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20.11.2016 | 11:00 | Zusätzliche Absatzchancen  

Freihandel bietet Chancen für Schweinemäster und Milchbauern

Brüssel - Die Produzenten von Milch und Schweinefleisch in der Europäischen Union könnten von künftigen Freihandelsabkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern durch zusätzliche Absatzchancen profitieren.

Freihandelsabkommen
(c) proplanta
Das belegt die aktuelle Studie „Cumulative economic impact of future trade agreements on EU agriculture“, die von der Gemeinsamen Forschungsstelle GFS) der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit den Generaldirektionen Landwirtschaft sowie Handel erstellt worden ist. Die Untersuchung konzentriert sich auf die wichtigsten Agrarprodukte der EU wie Rind- und Schweinefleisch, Schaffleisch, Geflügel, Zucker und Getreide. Gegenübergestellt werden dabei konservative und ambitionierte Szenarien mit zwölf möglichen Handelspartnern, darunter die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und die Türkei. Unberücksichtigt blieben allerdings nichttarifäre Handelshemmnisse. Je nach Szenario könnte der Studie zufolge der EU-Export von Käse und Magermilchpulver im Zeitraum 2016 bis 2025 um insgesamt rund 213.000 t bis 332.000 t beziehungsweise 17.000 t bis 105.000 t zunehmen.

Für Schweinefleisch wird ein Plus von 196.000 t bis 425.000 t für möglich gehalten. Zu Lasten der EU-Erzeuger würden indes die Rindfleischeinfuhren um 146.000 t bis 356.000 t zulegen, was zu einem spürbaren Preisrückgang in diesem Segment führen dürfte. “Die Studie zeigt, dass unser bisheriger Ansatz, die Marktliberalisierung bei Handelsabkommen zu beschränken, richtig ist”, erklärte EU-Agrarkommissar Phil Hogan am Dienstag Woche (15.11.) bei der Präsentation der Studie.

Nach Einschätzung des Iren sind die Agrarminister der Mitgliedsländer weiterhin grundsätzlich für die Fortsetzung der bisherigen EU-Handelspolitik mit Drittstaaten. Der Präsident der EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA), Martin Merrild, kritisierte indes, dass die Studie nicht ausreichend differenziert sei. So werde beispielsweise nicht zwischen verschiedenen Fleischqualitäten unterschieden. Das zeige, dass die Kommission die Fragilität des Schweine- und Rindfleischsektors unterschätze. Der Präsident der ländlichen Genossenschaften (COGECA), Thomas Magnusson, forderte die Einbeziehung mediterraner Produkte wie Wein, Olivenöl und Früchte.

Schwächen eingeräumt

Die Studienautoren beschreiben die Modellannahme von zwölf Abkommen als nicht erschöpfende, aber „signifikante Stichprobe“ der aktuellen EU-Freihandelsagenda und als eine „ausgewogene Mischung aus defensiven und offensiven Verhandlungsstrategien für den EU-Agrarsektor insgesamt“. Im ambitionierten Szenario wird von einer vollständigen Liberalisierung der Zollsätze für 98,5 % der im Harmonisierten System (HS) zur Bezeichnung und Codierung von Waren der Weltzollorganisation (WZO) erfassten Produkte ausgegangen. Des Weiteren wurde hier eine Zollreduzierung um 50 % für sensible Erzeugnisse angenommen. Das konservative Modell rechnet mit einer vollständigen Zollliberalisierung für 97 % der erfassten HS-Produkte beziehungsweise eine Zollsenkung um 25 % für sensible Produkte. Als Schwäche der Analyse räumen die Verfasser neben einem Mangel an Produktdifferenzierungen die fehlende Berücksichtigung intersektoraler Auswirkungen und politischer Einschränkungen ein.

