„Obwohl die Welt genügend Nahrung produziert, um alle satt zu machen, ist die Zahl der Hungernden im Jahr 2020 auf 811 Millionen gestiegen“, kritisierte FAO-Generalsekretär Dr. Qu Dongyu. Jedes Jahr gingen etwa 14 % der weltweit produzierten
Lebensmittel zwischen Feld und Einzelhandel verloren, und weitere 17 % landeten in den Abfallbehältern von Haushalten, Einzelhändlern oder Restaurants, berichtete der FAO-Generalsekretär.
Schlüssel zur Vermeidung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung seien effizientere, integrativere und nachhaltigere Agrar- und Ernährungssysteme. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnte im Vorfeld des Welternährungstages vor einer massiven Verschärfung des Hungers durch die Klimakrise. Ohne Maßnahmen zur Anpassung an Klimaschocks und den schleichenden
Klimawandel drohe die Klimakrise zu einer exponentiellen Zunahme des globalen Hungers zu führen.
Eine Analyse des WFP zeigt, dass bei einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau 189 Millionen Menschen zusätzlich von Hunger betroffen sein dürften. Ein Großteil dieser Menschen sei von Landwirtschaft, Fischerei und Viehzucht abhängig und trage gleichzeitig am wenigsten zur Klimakrise bei. „Weite Teile der Welt, von Madagaskar über Honduras bis Bangladesch, befinden sich in einer Klimakrise, die für Millionen von Menschen zur täglichen Realität geworden ist. Die Klimakrise schürt eine Ernährungskrise", so WFP-Exekutivdirektor David Beasley.
Deutschland kann helfen
Derweil machte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gitta Connemann, anlässlich des Welternährungstages auf den weltweiten Schwund an fruchtbaren
Agrarflächen aufmerksam. „Dies muss uns alle alarmieren“, so die CDU-Politikerin. Deutschland sei im weltweiten Vergleich ein agrarischer Gunststandort.
Auf den Ackerflächen könnten hierzulande hohe und nachhaltige Erträge geerntet werden. Daraus erwächst aus Sicht von Connemann die ethische Verantwortung, einen Beitrag zur globalen
Ernährung zu leisten, der aber nicht gleichzeitig die Produktionsanreize in den armen Ländern schwächen darf.
Die deutsche Land- und
Ernährungswirtschaft könne helfen, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen. „Man muss sie aber auch lassen“, betonte die CDU-Agrarpolitikerin. Flächenstilllegungen und Bewirtschaftungsauflagen seien dafür kontraproduktiv.
Vor eigener Haustür anfangen
Nach Überzeugung der Thüringischen
Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij müssen „nachhaltige Lösungen für die Welternährungsprobleme vor der eigenen Haustür mit Veränderungen beginnen“. Notwendig sei ein Gesetz gegen
Lebensmittelverschwendung sowie mehr regional erzeugte und konsumierte Lebensmittel, so die Linken-Politikerin.
„Wir wollen Landkonzentration verhindern und faire Handelsverträge im europäischen und im globalen Handel“, stellte Karawanskij außerdem fest. Jedes Jahr würden allein in Deutschland etwa 18 Mio t Lebensmittel weggeworfen. Diese Verschwendung sei „absurd angesichts von weltweit 811 Millionen hungernden Menschen“. Es würden Ressourcen verschleudert, die in anderen Weltregionen fehlten. Zudem sei es respektlos gegenüber dem gesellschaftlichen Wert von Nahrungsmitteln und der Arbeit der Landwirte.
Strukturelle Ursachen in den Blick nehmen
Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt und die Menschenrechtsorganisation FIAN legten zum Welternährungstag das „Jahrbuch zum Recht auf Nahrung“ vor. Darin beleuchten sie die Ursachen von Umweltzerstörung, Hunger und Ausbeutung und stellen Handlungsalternativen vor. „Wir müssen endlich die strukturellen Ursachen des Hungers angehen“, forderte die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin.
Wenn ein Drittel der
Weltbevölkerung nicht ausreichend zu essen habe, obwohl weltweit genug geerntet werde und die
Getreidelager voll seien, laufe etwas dramatisch schief. „Wir appellieren an die neue Bundesregierung, dass sie die finanziellen Mittel des Entwicklungsministeriums für die
Hungerbekämpfung stärker für die Förderung der Agrarökologie einsetzt und traditionelles bäuerliches Wissen etwa indigener Völker deutlich stärker in ihre Strategien einbezieht“, so Pruin. Nur dann werde es gelingen, Hunger und Mangelernährung zurückzudrängen und angesichts des Klimawandels resistente Ernährungssysteme zu schaffen.
Benin und Bonn arbeiten zusammen
Das
Bundeslandwirtschaftsministerium lenkte den Blick auf ein Forschungsprojekt in Westafrika, in dessen Rahmen lokale Lebensmittel durch biobasierte Verpackungslösungen länger haltbar gemacht, Müll reduziert und eine Einkommensquelle für die Bevölkerung geschaffen werden sollen.
Im Rahmen des Verbundprojektes „WALF-Pack“ hätten die Universität Bonn und die Universität Abomey-Calavi in Benin gemeinsam mit lokalen Akteursgruppen verschiedene nachhaltige Verpackungslösungen für drei Lebensmittelgruppen entwickelt, teilte die
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (
BLE) als Projektträger mit. Die Ergebnisse ließen sich auch auf andere Produkte und weitere Länder übertragen und könnten so eine große Breitenwirkung entfalten.
Appell an die „Ampel“
Der World Wide Fund for Nature (WWF) nutzte den Welternährungstag für einen Appell an die mögliche künftige „Ampel“ aus FDP, Grünen und
SPD im Bund, die anstehenden Koalitionsverhandlungen zum Einstieg in eine sozial gerechte, gesunde und umweltverträgliche Ernährungspolitik zu nutzen. „Deutschland ist Mitverursacher der globalen Ernährungskrise.
Wer Regierungsverantwortung übernehmen und vom Reden ins Handeln kommen will, muss unser Ernährungssystem von Grund auf anders, neu und nachhaltig gestalten“, erklärte Rolf Sommer, der den Bereich Landwirtschaft und
Landnutzung beim
WWF Deutschland leitet. Notwendig sei ein ernährungspolitisches Gesamtkonzept, das die heimische und internationale
Agrarproduktion, die Agrarlieferketten und Ernährung zusammendenke.
Der WWF wirbt eigenen Angaben zufolge für eine Ernährungsstrategie, deren Maßstab neben gesundheitlichen, sozialen und tierethischen Aspekten auch die ökologischen Grenzen der Erde sind und die das gesamte System vom Acker bis zum Teller betrachtet. Notwendig sei dafür ein klares Bekenntnis zu einer agrarökologisch ausgerichteten Transformation der landwirtschaftlichen Produktion, inklusive der Unterstützung von Ländern des globalen Südens durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.