Demnach hat die Ukraine im Rahmen von Vermittlungen durch die Vereinten Nationen (UN) und die Türkei schriftlich zugesichert, dass der Seekorridor nur im Einklang mit den Bestimmungen der Schwarzmeer-Initiative und der entsprechenden
Verordnung des Koordinationszentrums in Istanbul genutzt wird, nicht aber für militärische Operationen gegen die Russische Föderation.
Laut dem Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, sollten die Getreideexporte über den Korridor im Schwarzen Meer ab Mittwochmittag fortgesetzt werden. Vier Tage zuvor, am vergangenen Samstag, hatte Moskau seine Beteiligung am Getreideabkommen am Samstag überraschend ausgesetzt und als Grund einen „terroristischen Angriff“ der Ukraine auf seine Schwarzmeerflotte und zivile Schiffe angeführt. Allerdings hatten während Russlands vorübergehendem Rückzug aus dem Abkommen mehrere Getreidefrachter die Route über das Schwarze Meer genommen.
Derweil ist weiterhin unsicher, ob das Abkommen, das am 19. November ausläuft, verlängert wird. Der Kreml betonte am Donnerstag, er habe sich nicht verpflichtet, die Vereinbarung über das vereinbarte Auslaufdatum hinaus einzuhalten. Vor diesem Hintergrund dürften die betreffenden Verhandlungen mit den Vereinten Nationen (UN) fortgesetzt werden.
Kursschwankungen an der Matif
An der Pariser
Terminbörse für Weizen verursachten der Rückzug und der Wiedereinstieg Russlands in das Getreideabkommen kräftige Kursschwankungen.
Der vordere Matif-Kontrakt mit Fälligkeit im Dezember 2022 kletterte bis zum Dienstag zunächst auf ein Dreiwochenhoch von 359,75 Euro/t; das waren 22,25 Euro/t oder 6,6 % mehr als der Abrechnungskurs für die vorhergehende Handelswoche - also vor dem Ausstieg Russlands aus dem Getreideabkommen.
Nach der Kehrtwende Russlands fiel der Kurs allerdings bis Freitagmittag gegen 12.10 Uhr auf 342,75 Euro/t zurück. Im Aufwärtssog der Weizenkurse verteuerte sich der Maiskontrakt zur
Lieferung im März 2023 vorübergehend um 11,75 Euro/t oder 3,5 % auf 345 Euro/t, gab dann aber auf 343 Euro/t nach.
JCC: Hälfte der Lieferungen für reiche Länder
Das Getreideabkommen war am 22. Juli unter Vermittlung der Türkei und der UN in Istanbul unterzeichnet worden. Es soll die sichere Durchfahrt von Frachtschiffen auf festgelegten Routen durch das Schwarze Meer ermöglichen, um die vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöste Ernährungskrise vor allem in armen Ländern abzufedern.
Nach aktuellen Daten des Beobachtungszentrums (JCC) in Istanbul, das zur
Überwachung des Getreideabkommens eingerichtet worden ist, wurden vom 1. August bis zum 2. November auf dem Seeweg insgesamt 9,899 Mio t
Agrarprodukte aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen verschifft. Davon entfielen auf Mais ungefähr 43 %, auf Weizen 28 %, auf Rapssaat 7 %, auf
Sonnenblumenöl und -schrot jeweils 6 % sowie auf andere Agrarprodukte insgesamt 9 %.
Wichtigster Abnehmer war Spanien mit insgesamt 1,8 Mio t, gefolgt von der Türkei mit 1,3 Mio t und China mit 1 Mio t. Auf den Plätzen vier bis sieben rangierten Italien mit 869 Mio t Agrargütern, die Niederlande mit 467 Mio t, Ägypten mit 429 Mio t und Deutschland mit 272 Mio t.
Der mengenmäßige Anteil der Seewegbezüge von Volkswirtschaften mit einem niedrigen Einkommensniveau belief sich auf 3,2 % und der von Volkswirtschaften mit hohem Einkommensniveau auf rund 50 %.
„Der Agrarhandel“: Alternativrouten schnell verbessern
Unterdessen warf der Geschäftsführer des Verbandes „Der Agrarhandel“ (DAH), Martin Courbier, Russland wegen des vorübergehenden Ausstiegs aus dem Abkommen über den humanitären Exportkorridor für ukrainisches Getreide die „Instrumentalisierung von Nahrungsmitteln und Hungersnot als Druckmittel für Kriegsinteressen“ vor. „Dies ist nicht hinnehmbar“, betonte Courbier in Berlin. Die Leidtragenden einer kalkulierten Destabilisierung der
Getreidemärkte seien die ärmsten Menschen dieser Welt.
Der DAH-Geschäftsführer drängte zugleich darauf, die Lage schnell und unbürokratisch zu verbessern. Dazu seien dringend die vorhandenen Alternativrouten über den Landweg zu erhalten und deren Effizienz weiter zu steigern. Getreidetransporte per Schiene sollten in Deutschland und der Europäischen Union priorisiert werden, denn die Wartezeiten der Schiffe - auf jeder Seite des Bosporus - betrage derzeit zwölf bis 15 Tage.
Zuladung für Lkw-Getreidetransporte gefordert
Indes stellte DAH-Geschäftsführer Christof Buchholz fest, dass sich die Situation an der polnischen Grenze zwar etwas verbessert habe. Dort lägen die Wartezeiten für Lkw jetzt bei etwa zwei bis drei Tagen und nicht mehr bei mehr als einer Woche. „Aber insgesamt verläuft die Abwicklung zu schleppend“, stellte Buchholz klar.
Der Verband bekräftigte seine Forderung an die Bundesregierung, alternative Transportwege zu stärken und effizienter zu gestalten. Angesichts der angespannten Lage sei es nicht verständlich, dass in Deutschland Lkw-Getreidetransporte weiterhin mit nur bis zu 40 t Gesamtgewicht erlaubt seien. Die Zuladung von 4 t Getreide würde in Kombination mit den Bahn- und Schifftransporten einen Effizienzgewinn von unter dem Strich 15 % einbringen.
Begrüßt wurde vom DAH die Initiative der
EU-Kommission, das Schienennetz in der EU und insbesondere den Transport per Zug aus der Ukraine auszubauen und zu restrukturieren. Gunststandorte für den
Getreideanbau hätten eine Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft und insbesondere gegenüber Ländern, die aufgrund von Standortnachteilen auf die
Versorgung mit importierten Nahrungs- und Futtermitteln angewiesen seien, so der Verband.
Warteschlange verkürzt
Das ukrainische
Landwirtschaftsministerium teilte unterdessen mit, dass sich seit Anfang November die Warteschlange der Schiffe mit ukrainischen Erzeugnissen am Bosporus drastisch verkürzt habe. Von 120 ankernden Schiffen seien weniger als 40 übrig geblieben. Allerdings warteten an der Meerenge immer noch etwa 100 Schiffe auf ihren Weg in die Ukraine und die dortige Beladung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen.