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12.08.2010 | 12:45 | Alternative Energiequellen  

Gülle statt Heizöl: Kommunen trotzen den Konzernen

Bollewick/Feldheim - Auf den ersten Blick ist Bollewick ein ganz normales Straßendorf in Mecklenburg-Vorpommern.

Biogasanlage
(c) proplanta
Kinderlachen schallt aus dem Kindergarten «Stoppelhopser», es staubt vom Getreidefeld hinter den Häusern entlang der erneuerten Dorfstraße und von der Baustelle der Biogasanlage von Henk van der Harn. Und doch ist der Ort 120 Kilometer nördlich von Berlin dabei, Geschichte zu schreiben - Bioenergiegeschichte.

«In einem Jahr können wir uns selbst mit Strom und Wärme versorgen und noch andere mit», sagt Bürgermeister Bertold Meyer. Deshalb war auch gerade Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) in Bollewick - hier soll die Vision einer 100-Prozent-Versorgung mit Ökoenergien 2011 Realität werden. Bis vor kurzem wurden in dem 660-Einwohner-Dorf 250.000 Kilowattstunden Strom vor allem aus Kohle- und Atomenergie und 266.000 Liter Öl für das Heizen verbraucht. 220.000 Euro flossen für Strom und Wärme ab. Diese Zeiten sind vorbei, statt der zentralen Versorgung durch große Kraftwerke sind lokale Lösungen gefragt - die Kommunen koppeln sich zunehmend von den großen Versorgern ab.

Aigner legte mit dem holländischen Landwirt van der Harn den Grundstein für dessen rund zwei Millionen Euro teure Biogasanlage und gab damit auch gleich den Startschuss für das «Bioenergiedorf.» Rund 560.000 Euro hat das Dorf bereits in zwei größere Solaranlagen, Gutachten und die Planung für das Bioenergiedorf mit dem angepeilten Aufbau eines 700.000 Euro teuren Nahwärmenetzes investiert.

In Biogasanlagen wird durch vergärte Biomasse, wie Holzresten, Gülle oder Energiepflanzen Gas erzeugt. Dieses wiederum wird in einem Blockheizkraftwerk in Strom umgewandelt, die Abwärme kann zum Heizen genutzt werden. Eine Biogasanlage gibt es schon in Bollewick, eine zweite wird nun gebaut, eine dritte ist geplant. Windenergie geht mangels Wind leider nicht, bedauert Bürgermeister Meyer. Solche Bioenergie-Konzepte müssten eben immer sehr individuell für Dörfer und Verbraucher ausgelegt werden. Ähnlich sieht es im brandenburgischen Feldheim aus, das 70 Kilometer südwestlich von Berlin liegt. Das 145 Einwohner-Dorf versorgt sich in Zukunft autark mit Strom und Wärme aus Windkraft- und Biogasanlagen. Gemeinsam mit den Bewohnern betreibt das Unternehmen Energiequelle ein Wärmeversorgungssystem aus Biogas - reicht das nicht aus, steht noch ein kleines Holzhackschnitzel- Kraftwerk zur Verfügung. Der Strom für Feldheim wird künftig vor allem aus dem nahe gelegenen Windpark abgezapft - für 450.000 Euro wurde ein neues Leitungsnetz verlegt, das Wärmenetz kostet 1,7 Millionen Euro.

Rechnet sich so etwas? Werner Schlunke, Vorsitzender der örtlichen Agrargenossenschaft, ist fest davon überzeugt. «Auf die Idee kommt man, wenn man sieht, wie viel man bezahlt und wie wenig man das beeinflussen kann.» Bauer Schlunke ist so etwas wie der David im Kampf gegen die Marktmacht der Konzerne, Filmteams aus Japan und Südamerika sind bei ihm, um sich erklären zu lassen, wie ein Dorf in Deutschland plötzlich aus der Energieversorgung aussteigen kann. Die überschüssig produzierte Energie bringt Feldheim zudem Zusatzeinnahmen.

Auf 10 Jahre wurde der Strompreis auf 16,9 Prozent festgeschrieben - das sind gut 10 Cent weniger als normalerweise zu berappen sind. Da sich der Anbau von Zuckerüben und Kartoffeln kaum noch rechnete, wird nun auf 300 Hektar der insgesamt 1.700 Hektar der Agrargenossenschaft Mais angebaut. Die Biogasanlage braucht 18 Tonnen Maissilage, 2 Tonnen Roggen und 17 bis 18 Tonnen Gülle pro Tag - die beim Vergären in der Biogasanlage übrig gebliebenen Gärreste lassen sich als geruchsneutraler Dünger wieder für die Felder nutzen.

Bollewick und Feldheim zeigen, dass Ökostrom und Energie aus landwirtschaftlichen Rohstoffen stark an Bedeutung gewinnen - das spielt auch im bald vorliegenden Energiekonzept der Bundesregierung eine Rolle. Biogas-Anlagen und Biomasse-Kraftwerke sind als einzige neben Atom und Kohle grundlastfähig - das heißt sie können durch ständiges Verfeuern kontinuierlich Energie liefern - anders als Wind oder Sonne. Aber Biomasse ist für die Strom- und Wärmeversorgung in großem Stil bisher nicht in ausreichendem Maße vorhanden. N

ach Angaben von Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus sind allein in dem norddeutschen Bundesland bereits 250 Biogasanlagen und 16 Biomasse-Heizkraftwerke am Netz. Damit könnten jährlich 240.000 Tonnen Gas und Öl gespart und der Ausstoß von 650.000 Tonnen Kohlendioxid (CO2) vermieden werden. Der Osten ist - auch dank üppiger Förderung - ein Vorreiter auf diesem Feld.

Eine eigene Energieversorgung schafft neue Betätigungsfelder und generiert Einnahmen. Bioenergie und Biogas seien als Zusatzstandbein besonders wichtig, wenn die Milch- und Getreidepreise weiter so schwanken, sagt Bauer van der Harn aus Bollewick. Bürgermeister Meyer betont: «Es geht darum, dass das Geld für die Energieerzeugung nicht mehr irgendwohin transferiert wird, sondern in der Region bleibt und damit Arbeitsplätze gesichert werden oder neu entstehen.» (dpa)


Hintergrund:

Energie aus Biomasse - Wie funktioniert das?

Biomasse ist eine Art Alleskönner unter den erneuerbaren Energieträgern - und zudem reichlich vorhanden. Wichtige Ausgangsstoffe sind Bäume, Pflanzen und Bioabfälle. Einige Verfahren zur Umwandlung in Energie:


Verkohlung:

Holz wird erhitzt und dadurch zersetzt. Dabei entsteht hochwertige Holzkohle, die zur Wärme- und Stromerzeugung, aber auch in der chemischen Industrie genutzt wird.


Ölgewinnung:

Aus ölhaltigem Pflanzen wie Raps wird Öl gepresst und mit chemisch behandelt. Mit dem Verfahren der «Umesterung» lässt sich daraus Biodiesel gewinnen.


Vergärung:

Stärkehaltige Pflanzen wie Mais werden zu Ethanol vergoren. Dieser kann dem herkömmlichen Benzin beigemischt wird.


Vergasung:

Mit dem Verfahren «Pyrolyse» kann unter hohen Temperaturen Gas aus Biomasse herausgetrieben werden. Dieses Gas hat einen großen Heizwert und wird zur Strom- und Wärmegewinnung genutzt.
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