Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
10.01.2011 | 22:45 | Überschüssige Energie aus Windkraft 

Wind bringt gigantische Kraftwerke aus dem Takt

Jänschwalde - Nördlich von Cottbus steht das zweitgrößte Kraftwerk Deutschlands.

Windkraft in Jänschwalde
Es versorgt Hunderttausende Haushalte mit Wärme und Strom. Täglich werden dort bis zu 80.000 Tonnen Braunkohle verfeuert. Doch Wind kann die gigantische Anlage aus dem Takt bringen.

Schichtleiter Georg Schindler steuert im Spätdienst das zweitgrößte Kraftwerk in Deutschland. Die Anlage des Betreibers Vattenfall in Jänschwalde - nördlich von Cottbus, nahe der Grenze zu Polen - läuft auf Hochtouren. Während draußen die Kühltürme mächtig dampfen und ein Kohlezug nach dem anderen entladen wird, zeigen die Messinstrumente im Leitstand eine Leistung von rund 3.200 Megawatt an. Alles läuft nach Plan, nur der Wetterbericht sorgt für Unmut. «Wir haben Wind in Aussicht gestellt bekommen», sagt Schindler. Das bedeutet: Tausende Windräder laufen an und liefern zusätzlichen Strom. Damit die Netze nicht überlastet werden und zusammenbrechen, muss das Kraftwerk seine Leistung drosseln.

An Strom herrscht im Osten Deutschlands kein Mangel. Dort gibt es neben konventionellen Kraftwerken auch mehr als 40 Prozent der Windräder bundesweit. Allerdings ist zwischen Rügen und Erzgebirge nicht einmal jeder fünfte Stromverbraucher zu finden. So wird an manchen Tagen deutlich mehr Strom produziert als gebraucht wird. Da es zu wenig Hochspannungsleitungen in die großen Verbrauchszentren im Westen und Süden gibt, kann die überschüssige Energie nicht vollständig abgeleitet werden; auch Speichermöglichkeiten gibt es nicht in diesem Maß. «Alles drückt in die Netze, aber keiner weiß wohin damit», sagt Schichtleiter Schindler.

Kraftwerkschef Andreas Thiem schildert die Rechtslage: «Das Gesetz schreibt vor, dass Windkraft Vorrang hat. Dem haben wir uns zu fügen. Wenn mehr Windenergie erzeugt wird als verbraucht werden kann, müssen wir diesen Strom kaufen und unsere eigene Leistung herunterfahren.» Das durchkreuzt allerdings die Planungen des Betreibers, da der Strom schon langfristig im Voraus verkauft wird. «Wir müssen dann Energie zukaufen, obwohl wir genügend Strom selbst produzieren könnten», sagt der Cottbuser Vattenfall-Kommunikationschef Markus Füller. «Letztlich machen wir dadurch die Einspeisung der Windkraft erst möglich.» Die Diskussion um Ökostrom wird dort aus einem anderen Blickwinkel geführt als in der Hauptstadt.

Zum Leidwesen der Ingenieure ist der Wind unberechenbar. Mal bläst er stark, dann wieder gar nicht. Deshalb schwankt die Leistung der Windräder im Osten zwischen null und fast 11.000 Megawatt - das würde für Hunderttausende Menschen ausreichen. Manchmal gibt es so viel Strom, dass selbst Windräder abgeschaltet werden müssen und die Strombörse Energie nicht nur verschenkt, sondern sogar noch Geld dazu gibt - Hauptsache, es finden sich Abnehmer.

Damit bei all den Schwankungen das System stabil bleibt, werden die Kraftwerke mit hoch komplizierten Mechanismen geregelt. Ganz abschalten könne man sie nicht, da sonst die Netze zusammenbrechen würden, betont Systemingenieur Gerd Stecklina. «Wir müssen dafür sorgen, dass immer genügend Strom und Wärme zur Verfügung steht.»

Für Kraftwerksleiter Thiem hat das Auf und Ab konkrete Konsequenzen: «Früher sind wir einmal im Jahr wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb gegangen, aber allein 2010 gab es 78 windbedingte Stillstände der Dampfkessel.» Insgesamt erzeugen dort zwölf Kessel Wasserdampf mit unvorstellbar hohem Druck (169 bar). Dieser treibt Turbinen und Generatoren an, wodurch Strom entsteht. «Das Hoch- und Runterfahren ist Stress für die Anlage», meint Schichtleiter Schindler.

Braunkohlekraftwerke wie Schwarze Pumpe in Brandenburg oder Niederaußem in Nordrhein-Westfalen produzieren die Grundlast an Strom, die immer verfügbar sein muss. Umweltschützer kritisieren scharf, dass bei der Verbrennung fossiler Energieträger viel klimaschädliches Kohlendioxid entsteht. So pustet das Kraftwerk Jänschwalde rund 25 Millionen Tonnen CO2 im Jahr in die Luft und gehört damit weltweit zu den Anlagen mit den höchsten Emissionen. Dennoch wird bundesweit rund ein Viertel des Stroms mit Braunkohle erzeugt. Vattenfall will das Kohlendioxid mittelfristig abtrennen und unterirdisch lagern (CCS-Technologie), dagegen gibt es aber Proteste.

In Jänschwalde denkt Stabsleiter Stecklina schon mit Schaudern an das Frühjahr, wenn sich die Solaranlagen bemerkbar machen, die ebenfalls immer weiter ausgebaut werden. Auch Sonnenstrom gehe vor. «Dann achten wir nicht nur auf Wind, sondern auch auf den blauen Himmel - und der Kraftwerksprozess wird noch unberechenbarer.» (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 EU-Ziel für Offshore-Windenergie noch in weiter Ferne

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Anwohner neuer Windräder sollen finanziell profitieren

 Nordex startet mit deutlichem Auftragsplus ins neue Jahr

 China kritisiert EU-Untersuchung gegen Windkraftunternehmen

  Kommentierte Artikel

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet

 Weniger Schadholz - Holzeinschlag deutlich gesunken