Für eine Verschiebung des zum 1. Januar 2021 geplanten Inkrafttretens der
EU-Ökoverordnung hat sich unter anderem der zuständige Berichterstatter des Europaparlaments,
Martin Häusling, am Dienstag (14.4.) ausgesprochen. In einem Brief an Agrarkommissar Janusz Wojciechowski nennt der Agrarsprecher der Fraktion der Grünen/EFA als Grund die mit der Corona-Krisensituation verbundenen Einschränkungen beim notwendigen Austausch zu der aufwendigen Detailarbeit. Diese komme derzeit „nur sehr langsam“ voran und könnte sich sogar weiter verzögern.
Wenig später plädierte auch der Bund Ökologische
Lebensmittelwirtschaft (
BÖLW) für eine Verschiebung des Inkrafttretens der neuen EU-Ökoverordnung. Der BÖLW-Vorsitzende Dr. Felix Prinz zu
Löwenstein forderte, dass das neue EU-Ökorecht erst am 1. Januar 2022 zur Anwendung kommen sollte und nicht - wie bisher von der
EU-Kommission geplant - schon zu Beginn des kommenden Jahres.
Als Begründung führte auch er an, dass das Corona-Geschehen den ohnehin in Verzug geratenen engen Zeitplan für ein neues Bio-Recht vollends unmöglich mache. Löwenstein hofft indes, dass Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner den Biosektor dabei unterstützen wird, die Anwendung der neuen Regeln zu verschieben.
Vorsichtige Zurückhaltung, ob unter den derzeit eingeschränkten Bedingungen bis zum Herbst eine „fundierte abschließende Beratung der noch ausstehenden Dossiers zur Vervollständigung des neuen EU-Ökorechts“ gelingen könne, äußerte das
Bundeslandwirtschaftsministerium auf Anfrage von AGRA-EUROPE.
Ursprünglicher Fahrplan unrealistischWie eine Sprecherin des Ressorts erklärte, bedarf es hierzu einer „sehr fundiertenAbwägung der Konsequenzen“. Zu dieser Frage stehe man bereits sowohl mit der Europäischen Kommission als auch mit den anderen Mitgliedstaaten in einem Austausch. Unter Umständen könne diese Frage unter der deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte geklärt werden.
Zudem stellte die Sprecherin klar, dass eine Initiative zur Öffnung und Änderung des Basisrechts nur gelingen könne, wenn diese von einer breiten Mehrheit in der Europäischen Kommission, dem Rat und dem EU-Parlament getragen werde. Derweil betonte Häusling, dass der Ökosektor nun eine ausgefeilte, praxisgerechte
Gesetzgebung brauche.
„Aufgrund des schleppenden Austauschs zwischen den EU-Institutionen scheint es mir unrealistisch, am ursprünglichen terminlichen Fahrplan festzuhalten“, gab der Europaabgeordnete zu bedenken. Zudem seien zu viele Detailfragen noch ungelöst.
Gründlichkeit vor SchnelligkeitAls Beispiele führt Häusling die Liste der genehmigten Reinigungs- und Desinfektionsmittel in der Verarbeitung und die ökologische
Züchtung bis hin zum Umgang mit nicht genehmigten Substanzen an. Dies seien Aspekte, die „man nicht übers Knie brechen“ dürfe. Laut dem Berichterstatter spricht daher vieles dafür, die
Verordnung um ein ganzes Jahr zu verschieben und erst im Januar 2022 umzusetzen.
Auch der Reformprozess der Gemeinsamen
Agrarpolitik (
GAP) und damit die zwischenzeitlich geltende Übergangsverordnung würden aufgrund der Corona-Krise aller Voraussicht nach um ein weiteres Jahr verlängert. Daher müsse erst recht eine Verlängerung für die aufwendige Detailumsetzung bei der neuen Ökoverordnung möglich sein. „Hier muss Gründlichkeit in jedem Fall vor Schnelligkeit gehen, denn das ist die rechtliche Grundlage der nächsten Jahre für den ganzen Biosektor“, betont der Berichterstatter.
Bisherige Verordnung liefert gute RechtsbasisLöwenstein wies unterdessen darauf hin, dass sich die europäische
Biobranche darin einig sei, die neue Verordnung auf Anfang 2022 zu verschieben. „Mit der aktuell gültigen Bioverordnung wirtschaften
Bauern, Hersteller und Händler auf einer guten Rechtsbasis“, so der Verbandsvorsitzende. Dies erlaube es, das neue EU-Ökorecht weiter solide auszuarbeiten und nach der Maßgabe „Qualität vor Schnelligkeit“ vorzugehen.
Löwenstein machte deutlich, dass die komplexe Arbeit an den nachgelagerten Rechtsakten der Ökoverordnung, die im Detail die genauen Vorgaben für Tierhaltung, Kontrolle und Importe regelten, ohnehin nur langsam voran käme. Die Pläne der EU-Kommission würden deshalb schon jetzt vorsehen, etliche Regelungen erst kurz vor Jahresende fertigzustellen.
Selbst für den Fall, dass dies „praxisgerecht und mit der notwendigen Sorgfalt“ gelinge, bleibe für Behörden, Kontrollstellen und die
Betriebe keine Zeit mehr, sich an die neuen Regeln anzupassen.
Nach den Worten des BÖLW-Vorsitzenden wird diese „unmögliche Situation“ noch dadurch erschwert, dass der gesamte Ökosektor, von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis hin zum Handel, derzeit unter den erheblichen Schwierigkeiten der Corona-Krise daran arbeite, die Bevölkerung weiter mit
Lebensmitteln zu versorgen.