Höhere Erlöse für die Milchbauern

Für den EU-Milchsektor könnte eine ambitionierte Freihandelspolitik bis 2025 einhergehend mit den steigenden Exportmengen ein Umsatzplus von rund 1 Mrd. Euro bedeuten. Was die Einfuhren der entsprechenden Erzeugnisse in die Gemeinschaft angeht, würde Neuseeland weiterhin den ersten Platz belegen, während die USA dahinter aufschließen könnten. Gleichzeitig ist der Studie zufolge von einem signifikanten Anstieg der Exporte nach Japan, in die Mercosur-Staaten sowie nach Mexiko, die Türkei, Indonesien, Kanada und in die USA auszugehen. Dabei dürften die Importe deutlich übertroffen werden, was zu einer erheblichen Verbesserung der Handelsbilanz führen würde. Im Einzelnen wird davon ausgehend für Käse und Magermilchpulver mit einem Preisanstieg um durchschnittlich 9 % im konservativen und um 16 % im ambitionierten Szenario gerechnet sowie von Produktionszuwächsen um 2 % beziehungsweise 4 %. Bei eingeschränkter Liberalisierung, also konservativer Betrachtung, würden die Handelseffekte zu einer Zunahme der Rohmilchproduktion um 0,2 % führen, bei umfassenderen Zollkürzungen zu einem Aufkommensplus von 0,7 %. Der Milchpreis würde laut Studie um 2 % bis 7 % ansteigen, womit die EU-Milchbauern jährlich insgesamt bis zu 5,6 Mrd. Euro mehr Umsatz erwirtschaften könnten.

Risiko durch TPP

Die Produktgruppen Schweinefleisch und Geflügel wurden voneinander abhängig betrachtet. Gemäß den berechneten Szenarien dürften einem starken EU-Export von Schweinefleisch umfangreichere Importe von Geflügelfleisch gegenüberstehen. Eine stärkere Marktliberalisierung könnte die Schweinefleischausfuhren nach Japan den Studienautoren zufolge deutlich ankurbeln. Gleichzeitig dürfte eine Handelsliberalisierung aber zu deutlich steigenden EU-Einfuhren von Geflügel aus den Mercosur-Ländern sowie aus Thailand führen. Allerdings wird auch zu bedenken gegeben, dass im Falle der Umsetzung der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) das Risiko bestehen würde, dass die EU-Exportmöglichkeiten von Schweinefleisch in die betreffenden Länder durch die wachsende Konkurrenz fast vollständig nivelliert werden könnten.

Weizenimporteur

Weitere Produkte, die von einer liberalen Freihandelspolitik der EU profitieren könnten, sind laut der Studie Getreide und hier insbesondere Weizen sowie hochwertige und verarbeitete Produkte wie Getränke, darunter vor allem Wein und Spirituosen. Der Export von Hart- und Weichweizen könnte eine Zunahme von 307.000 t bis 957.000 t erfahren, hauptsächlich in Richtung Türkei. Das würde einen Preisanstieg um 1 % bei geringer bis 3 % bei maximaler Beseitigung der Handelshemmnisse nach sich ziehen. Der Wettbewerbsvorteil der EU-Getränkeindustrie spiegelt sich den Berechnungen zufolge in einer Verbesserung der Außenhandelsbilanz um insgesamt 1,4 % im ambitionierten und 1,8 % im konservativen Szenario wider. Prognostiziert wird hier aufgrund der höheren Ausfuhren eine Umsatzsteigerung von 400 Mio. Euro bis 500 Mio. Euro. Differenziert sei indes die wahrscheinliche Entwicklung des Zuckermarktes zu betrachten, heißt es in der Studie. Der Wegfall der Zuckerquote im kommenden Jahr steigere die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Zuckerindustrie am Weltmarkt. Dies dürfte den Autoren zufolge zu einem deutlichen Produktionsanstieg führen. Die Preise würden gemäß den Berechnungen um 5 % bis 7 % sinken.

