, gibt es jede Menge Schuldzuweisungen.
Die Industriestaaten hätten den Doha-Zielen im November 2001 zwar unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September zugestimmt, erklärt die Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam. Bei der Überlegung, dass die Welt ohne gigantische Unterschiede zwischen Arm und Reich sicherer wäre, sei es aber geblieben. «Die USA und die EU haben das Versprechen einer Entwicklungsrunde nie eingelöst und entwicklungsfreundliche Handelsregeln immer wieder blockiert», sagt Oxfam-Agrarexpertin Marita Wiggerthale.
Westliche Handelsdiplomaten widersprechen. Sie verweisen darauf, dass die zur Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (LDC) gehörenden Staaten längst Vorzugsbedingungen wie Zollfreiheit und den Wegfall von Quoten für ihre Exporte in Industriestaaten genießen. «Man sollte endlich einsehen, dass sich die Welt seit Doha weitergedreht hat», sagt ein hochrangiger westlicher Delegierter, der namentlich nicht genannt werden will. «Heute gibt es
Schwellenländer wie China oder Südkorea, die moderne Industrieprodukte in den Westen exportieren - und trotzdem eine Sonderbehandlung im Sinne von Doha beanspruchen.»
Als rivalisierende Elefanten im Nairobi Kenyatta International Conference Centre (KICC) gelten vor allem China und Indien sowie die USA. Indien will, dass ihm auch künftig Ausnahmen von den WTO-Regeln, seine massive Subventionierung der Lagerung von Nahrungsgütern und damit der
Lebensmittelpreise gestattet wird. Dies sei zur Versorgung von Millionen von Armen unabdingbar.
Ebenso wie Indien besteht China auf den Status eines Entwicklungslandes und entsprechenden Sonderbehandlung durch die «Hüterin des Welthandels», wie die WTO sich gern selbst nennt. Die USA hingegen drohen mit ihrer Abkehr von der Doha-Runde. Sie wollen, dass Themen wie die Öffnung der Märkte oder der Abbau der Zölle künftig auch einzeln und ohne Bindung an die Doha-Entwicklungsziele verhandelt werden können.
Im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht in Nairobi der Agrarsektor. Die USA und die EU fordern, dass nicht WTO-konforme Schutzmaßnahmen etwa durch Importzölle oder Exportsubventionen für
Agrarprodukte verschwinden. Aus der Sicht von Oxfam, Brot für die Welt und anderen Hilfsorganisationen ist dies jedoch Zynismus pur.
Oxfam legte am Montag eine Studie auf der Basis von WTO-Statistiken vor, wonach «die USA und die EU weiterhin die weltweit größten finanziellen Unterstützer ihrer heimischen Landwirtschaft» sind. So hätten die USA ihre
Agrarwirtschaft 2012 mit insgesamt 139 Milliarden Dollar (129 Mrd Euro) unterstützt. In Deutschland würden Direktzahlungen an Landwirte im Schnitt 40 Prozent des Einkommens der Betriebe ausmachen - in China nur sechs Prozent. Immerhin hat die EU nun Bereitschaft signalisiert, Exportsubventionen in der Landwirtschaft als Teil einer «Gesamtlösung» aufzugeben.
Ungeachtet solcher Studien haben die USA eine starke Position. Ein Grund ist, dass immer mehr regionale Abkommen interessierter Länder geschlossen werden, die den globalen, multilateralen Ansatz der WTO unterlaufen. Dazu gehört die kürzlich verkündete Transpazifische Partnerschaft (TPP) mit den USA, Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam. Ein Vertrag, den viele auch als Bollwerk gegen China und Indien sehen.
Und so umstritten die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) auch sein mag - verglichen mit dem Doha-Debakel scheint der Abschluss dieses Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU in Reichweite zu sein. Auf TPP und TTIP würden 50 Prozent des Welthandels entfallen. Solche «Mega-Regionals» stellen die WTO infrage. «Wenn sich die großen Handelspartner jetzt nicht bewegen», warnt Claudia Schmucker, Weltwirtschaftsexpertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, «führt dies zu einem endgültigen Scheitern der Doha-Runde und könnte die WTO als Hüterin des Welthandels beschädigen.»