Für Besucher des Waldes rund um das Frankfurter Stadion, über den im Zwei-Minuten-Takt ein dröhnendes Flugzeug nach dem anderen donnert, erschließt sich das rätselhafte Zeichen nicht.
Für die Forstarbeiter der Deutschen Bahn hat der Strich auf dem Baum aber Signalcharakter: Die Eiche muss weg. Zwischen Oktober und Februar darf gefällt werden.
Der gespaltene Stamm des schief gewachsenen Baumes birgt für die nur wenige Meter entfernte Bahntrasse zwischen Mannheim und Frankfurt eine schlummernde Gefahr. Eines Tages könnte ein Sturm die Eiche aushebeln und den Stamm auf die Gleise kippen lassen. Die Natur hat für den ungestörten Betriebsablauf der Deutschen Bahn wenig Verständnis und verursacht Verspätungen und somit hohe Kosten.
Forstwirt Hetzel, Jahrgang 1962, der einst in Freiburg über Waldbau und Vegetationskunde promovierte, ist einer von 50 Förstern, die die Deutsche Bahn bundesweit beschäftigt. Seit 20 Jahren ist er im Job. Er und seine Kollegen haben die Aufgabe, entlang der 34.000 Streckenkilometer der Bahn in ganz Deutschland die Vegetation so weit im Zaum zu halten, dass der Bahnverkehr reibungslos funktioniert.
Dafür darf auch gestutzt und gefällt werden. Vor allem «instabile» Bäume müssen daran glauben. Das unterscheide die Bahnförster vom sonstigen Forstbetrieb, der darauf erpicht sei, hochwertiges Gehölz für die kommerzielle Weiterverwertung zu nutzen, sagt Hetzel. «Allerdings müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass an anderer Stelle wieder Ausgleich geschaffen wird.» Das gilt auch, wenn Lärmschutzwälle dort aufgebaut werden, wo sich einst Wald befand.
So werden zur Befestigung der Bahnböschungen vornehmlich wieder Eiche, Ahorn und Esche neu angepflanzt. Weide und Pappel wie früher gehören längst nicht mehr zu den Favoriten der Förster-Fachleute. Sie seien zu brüchig, sagt Hetzel. 20.000 Hektar Wald hat die Bahn insgesamt zu bewirtschaften, ein Großteil der Fläche umsäumt die Gleise in einer Breite von 20 Metern.
Die Weiterverwertung des gerodeten Holzes ist überschaubar. Im hessischen Raum - dort sind angesichts des Waldreichtums die meisten Bahnförster (10) beschäftigt - handelt es sich um rund 20.000 Kubikmeter pro Jahr. In einigen Versuchsflächen betreibt die Bahn auch Forstwirtschaft mit dem Ziel, aus Holz Pellets zu erzeugen, aus deren Wärme wiederum Strom erzeugt werden soll. Immerhin will die Bahn ihre Ankündigung einlösen, bis 2020 den Strom zu 45 Prozent aus erneuerbarer Energie zu gewinnen.
Mit den deutschen Umweltschützern arbeitet die Bahn recht eng zusammen. «Wir haben einen Gesprächsfaden», sagt Werner Reh vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Berlin. Vor allem unter Bahnchef Rüdiger Grube habe sich vieles bewegt.
Entscheidend sei, dass die Bahn zum
Klimaschutz beitrage - da dürfe auch so mancher Baum im Interesse der Verkehrssicherheit fallen. Der
BUND will mit der Bahn demnächst über den Einsatz des umstrittenen Glyphosat und um den Erwerb von ungenutzten Freiflächen verhandeln.
Doch das ist schon nicht mehr Hetzels Ding. In seinem Alltag muss er darauf achten, dass bei der Ausdünnung des Waldbestands immer sechs Meter Abstand bis zum Gleis bewahrt bleiben und keine Äste von oben auf die Oberleitungen stürzen.
«Da kann es schon mal vorkommen, dass ein ICE den Ast am Stromabnehmer mitschleift und so die ganze Oberleitung runterreißt», sagt Hetzel. Gesetzliche Verpflichtungen, Förster einzustellen, habe die Bahn nicht, ergänzt ein Sprecher. Aber für die Sicherheit sei nun einmal zu sorgen. Der Einsatz vielleicht günstigerer Fremdfirmen komme hierfür nicht in Betracht, da das Wissen «zu spezifisch» sei.
Hetzel und seine Kollegen haben noch ein paar Baustellen: der Schutz seltener Pflanzen oder Tiere. Zum Beispiel wächst an einer Stelle an der Hinkelsteinschneise im Frankfurter Stadtwald die seltene Pflanze Diptam, die seit 80 Jahren unter Naturschutz steht und wegen ihrer ätherischen Öle bekannt ist. Und natürlich müssen Förster auch darauf achten, ob in Baustämmen sich nicht vielleicht eine Spechthöhle befindet. «Dann schneiden wir den Baum oberhalb ab», meint Hetzel. «Und wenn es gar nicht anders geht, hängen wir ein Vogelhaus auf.»