Vom Machtzentrum in Peking über das «Ruhrgebiet Chinas» in Liaoning im Nordosten bis in die Boom-Provinz Jiangsu im Osten und das Wirtschaftszentrum Shanghai - mehr als 2.600 Kilometer ist Baden-Württembergs Ministerpräsident in China gereist. Seine 120-köpfige Delegation hatte weit über 100 Termine für Begegnungen. Zwölf Vereinbarungen wurden unterzeichnet.
Das Fazit des Grünen-Politikers nach der einwöchigen Reise: «Der schlafende Riese ist längst erwacht.» Die heute zweitgrößte Wirtschaftsnation wolle die USA überholen und die Nummer Eins werden. «Das merkt man hier überall.» Kretschmann hat knapp fünf Monate vor der Landtagswahl nicht nur versucht, für Baden-Württembergs Unternehmen «Türen zu öffnen», sondern hat in China auch mit seiner Botschaft eines notwendigen nachhaltigen Wachstums «offene Türen eingerannt», wie er am Ende überrascht feststellt.
China will weg vom blinden Wachstum, das den Städten den Smog gebracht und Flüsse sowie Böden verseucht hat. Die Frage ist nur wie. Auf seiner ersten China-Reise warb der Grünen-Politiker somit für die Kooperation mit den in Umweltschutz und innovativen Technologien führenden Unternehmen aus Baden-Württemberg. «Dass sich mit grünen Ideen auch schwarze Zahlen schreiben lassen, setzt sich langsam auch in China durch», sagt Kretschmann.
Es wird höchste Zeit. Denn in einem ist China schon die Nummer Eins: im Kohle- und Energieverbrauch. «Wenn wir China nicht für
Nachhaltigkeit und Umweltschutz gewinnen, sind sie in der Lage, das Klima auch allein zu ruinieren», sagt Kretschmann. So treibt ihn die Sorge um die Zukunft des Planeten um, wenn er die Mega-Städte, Hochhäuser, Fabriken und die langen Staus auf den neuen, breiten Autobahnen erlebt.
Tief beeindruckt hat ihn der Hunger in China nach einem besseren Leben sowie die Lern- und Leistungsbereitschaft junger Menschen. Nach einem Besuch in einer Berufsschule sagt der frühere Lehrer, die hohe Motivation und Disziplin der Schüler seien erstaunlich: «Bei uns braucht man schon die Hälfte der Unterrichtszeit, um die Kinder zu motivieren.»
Von dem Leistungswillen könne sich manch einer in Deutschland eine Scheibe abschneiden, sagt der Grüne und kritisiert das «hyperliberale Verhalten an deutschen Schulen»: «Wenn das funktionieren soll, dann muss das am Ende so viel Kreativität freisetzen, wie die an Disziplin mitbringen.»
Immer wieder setzt sich der Regierungschef für den Schutz des geistigen Eigentums, mehr Rechtssicherheit oder ein freies Internet ein. Deutlicher als manch anderer deutscher Politiker mahnt der grüne Spitzenpolitiker die Menschenrechte, mehr Meinungsfreiheit und Mitsprache der Bürger an. Es sei im ureigenen Interesse Chinas und eine Grundvoraussetzung, um eine innovative, zukunftsfähige Wirtschaft bauen zu können.
«Kreativität braucht Freiheit», lautet die Kernbotschaft seiner Rede an der renommierten Tongji-Universität in Shanghai, die Vizedekan Wu Zhiqiang anschließend als «sehr, sehr gut» lobte. Kretschmann spürt bei dem Thema Menschenrechte in China aber, «dass man aus einer völlig anderen Kultur kommt». «Da darf man sich nichts vormachen.»