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30.12.2013 | 08:04 | Stromversorgung 

Stromschulden - Ein Leben ohne Elektrizität

Karlsruhe - Helga Müller musste ein Jahr ohne Strom leben. Sie weiß, was es heißt, sich zum Frühstück nicht mal eine Tasse Kaffee zubereiten zu können.

Stromnachzahlung
(c) proplanta
«Morgens gab es Brote und ein Glas Wasser», erzählt die 60-jährige, die in Wahrheit nicht Helga Müller heißt - ihren richtigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen.

Es fing an wie so oft: Anders als in dem vom BGH kürzlich entschiedenen Fall, in dem ein Schreibwarenhändler seine Rechnung aus Protest gegen Preissteigerungen nicht beglichen hatte, konnte die Witwe ihre Stromschulden aus Geldnot nicht bezahlen. 900 Euro - das war zu viel für ihre schmale Rente, zumal über die Hälfte ihrer 740 Euro für Miete drauf ging und sie ihren jüngsten Sohn mit versorgen musste.

Wie viele Betroffene reagierte sie aus Scham nicht auf die Mahnungen und Absperr-Androhungen ihres Stromversorgers. Schließlich drehte das Unternehmen der Frau aus Niedersachsen im Sommer 2012 den Saft ab. Wieder reagierte die Mutter von zwei Kindern nicht, verbarg ihre Not. Da war sie schon auf die Hilfe von Verwandten und Freunden angewiesen. Ein Leben ohne Strom.  «Es ist unvorstellbar. Aber es geht mit sehr viel Willenskraft», sagt sie.

So wie Helga Müller geht es vielen Menschen in Deutschland. Die Bundesnetzagentur hat ermittelt, dass 2011 mehr als 300.000 Stromsperren verhängt wurden. Sechs Millionen Mal wurde die Abschaltung demnach angedroht, im Schnitt bei einem Rückstand von 120 Euro. Fast ausschließlich betrifft es Hartz-IV-Empfänger oder Menschen mit sehr kleinen Einkommen.

Die Stromkosten sind nämlich nicht vom Wohngeld gedeckt. Experten wie Christian Woltering vom Paritätischen Wohlfahrtsverband rechnen daher damit, dass die Zahl der abgeklemmten Haushalte wegen der Preiserhöhungen steigen wird.

Helga Müller hatte wenigstens noch Heizung und Warmwasser, das lief über den Vermieter. Aber kein Telefon, kein Fernsehen oder Internet. Selbst so kleine Dinge wie ein Föhn fehlten plötzlich. «Da hat man auf einmal ein ganz anderes Verhältnis zum Strom», sagt sie.

Im Sommer musste sich die Witwe die Lebensmittel mangels Kühlschrank von Tag zu Tag kaufen. Wenn ihre Tochter oder ihre beste Freundin sie einluden, bekam Frau Müller ein warmes Essen oder eine Tasse Kaffee.

Einmal in der Woche durfte sie bei ihrer Freundin die Waschmaschine voll machen. Die langen Winterabende verbrachten sie mit Kerzen und einer Taschenlampe.

«Es gibt Haushalte, denen wird der Strom mehrfach im Jahr gesperrt», sagt Woltering. Vor allem die Nachzahlungen bereiteten den Betroffenen Probleme.

Die Nebenkosten seien in den letzten Jahren so sehr gestiegen, dass sie fast eine zweite Miete darstellten. Auch der Regelsatz für die Hartz-IV-Empfänger fange das nicht auf. «Im Schnitt ist der Regelsatz 25 Prozent zu niedrig, um die Preissteigerungen der Stromkosten abzubilden», sagt er. Die Sätze seien im letzten Jahr zwar um acht Euro gestiegen, allein die Hälfte ginge aber dabei schon im Schnitt für Strom drauf.

Häufig haben gerade einkommensschwache Haushalte noch regelrechte Stromfresser wie alte Kühlschränke zu Hause. Außerdem gibt es für die Betroffenen kaum Möglichkeiten, zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln, da man dafür in der Regel eine Bonitätsprüfung braucht. Ein weiteres Problem ist, dass die Betroffenen aus Scham oder Überforderung zu spät reagieren.

Als Helga M. nach einem halben Jahr endlich Hilfe in Anspruch nehmen wollte, gewährte ihr die Sozialbehörde keinen Kredit. Das Argument: Sie habe zu lange gewartet. Der Anbieter ließ sich zwar auf eine Ratenzahlung ein. Die Raten waren aber zu hoch für ihr Budget.

Ihre Caritas-Beraterin erreichte schließlich nach zähen Verhandlungen, dass Helga M. bei einem neuen Stromanbieter unterkam. Seit September hat sie wieder Strom. «Mein Sohn hat geweint, als der Zähler wieder angeschlossen wurde», sagt sie. Ihre Schulden stottert sie jetzt ab, so gut es geht. (dpa)
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