Das sieht ein Kompromissvorschlag von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) vor. Der
Bauernverband begrüßte den Schritt und betonte am Samstag, der Vorschlag komme in letzter Minute.
Zustimmung kam auch aus den Ländern sowie von der FDP. Die Umweltschutzorganisation
Greenpeace warf Özdemir dagegen vor, dem Druck der Agrarlobby nachgegeben zu haben. Die Deutsche Umwelthilfe sieht eine «Torpedierung des Artenschutzes».
Özdemir will Bauern und Bäuerinnen ermöglichen,
Agrarflächen für den Anbau bestimmter Pflanzen zur
Nahrungsmittelproduktion länger zu nutzen. So sollen die eigentlich geplanten zusätzlichen Artenschutzflächen erst 2024 eingeführt werden. Bauern könnten dann im kommenden Jahr auf diesen Flächen weiter
Nahrungsmittel anbauen.
Hintergrund sind ab 2023 greifende EU-Vorgaben, wonach ein Teil der Landwirtschaftsflächen dem
Artenschutz dienen und zudem der Anbau derselben Ackerpflanze zwei Jahre in Folge auf derselben Fläche zum
Bodenschutz grundsätzlich nicht mehr möglich sein soll. Die Umsetzung der Vorgaben hatte Brüssel aber den jeweiligen EU-Staaten überlassen.
Özdemir hat nun den Bundesländern seinen Vorschlag zur Umsetzung der Kommissionsentscheidung unterbreitet, der ein Aussetzen von Fruchtwechsel und Flächenstilllegung vorsieht. Er braucht den Angaben zufolge die Zustimmung der Länder.
Nach Ministeriumsangaben soll die erstmalige verpflichtende Flächenstilllegung im kommenden Jahr einmalig ausgesetzt werden. Stattdessen solle weiter ein landwirtschaftlicher Anbau möglich sein, «allerdings im Sinne der Ziele des Kommissionsvorschlags eingeschränkt auf die Produktion von Nahrungsmitteln, daher auf die Kulturen Getreide (ohne Mais), Sonnenblumen und Hülsenfrüchte (ohne Soja)», hieß es.
Das gelte nur für die Flächen, die nicht bereits 2021 und 2022 als brachliegendes
Ackerland ausgewiesen gewesen seien: «Die bestehenden Artenvielfaltsflächen werden dadurch weiterhin geschützt und können ihre Leistung für Natur- und Artenschutz sowie eine nachhaltige Landwirtschaft erbringen.»
Zudem ist die EU den Angaben zufolge Özdemirs Vorschlag gefolgt und lässt eine Ausnahme beim Fruchtfolgenwechsel zu. Die entsprechende Regelung werde 2023 einmalig ausgesetzt. Damit könnten Landwirte in Deutschland auf etwa 380.000 Hektar ausnahmsweise Weizen nach Weizen anbauen.
Nach wissenschaftlichen Berechnungen könnten damit bis zu 3,4 Millionen Tonnen Weizen angebaut werden. So gelinge es am besten, «die
Getreideerträge in Deutschland stabil zu halten und damit zur Stabilität der Weltmärkte beizutragen», hieß es.
Özdemir sagte, Russlands Präsident Wladimir
Putin spiele mit dem Hunger, und er tue dies auf Kosten der Ärmsten in der Welt. Zugleich sei der Hunger bereits dort am größten, wo die Klimakrise schon schwere Folgen habe. «Für mich gilt daher, dass jede Maßnahme zur Lösung einer Krise darauf hin überprüft werden muss, dass sie eine andere nicht verschärft», sagte der Grünen-Politiker.
Die Landwirtschaft in Deutschland habe ein Angebot gemacht, durch Beibehalten der Produktion die
Getreidemärkte zu beruhigen. Agrarbetriebe wüssten nun, was sie in wenigen Wochen aussäen dürften.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbands,
Joachim Rukwied, begrüßte den Vorschlag, die EU-Regeln zu Flächenstilllegung und Fruchtwechsel auszusetzen. «Diese Entscheidung war überfällig und kommt in letzter Minute», sagte er. «Wir Bauern haben bereits mit der
Anbauplanung für das kommende Jahr begonnen und brauchen Planungssicherheit.» Eine Aussetzung für ein Jahr ist aus Sicht Rukwieds sicher nicht ausreichend.
Um weiter eine sichere Lebensmittelversorgung gewährleisten und in Krisenzeiten reagieren zu können, müssten alle Flächen genutzt werden können, auf denen es landwirtschaftlich sinnvoll sei. Die Bundesländer müssten dies jetzt zügig bestätigen.
Özdemir habe endlich eingelenkt, sagte Baden-Württembergs Minister für
Ernährung, Ländlichen Raum und
Verbraucherschutz, Peter
Hauk (CDU), der auch Sprecher der unionsgeführten Agrarressorts der Länder ist. Bayerns
Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) nannte es «überfällig, jetzt die Spielräume, die die
EU-Kommission eröffnet hat, zu nutzen und so Verantwortung für die
Ernährungssicherung zu übernehmen».
Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad, forderte, die Regelungen schnell und rechtssicher umzusetzen, da die Aussaat bevorstehe.
Greenpeace-Experte Matthias Lambrecht kritisierte dagegen, die ohnehin viel zu geringen Flächen zum Schutz der
Artenvielfalt in der Landwirtschaft würden so wirtschaftlichen Interessen geopfert.
«Dabei ist die Ernährungssicherung in Kriegszeiten nur ein Vorwand, um wertvolle Biotope unterzupflügen», sagte er. Dort angebauter Weizen würde erst im nächsten Jahr und in nicht ausreichender Menge zur Verfügung stehen, um der akuten globalen Hungerkrise wirkungsvoll zu begegnen.
Mit einem Ausstieg aus dem
Biosprit könnte dagegen umgehend ein Vielfaches der Getreidemenge für den Kampf gegen den Hunger bereitgestellt werden. Auch die Umwelthilfe fordert, jegliche Förderung für Agrosprit sofort zu beenden und Flächen für die
Lebensmittelproduktion umzuwidmen.