Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
26.11.2013 | 18:20 | Weltwirtschaft 

Freihandel: Weltwirtschaft am Scheideweg

Genf - Freier Welthandel für mehr Wohlstand - dazu sagen fast alle Staaten ja. Die Verwirklichung scheitert an Interessengegensätzen. Ob bei der Welthandelskonferenz auf Bali ein Durchbruch gelingt, ist ungewiss.

Weltwirtschaft
(c) Gary Blakeley - fotolia.com
Hätte, könnte, würde. Bei der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf ist die Möglichkeitsform oft Standard. Würden die 159 WTO-Mitgliedstaaten in der kommenden Woche auf Bali einen Durchbruch in Richtung Liberalisierung des globalen Handels erreichen, könnte dies einen Investitionsschub für die gesamte Weltwirtschaft von 960 Milliarden Dollar (710 Mrd Euro) freisetzen. So könnten - nach Angaben der Internationalen Handelskammer (ICC) - 21 Millionen neue Jobs entstehen, 18 Millionen davon in Entwicklungsländern.

Doch vorerst zeigen diese Schätzungen nur, dass auch nüchtern kalkulierende Handelsdiplomaten Wunschträume haben. «In den fast 20 Jahren ihrer Geschichte hat die WTO nicht ein einziges vollständig multilaterales Handelsabkommen zustande gebracht», resümierte der US-Handelsbeauftragte Michael Froman. Daran ließ sich auch in den Genfer Marathonverhandlungen der 159-WTO-Botschafter nichts ändern.

Leider sei es nicht gelungen, «die Ziellinie zu überschreiten», räumte der enttäuschte WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo am Dienstag ein. Und ob sich innerhalb von vier Tagen im Kongresszentrum von Nusa Dua auf Bali etwas daran ändert, ist ungewiss.

Der Name der indonesischen Insel steht als Synonym für die letzte Hoffnung, ein Scheitern der Bemühungen um ein multilaterales Freihandelsabkommen noch abzuwenden. Dafür hat der Brasilianer Azevêdo, der das Amt erst im September vom Franzosen Pascal Lamy übernahm, alles getan, was in seiner Macht steht.

Zehn Wochen lang hat Azevêdo Verhandlungen von Handelsdiplomaten aus aller Welt koordiniert. «Er hat uns wie ein Dompteur mit der Peitsche getrieben, so ernst ist hier seit langem nicht verhandelt worden», berichtet ein Teilnehmer. Herausgekommen ist mehr, als viele erwartet hatten, aber nicht die große Einigung. «Wir hätten noch zwei weitere Wochen beraten können, ohne es zu schaffen», sagte Azevêdo.

Immerhin gibt es für die Konferenz der Handelsminister einzelne Vorschläge in den komplizierten Bereichen Landwirtschaft und Entwicklung. Zähneknirschend hatten sich Entwicklungs- und Schwellenländer wie Indien dazu bekannt, bestimmte Subventionen im Agrarsektor schrittweise abzubauen - wenngleich manche Zusagen wohl in letzter Minute doch noch zurückgezogen wurden.

Dabei geht es um die «Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln» - ein Argument, das nach Überzeugung westlicher Experten oft zur Verschleierung staatlicher Zuschüsse missbraucht wird. Nur noch für eine Übergangszeit von vier Jahren sollen diese Länder Reserven zu staatlich festgesetzten Preisen anlegen dürfen. Danach müssen auch sie sich dem Weltmarkt stellen. Die Pille wurde mit Zugeständnissen auf anderen Gebieten sowie Entwicklungshilfezusagen versüßt.

Streit gibt es weiter bei den Handelserleichterungen. Hier geht es um den Abbau von Zollformalitäten und anderen bürokratischen Hemmnissen im internationalen Warenverkehr. Gemessen an der 2011 von der WTO in Doha verkündeten Vision einer Liberalisierung des gesamten Welthandels erscheint das geringfügig. Aber nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) könnten dank solcher Erleichterungen die Handelskosten in Entwicklungsländern um bis zu 16 Prozent und in Industriestaaten um gut 10 Prozent sinken - insgesamt um etliche Milliarden Dollar.

Das Problem mit der Doha-Vision ist die Verfahrensweise «Alles oder nichts»: Nichts kann in Kraft treten, ehe nicht alles beschlussfähig ist. Das erwies sich im Interessenkampf zwischen Industrie- und Entwicklungsländern als zu komplex. Den Teufelskreis hofft Azevêdo nun durch verbindliche Bali-Abkommen auf einzelnen Gebieten zu durchbrechen, ehe man dann weitere Doha-Ziele angeht.

Erfolg wünscht ihm dabei auch die deutsche Wirtschaft. Leichtere Zollabwicklungen seien ein Förderprogramm für den Welthandel, das wenig kostet, meint Oliver Wieck, ICC-Generalsekretär in Deutschland. Ein Abschluss auf Bali wäre eine willkommene Stärkung der WTO. «Denn sie ist auch jene Organisation, in der große Handelsstreitigkeiten geschlichtet werden», sagte Wieck der Nachrichtenagentur dpa. «Unsere Sorge ist, dass die WTO auch auf diesem Gebiet geschwächt werden könnte, sollte es nicht einmal zu einem Teilabschluss kommen.»

Neben dem Ringen um eine globale Handelsliberalisierung ist die Schlichtung von Handelsdisputen die bedeutendste Aufgabe der Anfang 1995 gegründeten WTO. Dazu gehören Differenzen mit China um dessen Rohstoffexporte oder der ebenfalls milliardenschwere Streit zwischen Boeing und Airbus. Bisher ist die WTO-Schlichtung ein Erfolgsmodell: 80 Prozent ihrer Schiedssprüche werden befolgt, obwohl sie dies nicht selbst erzwingen könnte. «Wenn die WTO aber mit der Welthandelsrunde scheitert, fragen sich viele, was sie noch wert ist», warnt Wieck. (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Entwaldungsfreie Lieferketten - CDU will Kleinbauern schützen

 EU-Handelskammer mahnt China zu weniger Überkapazitäten

 Detox, Onsen, Ayurveda, Klangheilung - Wellness-Markt wächst rasant

 Auch ohne Deutschland - EU-Staaten stimmen für Lieferkettengesetz

 WTO weist Klage gegen EU-Energiemaßnahmen ab

  Kommentierte Artikel

 Ukrainisches Getreide macht EU-Märkte nicht kaputt

 Jedes vierte Ei in Deutschland aus Rheinland-Pfalz

 Hundesteuer steigt - Rekordeinnahmen bei Kommunen

 Neuartige Atomreaktoren auf Jahrzehnte nicht marktreif nutzbar

 Milliardenschweres Wachstumspaket kommt, aber ohne Agrardiesel-Subventionen

 Wieder Bauernproteste in Berlin

 Cholera-Alarm: Impfstoffproduktion muss hochgefahren werden

 Deutsche Wasserspeicher noch immer unterhalb des Mittels

 Staaten kündigen beschleunigten Ausbau von Atomkraft an

 Bamberger Schlachthof vor dem Aus