«Da ist Leben drin, wir reden nicht über einen toten Raum», sagt der Landwirt aus dem nordhessischen Edermünde-Grifte. Der 36-Jährige und seine Familie leben nicht nur am, sondern auch von der Eder. Sie betreiben ein Wasserkraftwerk als Standbein neben der Landwirtschaft. Doch wie lange noch, das weiß Steinhagen nicht.
In Hessen gilt seit einigen Jahren ein neuer Mindestwassererlass. Der schreibt vor, dass mehr Wasser an den Mühlen vorbeigeleitet werden muss. Ziel ist, die Gewässerökologie in den Altarmen - also dem ursprünglichen Flussverlauf - zu schützen. Ob mehr Wasser wirklich mehr
Umweltschutz bringe, sei unklar, sagt Steinhagen. Ihm fehle das Wasser dann im Mühlengraben und damit bei der Stromerzeugung.
Werden es 10 Prozent Einbußen sein, 20 oder 30? «Das ist schwer zu greifen», sagt er. Ein wirtschaftlicher Verlust sei sicher. Momentan diskutiere er mit Behörden über neue Genehmigungen und damit auch über die Mindestwassermenge.
Mit einer hessenweiten Aktion kämpfen Betreiber von Wasserkraftanlagen wie Steinhagen gegen aus ihrer Sicht zu strenge und ungerechtfertigte Umweltauflagen. Laut der Arbeitsgemeinschaft Hessischer Wasserkraftwerke (AHW) droht einem Großteil der 621 Wassermühlen durch den Mindestwassererlass das Aus.
«Das kommt vor allem bei kleinen Anlagen zum Tragen, die ohnehin schon viele wirtschaftliche Probleme haben», sagt der AHW-Vorsitzende Helge Beyer am Mittwoch bei einer Veranstaltung auf Steinhagens Hof. Ein paar Meter weiter steht auf einem Transparent seine zentrale Forderung: «Wasserkraft muss bleiben!»
Die Branche ist in Hessen klein und mittelständisch geprägt. Obwohl ihr Strom aus erneuerbaren Energien stamme und CO2-frei produziert werde, habe er keine Lobby, erklärt Beyer. Man fühle sich übergangen.
Der Erlass sei eine «rein gewässerökologisch ausgerichtete Regelung» und zu kurz gedacht. Zwar mache Wasserkraft nur drei bis vier Prozent der
Stromerzeugung in Hessen aus. Aber: «Der Wasserkraftstrom bemisst sich nicht an der Anzahl der Kilowattstunden, sondern an der Qualität des Stroms», sagt Beyer. Er werde stetig erzeugt und könne Schwankungen bei Wind und Sonne ausgleichen.
Die Arbeitsgemeinschaft hat ausgerechnet, dass bei flächendeckender Anwendung des Erlasses in Hessen eine Strommenge fehlen würde, mit der eine Stadt wie Fulda oder Marburg versorgt werden könnte. Was die Betreiber zusätzlich ärgert: Sie haben jahrelang umwelttechnisch stark aufgerüstet. Feinere Rechen, Fischtreppen und Aalrohre sollen Fische vor Turbinen schützen.
Umweltschützer stehen der Wasserkraft trotzdem kritisch gegenüber. So erklärte der Bund für Umwelt und
Naturschutz (
BUND) kürzlich, mit dem Mindestwassererlass schütze man Fische in den Bächen und Flüssen davor, massenhaft zu sterben. Denn Fischtreppen und Umgehungsgewässer bräuchten genügend Wasser, um das Überleben der Fische zu ermöglichen. Das Problem sei der Klimawandel, sagt BUND-Naturschutzreferent Thomas Norgall: Man grabe den Wasserkraftanlagen nicht das Wasser ab, sondern sie bekämen weniger, weil durch Trockenheit weniger verfügbar sei.
«Der
Klimawandel stellt uns alle vor eine große Herausforderung. Dabei müssen wir alle Aspekte im Blick behalten», erklärt eine Sprecherin des Umweltministeriums. Man müssen gleichzeitig Erneuerbare Energien fördern und alles für den Erhalt der
Artenvielfalt tun.
«Strom aus Wasserkraft ist dann nachhaltig, wenn die negativen Auswirkungen auf die Gewässerökologie nicht überwiegen.» Dahinter stehe zudem die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die vorschreibt, Bäche und Flüsse in einen guten Zustand zu versetzen.
Obwohl alle Seiten Verhandlungsbereitschaft signalisieren, beschäftigt der Streit die Gerichte. Allerdings ist die große Klagewelle bisher ausgeblieben. Beim Regierungspräsidium (RP) Nordhessen beispielsweise gab es vor zwei Jahren 16 Verfahren gegen Wasserkraftwerke, in vielen wurden Rechtsstreite erwartet. Doch aktuell sind nur sechs Klageverfahren bekannt, die beim Verwaltungsgericht Kassel anhängig seien.
«Zwei der sechs Klageverfahren sind jedoch ruhend gestellt, da außergerichtlich Vereinbarungen vorbereitet werden und die Verfahren somit beendet werden können», sagt RP-Sprecherin Katrin Walmanns. Bei anderen Fällen hätten Betreiber auf ihr Wasserrecht verzichtet, die Mindestwassermenge akzeptiert oder verhandelten noch. «Diese Bestandsaufnahme zeigt, dass - anders als zunächst angenommen - die Klage nicht der einzige von den Betreibern gewählte Weg ist.»