Während der Lebensmitteleinzelhandel insgesamt lahmt, freuen sich die Bio-Händler seit Jahren über rasant steigende Umsätze, Naturkost-Ketten eröffnen neue Filialen und stellen Personal ein. Ganz zufrieden ist die Branche dennoch nicht, denn die heimischen Erzeuger können die wachsende Nachfrage nicht mehr bedienen. Das sei ein zunehmendes Problem, sagt Michael Radau, Vorsitzender des im südhessischen Bickenbach ansässigen Verbands der Bio-Supermärkte und Vorstand der SuperBioMarkt AG im westfälischen Münster.
Auch Manon Haccius, Mitglied der Geschäftsleitung der Naturkostkette
Alnatura im südhessischen Bickenbach, klagt: «Es ist weiterhin so, dass die Anzahl der Bio-Landwirte in Deutschland langsamer wächst als sich der Markt entwickelt.» Denn während der Handel nach Angaben des Bauernverbandes die Umsätze auch 2006 um gut 15 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro steigerte, wuchs die ökologisch bewirtschaftete Fläche nur um 2,3 Prozent. Nach Radaus Worten setzte sich das zweistellige Wachstum des Handels auch im ersten Halbjahr 2007 fort - allerdings auf nach wie vor niedrigem Niveau: Der Anteil der Branche am Gesamtumsatz des Lebensmittelhandels liege bei rund drei Prozent.
Gemeinhin dürfte es den meisten Einzelhändlern gleichgültig sein, woher sie ihre Waren beziehen. In der Bio-Branche ist das nicht so. Denn erstens gelten die Kriterien für Lebensmittel, die unter einem Bio-Siegel verkauft werden, in Deutschland als strenger, und Verbraucher haben auch mehr Vertrauen in die Kontrollen hier zu Lande als andernorts. Es gilt, einen Ruf zu schützen. Zum anderen widersprechen lange, umweltschädigende Anfahrtswege den eigenen Ansprüchen einer Branche, die regionale Erzeuger beflügeln und möglichst persönlich kennen will - und die sich zugleich auf die Fahnen schreibt, einen Beitrag zum Tier- und Landschaftsschutz in der Heimat zu leisten.
Radau ist besorgt: «Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden wir massive Schwierigkeiten kriegen, hochwertige ökologische Produkte aus Deutschland zu beziehen. Das wäre extrem schade und gegen den Geist der meisten Unternehmen.» Auch Haccius sieht das Problem mangelnder heimischer Erzeugnisse auf die Branche zukommen. Aktuell schätzt sie den Importanteil bei Obst und Gemüse auf 50 Prozent. Das entspreche in etwa dem Anteil konventioneller Anbieter und sei auch auf klimatische Voraussetzungen zurückzuführen. «Zum Teil hat es aber auch mit den hohen Arbeitskosten und damit mit den Preisen der Produkte zu tun, die die Verbraucher nicht bereit sind zu zahlen.» Zunehmend würden nicht nur Kiwis oder Orangen eingeführt, sondern auch
Frühkartoffeln aus Ägypten, Italien und Spanien oder Möhren aus Israel, Spanien und Frankreich.
Radau betont, in immer mehr Bereichen stünden zu wenig ökologische Produkte in der gewollten Qualität zur Verfügung: «Die Anreize für Landwirte sind einfach im Moment zu gering in Deutschland.» In anderen Ländern sei die Förderung besser, um die drei bis vier Jahre der kompletten Umstellung auf ökologischen Landbau zu verkraften. In dieser Zeit müssen die Bauern zwar schon ökologisch wirtschaften, dürfen ihre Erzeugnisse aber nur konventionell oder als so genannte Umstellware - also zu niedrigeren Preisen - verkaufen. «Da braucht der Landwirt finanziellen Ausgleich», fordert Radau.
Zuletzt seien Umstellprämien zum Teil zurückgefahren worden, zum Teil wurden sie eingefroren. «Das größte Problem ist die politische Unsicherheit. Bauern brauchen für längere Zeiträume verlässliche Rahmenbedingungen», klagt Haccius. Radau sieht im Moment keine Trendwende zu höheren Förderungen. Daher müsse der Bio-Handel in den sauren Apfel beißen, und Milch oder Möhren irgendwann verstärkt aus Polen oder Tschechien importieren: «Wir werden immer mehr aus dem Ausland beziehen müssen - auch Grundnahrungsmittel.» (dpa)