Drohender Preiseinbruch am Rindfleischmarkt

Die Im- und Exporte von Rindfleisch wurden in der Studie gemeinsam mit Schaffleisch betrachtet. Die Mercosur-Staaten seien Haupthandelspartner für Rindfleisch, Neuseeland für Schaffleisch; aus Australien seien Importe beider Produkte in gleichem Maße zu erwarten. Nach den durchgespielten Szenarien würde bei Abbau des EU-Außenschutzes ein erheblicher Anstieg der Rindfleischlieferungen in die Europäische Union verzeichnet; höhere Ausfuhren würde es wohl nur in die Türkei geben. Der EU-Rindfleischmarkt dürfte durch die zu erwartenden positiven Entwicklungen am Milchmarkt zusätzlich unter Druck geraten. Zwei Drittel der EU-Rindfleischproduktion stamme aus der Verwertung von Milchviehbeständen, die angesichts der Prognosen weiter wachsen würden. Unter dem Strich ist deshalb laut Studie für Rindfleisch von einem Preisrückgang von 8 % im konservativen und 16 % im ambitionierten Modell auszugehen. Das würde zu veränderten Konsumgewohnheiten, beispielsweise einem geringeren Schweinefleischverzehr, beitragen. Zu den sensiblen Produkten der EU gehört auch Reis; die Einfuhren dieses Getreides nehmen in beiden Szenarien zu. Maßgeblich für die höheren Lieferungen wären Thailand, die USA, Vietnam und die Mercosur-Staaten. Der Importwert würde nach den Berechnungen aber maximal um 111 Mio. Euro oder 9 % zulegen, da vornehmlich schon bestehende Importe ersetzt würden.

Ungenutztes Potential

EU-Agrarkommissar Hogan kündigte an, Ergebnisse der Studie bei künftigen Verhandlungen mit einzubeziehen. Gleichzeitig stellte er aber klar, dass die in der Untersuchung gezogenen Schlüsse nicht als Vorhersage erfolgreicher Abschlüsse dieser zwölf Freihandelspartnerschaften zu werten seien. Die Studie zeigt dem Iren zufolge aber „überwiegend positive Effekte“ für die Landwirtschaft und den europäischen Agri-Food-Sektor auf. Damit könnten einige Bedenken, die von Seiten der Mitgliedstaaten im Hinblick auf bilaterale Handelsbeziehungen geäußert worden seien, beantwortet werden. Nach den Worten von EU-Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen ist der „Freihandel eine Kuh, die wir melken sollten“. Insgesamt zeichne die Studie ein positives Bild für die Vermarktung hochwertiger Agrarprodukte in Drittstaaten. Weitere Erzeugnisse mit „deutlichem Exportpotential“ seien nicht berücksichtigt worden.

Barrieren auch abseits der Zölle

COPA-Präsident Merrild stellte indes fest, dass die Studie im Hinblick auf den Fleischsektor die Befürchtungen der Bauernverbände bestätige. Einige Handelsabkommen könnten die Landwirte empfindlich treffen, sollten keine Importzölle mehr erhoben werden. Das gelte insbesondere für ein mögliches Abkommen mit dem Handelsblock Mercosur. COGECA-Präsident Magnusson gab zu bedenken, dass auch nicht-tarifäre Handelsbarrieren erhebliche Auswirkungen auf die Handelsbilanzen haben könnten, weshalb die Studie kein adäquates Bild zeichne. Bei den Verhandlungen mit den USA spielten diese Aspekte eine übergeordnete Rolle, erklärte Magnusson. So sei es für die EU-Milcherzeuger bislang kaum möglich, ihre Produkte dort als „Klasse-A-Milcherzeugnisse“ zu vermarkten.

Die Internationalen Vereinigung Europäischer Zuckerrübenanbauer (CIBE) und der Verband der europäischen Zuckerfabrikanten (CEFS) mahnten dazu, Zucker aus künftigen Freihandelsabkommen ganz auszuschließen oder nur noch unter starken Auflagen einzubeziehen. Die Studie verdecke die negativen Auswirkungen, die für die Branche in der Gemeinschaft zu erwarten seien, so der Verlust von Arbeitsplätzen und Fabrikschließungen. Jedoch verdeutlichten die Ergebnisse die große Bedeutung des Zuckermarktschutzes durch Tarifzölle. Indirekt Rückdeckung erhielten Freihandelskritiker durch Greenpeace. Die Umweltorganisation warnte vor einer Politik, die nur auf die Erzeugung „billiger aber qualitativ minderwertiger“ Produkte abziele, während Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern an Hunger litten. „Beim Handel mit Lebensmitteln sollte die Ernährung der Menschen im Vordergrund stehen, nicht die Unternehmen.“
 
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Auswirkungen möglicher künftiger Freihandelsabkommen auf den EU-Agrarsektor
AgE
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