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05.02.2023 | 10:30 | Handelsbeziehungen 

EU-Mercosur-Abkommen: Scholz, wo bleibt die Nachhaltigkeit?

Brasilia - Für einen zügigen Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Staatspräsidenten von Brasilien und Argentinien, Lula da Silva und Alberto Fernandéz, ausgesprochen.

Mercosur-Abkommen mit Brasilien
Bundeskanzler Scholz sowie die Staatschefs von Brasilien und Argentinien wollen baldigen Abschluss (c) proplanta
Die Vertiefung der Handelsbeziehungen sei wichtig, unterstrichen die drei Politiker jetzt bei Treffen im Rahmen der Südamerikareise des Kanzlers. Allerdings sei auf die Ausgewogenheit des Abkommens zu achten. Das bekräftigte am vergangenen Mittwoch (1.2.) auch Argentiniens Außenminister Santiago Cafiero bei Treffen unter anderem mit EU-Kommissionsvizepräsident Josep Borrell in Brüssel. Außerdem mahnte Cafiero noch weiteren Verhandlungsbedarf an.

Zu den aktuellen Diskussionsthemen gehört nicht nur die brasilianische Regenwaldpolitik, wegen der das Abkommen 2019 während der Amtszeit von da Silvas Amtsvorgänger Jair Bolsonaro von Seiten der Europäer auf Eis gelegt worden war. Im Mercosur stört man sich aktuell unter anderem an der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Protektionistische Maßnahmen machten es ausländischen Anbietern schwierig, Lebensmittel in der EU abzusetzen.

EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis hofft dennoch auf einen Abschluss im kommenden Juli. Dafür böte seiner Einschätzung nach der für diesen Monat angesetzte EU-Lateinamerika-Gipfel eine gute Gelegenheit. Das Abkommen sei von „erheblicher geostrategischer und wirtschaftlicher Bedeutung“.

Ruf nach Nachverhandlungen

In Brüssel und den Mitgliedsstaaten regt sich aber weiterhin auch Widerstand. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA im Europäischen Parlament, Martin Häusling, forderte Nachverhandlungen. Bisher seien Klimaschutz und Menschenrechte nicht ausreichend berücksichtigt. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie Umweltschutzorganisationen sehen das Abkommen ebenfalls kritisch.

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), zu dem auch der Fachverband Landtechnik gehört, drängt indes auf einen zügigen Abschluss. Ein solcher biete große Chancen für seine Mitgliedsunternehmen.

Vorwurf der Ungleichbehandlung

Mit „großer Sorge“ betrachtet die dagegen die deutsche Landwirtschaft die Zusage von Scholz, das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen zügig zum Abschluss zu bringen. Man könne nicht Nachhaltigkeit von der Landwirtschaft fordern und dann für den sicher nicht nachhaltigen Schiffstransport von Rindfleisch aus Südamerika die Handelsschranken senken, kritisierte der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau (BWV), Michael Horper, das Vorgehen des Bundeskanzlers.

„Völlig unverständlich“ ist für Horper, wie man angesichts der tiefgreifenden Veränderung der Lebensmittelversorgung und Ernährungssicherung sehenden Auges die Verdrängung der heimischen Lebensmittelerzeugung in Kauf nehmen will, um im Gegenzug unter anderem mehr Autos zu exportieren.

Es sei auch nicht schlüssig, den deutschen Landwirten mehr Tierwohl und weniger Pflanzenschutzanwendungen abzuverlangen und gleichzeitig Produkte aus Südamerika zuzulassen, die die deutschen Standards nicht erfüllten.

Auch relevant für Verbraucher

Das kritisierte auch der Bayerische Bauernverband (BBV) und warnte davor, das Abkommen in seiner bisherigen Form anzunehmen. Er verschließe sich nicht gegen Handel, betonte der BBV. Die EU müsse aber endlich die Unterschiede in den Produktionsstandards für Lebensmitteln thematisieren und Regeln für einen fairen Handel aufstellen. Dies sei nicht nur im Interesse der europäischen Landwirte, sondern auch der Verbraucher. Es könne nicht sein, dass die Bauern in der EU „unter höchsten Auflagen und damit auch Kosten wirtschaften und dann mit Importen konkurrieren müssen, die unter deutlich niedrigeren Anforderungen produziert wurden“, stellte der BBV fest. Und gerade in den Mercosur-Staaten lägen die Anforderungen zum Beispiel an die Tierhaltung oder den Einsatz von Arznei- und Pflanzenschutzmitteln weit unter dem EU-Niveau.

Zerstörung von Betrieben und Wäldern droht

Nach Einschätzung der Organisation „La Via Campesina“, einem internationalen Bündnis von Kleinbauern in mehr 80 Ländern, würde ein EU-Mercosur-Freihandelsabkommen industrielle Landwirtschaftsmodelle fördern, die auf den Export von Agrarprodukten ausgerichtet sind. Gleichzeitig würde eine sozialere und nachhaltigere Landwirtschaft in den Händen von kleinen und mittleren Betrieben auf beiden Seiten des Atlantiks zerstört.

Greenpeace Deutschland kritisierte das Abkommen als „Giftvertrag“, der „klimaschädlich, naturfeindlich und veraltet“ sei. Zu befürchten seien unter anderem eine weitere Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes sowie ein verstärkter Preisdruck auf die europäischen Landwirte, wodurch eine Agrarwende verhindert werde.

Wichtige Agrarprodukte betroffen

Die EU und derMercosur, dem neben Argentinien und Brasilien auch Paraguay und Uruguay angehören, verhandeln bereits seit 1999 über ein Freihandelsabkommen. Im Jahr 2019 einigten sich die EU-Kommission und die Mercosur-Staaten auf eine Handelsübereinkunft. Eine Ratifizierung derselben wird aber von einzelnen Mitgliedstaaten, darunter Österreich, wegen der Folgen für den Umweltschutz und die europäische Landwirtschaft abgelehnt.

Gemäß dem damals ausgehandelten Abkommen soll den Südamerikanern beispielsweise eine Freihandelsquote für Geflügelfleisch von 180 000 t und ein zollfreies Lieferkontingent von 180.000 t Zucker jährlich zugestanden werden. Zudem soll der Import von 99.000 t Rindfleisch zu einem Zollsatz von 7,5 % erlaubt werden. Für Ethanol aus dem Mercosur-Block ist ein Jahreszollkontingent von 650.000 t vorgesehen.
AgE
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