Aber auch genau das Umgekehrte kann eintreten, wenn Warnungen vor Gesundheitsgefahren medienwirksam in Szene gesetzt werden und Beschwerden aller Art auslösen (Nocebo-Effekt; lat.
nocebo =
ich werde schaden). Experimente einer deutschen und englischen Forschergruppe liefern jetzt im Fachmagazin "Journal of Psychosomatic Research" wichtige Hinweise dafür.
Seit Jahren berichten Presse und Fernsehen über Gesundheitsrisiken durch elektromagnetische Felder (EMF) die z.B. von Handys oder Mobilfunkmasten ausgehen. Es wird postuliert, dass Menschen auf elektromagnetische Felder sensibel reagieren können und deshalb häufig unter Kopfschmerzen, Schwindel, Kribbeln und eine Vielzahl anderer Missempfindungen leiden, die angeblich auf diese Emissionen zurückführen sind.
Es haben sich bereits Interessenverbände, Selbsthilfegruppen und Bürgerinitiativen gebildet, die ihre Ängste mit Nachdruck verbreiten. Dies kann sogar soweit führen, dass Betroffene sich wegen ihrer elektromagnetischen Überempfindlichkeit von der Arbeit und ihrem sozialen Umfeld zurückziehen und in extremen Fällen sogar in abgeschiedene Regionen umziehen, um elektrische Anlagen gänzlich zu meiden.
„Es spricht allerdings vieles dafür, dass es sich bei der elektromagnetischen Hypersensitivität (Überempfindlichkeit) um einen sogenannten Nocebo-Effekt handelt“, erklärt Michael Witthöft von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der entsprechende Experimente am King’s College in London durchgeführt hatte.
Bei der Studie wurde einer Gruppe von Testpersonen ein Fernsehbericht mit zum Teil drastischen Gesundheitsgefahren durch Mobilfunk und WLA-Signale vorgeführt, während die Vergleichsgruppe einen Filmbericht von BBC über Sicherheit im Internet und Handy angeschaut hatte. Danach wurden alle Probanden einem WLAN-Scheinsignal ausgesetzt. In Wirklichkeit aber war keine Strahlung vorhanden.
Über die Hälfte der Testpersonen berichteten über Beunruhigung und Beklemmung, Beeinträchtigung ihrer Konzentration oder Kribbeln in Fingern, Armen, Beinen und Füßen. Zwei Teilnehmer haben den Test sogar vorzeitig beendet, weil ihre Symptome so stark waren, dass sie sich nicht länger der vermeintlichen WLAN-Strahlung aussetzen wollten.
Auffällig bei der Untersuchung war, dass die Symptome bei Personen mit erhöhter Ängstlichkeit, die vor der Scheinexposition den Dokumentarfilm über mögliche Gefahren von elektromagnetischer Strahlung gezeigt bekamen, am stärksten ausfielen.
Diese Ergebnisse verdeutlichen, wie sich reißerische Medienberichte, die sich einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren, nachteilig auf die Gesundheit auswirken können bzw. einen Nocebo-Effekt hervorrufen.
Im Alltag erleben wir diese negative Beeinflussung oft unbewusst, wenn man z.B. ein Medikament einnehmen soll und deshalb den Beipackzettel liest. Eine Vielzahl von möglichen Nebenwirkungen wird aufgelistet, was durchaus zu entsprechenden Symptomen führen kann. Aber auch die gewünschte medikamentöse Wirkung kann dadurch negativ beeinflusst werden.
Es wird immer wieder über die Ausgestaltung der Beipackzettel von Medikamenten diskutiert. Aus juristischen Gründen sichern sich die Hersteller mit diesen Angaben gegen Regresse ab.
Empfehlenswert ist deshalb mit dem verordnenden Arzt über Wirkung und mögliche Nebenwirkungen zu sprechen und sich nicht durch die Litanei der Nebenwirkungen in den Packungsbeilagen verunsichern zu lassen. (Hr)
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Facharzt für Allgemeinmedizin-Sportmedizin,
Dr. med. H. Rüdinger