Saisonarbeit: Gewerkschaft will Abkehr von kurzfristiger Beschäftigung
Frankfurt - Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) will weg vom Modell der kurzfristigen sozialversicherungsfreien Beschäftigung von Saisonarbeitskräften.
IG BAU-Vize Schaum: Saisonarbeitnehmer grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigen - Großteil übt Saisonarbeit berufsmäßig aus - Vollen Krankenversicherungsschutz durchsetzen - Jahresbericht 2022 „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ vorgelegt. (c) proplanta
„Saisonarbeitnehmer in der Landwirtschaft sollten grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden“, forderte der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG BAU, Harald Schaum, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2022 „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ der Initiative Faire Landarbeit am vergangenen Freitag (3.2.) in Frankfurt.
Die gegenwärtige Praxis basiere auf der Annahme, dass ein großer Teil der Saisonarbeiter die Tätigkeit in Deutschland nicht berufsmäßig ausübe. Alles deute jedoch darauf hin, dass diese Annahme „in den allermeisten Fällen“ falsch sei. Kurzfristig fordert die Gewerkschaft den vollen Krankenversicherungsschutz für kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft.
Die seit dem Jahr 2022 geltende gesetzliche Pflicht, Erntehelfer bei einer Krankenversicherung anzumelden, sei lückenhaft. Laut IG BAU erfolgte die Anmeldung überwiegend bei einer privaten Gruppen-Krankenversicherung (PGK).
Keine Beschäftigten zweiter Klasse
In Beratungsgesprächen der Gewerkschaft mit Betroffenen hat sich herausgestellt, dass den Arbeitnehmern oftmals keine Versicherungsnachweise ausgehändigt worden seien. Manche PGK hätten nicht alle Behandlungskosten getragen, so dass die Betroffenen große Summen selbst hätten bezahlen müssen, berichtete die IG BAU.
In mehreren Fällen seien kurzfristig Beschäftigte umgehend nach Hause geschickt worden. Da sie in den ersten vier Wochen keinen Anspruch auf Krankengeld hätten, seien sie auf ihren Kosten sitzengeblieben. „Kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft dürfen keine Beschäftigten zweiter Klasse sein“, mahnte Schaum. Für den gesamten Aufenthalt in Deutschland müsse der volle Krankenversicherungsschutz gelten.
Einhaltung des Mindestlohns schwer zu kontrollieren
Der Jahresbericht führt Mängel in der Beschäftigung von Saisonarbeitskräften auf. Die Liste beruht auf Beratungsgesprächen, die von der Initiative Faire Landarbeit mit Betroffenen geführt wurden. Unter anderem wird moniert, dass in vielen Betrieben nicht die Arbeitszeit, sondern die Dokumentation der geernteten Menge die Grundlage für die Lohnabrechnung darstelle.
Da Arbeitsstunden oftmals von der Betriebsleitung per Hand aufgeschrieben würden, lasse sich nur schwer nachvollziehen, wie sich das Entgelt zusammensetze und ob der gesetzliche Mindestlohn eingehalten werde. Hinzu komme, dass Überstunden nicht bezahlt und hohe Mieten sowie „Arbeitsmaterialien“ vom Lohn abgezogen würden. Da die Löhne meistens erst kurz vor der Abreise ausbezahlt würden, sei eine erfolgreiche Reklamation schwierig. Nötig wäre laut Initiative Faire Landarbeit eine transparente digitale Zeiterfassung.
Zu wenig Kontrollen
Ebenfalls nötig wären der Initiative zufolge deutlich mehr und umfassende Kontrollen. Nach Angaben des Zolls sei im Jahr 2021 bei lediglich 1,1 % der Landwirtschaftsbetriebe mit Beschäftigten überprüft worden, ob der Mindestlohn gesetzeskonform gezahlt werde. In der ersten Hälfte des Jahres 2022 habe diese geringe Quote weiter abgenommen.
Im Jahr 2021 hätten 8,6 % aller Betriebsuntersuchungen zu Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz geführt. Die Quote habe damit höher gelegen als im Baugewerbe oder den Branchen Spedition und Logistik. Schließlich wird bemängelt, dass im heißen Sommer 2022 vielfach Schutzvorkehrungen für die Beschäftigten gefehlt hätten, von Schattenplätze zum Abkühlen, ausreichend Trinkwasser und Sonnencreme bis hin zur einfachen Kopfbedeckung.
Breites Bündnis
Die Initiative vermutet zudem, dass die Akkordarbeit die Beschäftigten so unter Druck gesetzt habe, dass sie auf Pausen verzichtet hätten. Auch hier müssten die Arbeits- und Gesundheitsschutzkontrollen deutlich intensiviert werden, damit die geltenden Regelungen auch in der Landwirtschaft eingehalten würden.
Die Initiative Faire Landarbeit ist ein Bündnis der gewerkschaftsnahen Beratungsstellen Faire Mobilität, des Europäischen Vereins für Wanderarbeiterfragen und dem Beratungsnetzwerk „Gute Arbeit“ von Arbeit und Leben, der IG BAU sowie weiteren Organisationen.