Auch die deutschen Kohlenimporteure halten einen Ersatz russischer Kohle in den nächsten Monaten für umsetzbar. Ifo-Expertin Karen Pittel sagte am Freitag, die Auswirkungen dürften im Vergleich zu einem Importstopp für russisches Erdgas weit geringer ausfallen.
Zudem geht sie davon aus, dass Preiserhöhungen durch das Embargo «eher kurzfristigen Charakter» haben werden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) glaubt, dass Deutschland schon den kommenden Winter auch ohne russisches Gas auskommen könne.
Die 27 EU-Staaten haben ein fünftes großes Paket mit Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Die von den ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten am Donnerstagabend gebilligten Vorschläge der
EU-Kommission enthalten auch einen Importstopp für Kohle - erstmals wird damit ein Energieembargo verhängt. Diskutiert wird zunehmend aber auch ein
Lieferstopp für Öl und Gas.
Das Ifo verwies darauf, dass für Strom Steinkohle bei Bedarf durch Braunkohle ersetzt werde. Zwar hätten 2021 Importe aus Russland 57 Prozent der deutschen Steinkohle-Einfuhren ausgemacht. «Aber es ist zu erwarten, dass dies zumindest im Laufe der kommenden Monate durch Einfuhren aus anderen Ländern ausgeglichen werden könnte», so Pittel.
Russland werde versuchen, auf Abnehmer auszuweichen, erwartet Pittel. Dann würden zwar einerseits die Auswirkungen auf die weltweiten Kohlepreise überschaubar bleiben - allerdings auch die Folgen für Russland. Daher und wegen der geringen finanziellen Bedeutung erscheine ein Embargo für Russland wenig bedrohlich.
«Bis zum nächsten Winter sollte der komplette Verzicht auf russische Kohle möglich sein», sagte Stephan Riezler vom Verein der Kohlenimporteure (VdKi). Es gebe einen gut funktionierenden
Weltmarkt, sagte VdKi-Chef Alexander Bethe. Wegen der Umstellung von Warenströmen und Knappheiten bestimmter Steinkohle-Qualitäten wird es nach Einschätzung des VdKi kurzfristig zu Preissteigerungen kommen.
In der EU wird diskutiert, in welchem Umfang und wie schnell die Einfuhr russischer Energie gestoppt werden sollte. Schätzungen der Denkfabrik Bruegel zufolge gibt die EU derzeit täglich 15 Millionen Euro für Kohle, etwa 400 Millionen Euro für Gas sowie 450 Millionen Euro für Öl aus Russland aus. Die Bundesregierung lehnt ein sofortiges Embargo für Gas wegen der Folgen für die Wirtschaft ab.
Nach Darstellung des DIW könnte Deutschland schon im laufenden Jahr ohne russisches Erdgas auskommen. Dafür müssten aber viel Energie gespart und Gaslieferungen aus anderen Ländern so weit wie möglich ausgeweitet werden. Es könnte mehr Flüssiggas aus Norwegen und den Niederlanden sowie über Terminals der Nachbarländer bezogen werden. Zudem könnten schwimmende Terminals genutzt werden.
Feste Terminals seien für Deutschland aber nicht sinnvoll. Das DIW hält zudem 18 bis 26 Prozent weniger Erdgasverbrauch für möglich. Privathaushalte sollten etwa weniger stark heizen und weniger Warmwasser verbrauchen, die Industrie Wärme mit Strom, Kohle oder Biomasse erzeugen.
Kurzfristige Einschränkungen der Einfuhren von Gas aus Russland in die EU wären nach Einschätzung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell nicht nur für Deutschland eine große Herausforderung. «Nein, es ist nicht nur ein deutsches Problem, denn die deutsche Wirtschaft ist sehr stark mit der europäischen Wirtschaft verflochten», sagte er.
Als Vorsorge für den kommenden Winter sollen Gasspeicher in Deutschland ausreichend befüllt sein. Der
Bundesrat billigte ein entsprechendes Gesetz. So sollen die
Versorgung gewährleistet bleiben und Preissprünge ausbleiben.
Eine Mehrheit der Bürger in Deutschland ist einer
Umfrage zufolge für schärfere Sanktionen gegen Russland. Einen Importstopp für Energie befürworten 54 Prozent der Befragten aber erst, wenn die Versorgung anderweitig gesichert ist, wie aus der Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen hervorgeht. Nur 28 Prozent sind für einen sofortigen Stopp der Importe.
In einer am Vortag veröffentlichten Umfrage von Infratest dimap für den ARD-«Deutschlandtrend» hatten dagegen 50 Prozent der Befragten angegeben, einen sofortigen Stopp der Einfuhren von russischem Gas und Öl zu unterstützen, auch wenn es zu Engpässen und steigenden Energiepreisen käme.