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17.02.2012 | 14:05 | Stromnetz 

Zocken mit der Stromversorgung? - Netz nahe am Blackout

Berlin - Zocken und Gier sind Begriffe, die Politiker gern mit den Finanzmärkten in Verbindung bringen.

Stromnetz
(c) proplanta
Doch dass womöglich zockende Stromhändler und nicht das immer wieder beschworene Aus von acht Atommeilern das deutsche Stromnetz gefährlich nahe an einen Blackout gebracht haben könnten, ist neu.

Das Netz habe seit dem 6. Februar zu einigen Tageszeiten «erhebliche, über mehrere Stunden andauernde Unterdeckungen verzeichnet», schreibt die Bundesnetzagentur in einem Brandbrief an die Stromhändler.

Die Netzwächter fordern Aufklärung, was zu der gefährlichen Unterversorgung zwischen dem 6. und 9. Februar geführt hat. «Es war sehr, sehr ernst», heißt es in der Aufsichtsbehörde am Donnerstag.

«Wir werden das in alle Richtungen untersuchen», betont ein Sprecher von Präsident Matthias Kurth. Ob der Grund in einem aus Kostengründen betriebenen Kleinrechnen des Bedarfs liegt, sei aber reine Vermutung.

Was ist passiert? Wegen einer Rekordnachfrage von bis zu 100.000 Megawatt in Frankreich und auch eines in Deutschland hohen Verbrauchs wegen extremer Kälte schnellte der Börsen-Strompreis am Spotmarkt für kurzfristige Einkäufe in die Höhe, teils waren über 350 Euro für die Megawattstunde Strom zu berappen. Stromhändler handeln mit Liefer- und Abnahmeversprechen - also dass sie für einen bestimmten Zeitraum von einem Stromlieferanten eine Menge X an Strom beziehen.

Gegen sie richten sich vor allem die Vorwürfe. Sie prognostizieren anhand von Erfahrungswerten über den Verbrauch den Einkaufsbedarf - daran orientiert sich auch die Stromproduktion. Doch vom 6. bis 9. Februar kam es massenhaft zu Fehlprognosen, teils um mehrere tausend Megawatt.

«Diese waren für die Unterdeckung verantwortlich», sagt ein Branchenkenner. «Es kam zu einer Art Herdentrieb, der das System hätten gefährden können.» Der Verdacht: Die Händler können Prognosen kleingerechnet haben, um wegen der sehr hohen Preise Geld zu sparen.

Um die Stromversorgung aufrecht zu erhalten, mussten Notreserven angezapft werden. Diese Regelenergie dient als Absicherung, wenn ein Kraftwerk ausfällt oder es wegen kleinerer Prognosefehler mehr Bedarf gibt als erwartet.

Das massenhafte Anzapfen der Notreserve drohte das Netz nahe an den Kollaps zu bringen. Kurzfristig musste auch Strom aus der Kaltreserve - unter anderem aus dem Kohlekraftwerk Mannheim 3 und einem Ölkraftwerk in Österreich - angefordert werden.

Das Brisante dabei: Die Regelenergie war weitaus billiger, Kosten von lediglich rund 100 Euro je Megawattstunde werden den Händlern im Nachhinein dafür berechnet.

«Wenn Sie 350 Euro für die Megawattstunde Strom ausgeben müssen oder die Chance haben, an einem anderen Markt günstiger Strom zu beziehen, dann nutzen Sie diese Chance. Ich halte dies per se nicht für kriminell», betont Tobias Federico, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Energy Brainpool.

«Es ist schwer, hier Absicht nachzuweisen», so Federico. Das Verlassen auf die Regelleistung wird in der Politik und der Industrie jedoch als riskantes Vabanquespiel bewertet.

Gunter Scheibner, zuständig für die Netzabrechnung beim Stromnetzbetreiber 50 Hertz kritisiert in einem Schreiben die dadurch heraufbeschworene kritische Netzsituation: «Die Inanspruchnahme von Ausgleichsenergie zur Lastdeckung ist nur zulässig, soweit damit nicht prognostizierbare Abweichungen ausgeglichen werden müsse». Aber auch die Netzbetreiber müssen sich wohl fragen lassen, ob sie den Bedarf unterschätzt haben.

Die Linke-Politikerin Dorothée Menzner fordert mehr staatliche Überwachung. «Akteure auf dem Strommarkt haben natürlich nicht primär die Sicherheit der Stromversorgung im Blick, sondern den Profit». Bei den Netzaufsehern wird überlegt, ob als Konsequenz die Kosten für die Regelenergie stärker an die Börsen-Strompreise gekoppelt werden sollten, um ein Zocken zu unterbinden. Diese wird nicht an der Börse gehandelt, sondern von den Netzbetreibern zur Verfügung gestellt.

Beim Energiekonzern RWE, der im Zuge der Atomdebatten gerne an den Pranger gestellt wurde, wird präventiv betont, dass man mit der Lage nichts zu tun gehabt habe: «Wir haben keine Kraftwerksleistungen zurückgehalten». Die genauen Hintergründe will die Bundesnetzagentur nun ermitteln - der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft warnt vor einer einseitigen Betrachtung und vorschnellen Urteilen.

Schuld an der Sondersituation könnte auch das «M» haben, wird von Branchenkennern betont. Denn die Preise an der Pariser Börse für kurzfristige Stromeinkäufe schlagen derzeit besonders stark morgens und abends aus. Mittags gehen die Preise für Deutschland wie dem Verlauf eines M folgend trotz hohen Verbrauchs meist runter. Der Grund: Viel Solarstrom senkt auch im Winter mittags oft den Preis.

Durch die «Solardelle» können einige Kraftwerke aber nicht mehr wie früher durchlaufen. Um sie nicht für wenige Stunden anzufahren, was eher unrentabel ist, gebe es in den Morgen- und Abendzeiten bisweilen Knappheiten, die den Preis treiben - und damit das Geschäft der Händler erschweren, heißt es. «Wir haben zuletzt Preismuster erlebt, wie wir sie noch nicht kannten», so Energiefachmann Federico. (dpa)
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