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27.06.2019 | 06:12 | Obsthandel 

Heimischer Süßkirschenanbau durch Drittlandimporte gefährdet

Meckenheim - „Wie kann es sein, dass z.B. türkische Süßkirschen, die mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden, die in Deutschland ein Anwendungsverbot haben, den Weg in die deutschen Supermarktregale finden?", so der Vorsitzende der Fachgruppe Obstbau Bonn/Rhein-Sieg, Ferdinand Völzgen, bei einer Informationsveranstaltung rheinischer Obstbauern am 26. Juni 2019 in Meckenheim.

Kirschenproduktion
Importe aus Drittstaaten gefährden den heimischen Süßkirschenanbau. (c) proplanta
Auch wenn die gesetzlich erlaubten Höchstgehalte an Rückständen von Pflanzenschutzmitteln eingehalten würden, sei es nicht nachvollziehbar, dass diese Kirschen den Weg zum Verbraucher fänden. Denn die Berufskollegen aus der Türkei könnten sich das teure Einnetzen der Kirschanlagen gegen Schädlinge, wie die Kirschfruchtfliege und die Kirschessigfliege, sparen und hätten dadurch einen Kostenvorteil.

Völzgen wies auf einen weiteren Kostenvorteil der türkischen Kirschenerzeuger hin: In Deutschland betrage der gesetzliche Mindestlohn 9,19 €/Std., in der Türkei nach einer Anhebung um 20 % in diesem Jahr trotzdem noch nicht einmal 2,00 €/Std. Er beklagte, dass der Handel, der unter starkem Wettbewerbsdruck stehe, Kirschen aus heimischer Produktion nicht oder nur teilweise in sein Sortiment aufnehme.

„Wir werden dafür abgestraft, dass wir – wie vom Gesetzgeber gefordert – in Sachen Lebensmittelproduktion auf umweltfreundlichere Produktionsverfahren umstellen", so Völzgen. Er stellte die Frage, wo der gelebte Klima- und Umweltschutz bleibe, wenn Nahrungsmittel aus dem Ausland billig eingeführt, die dortigen Produktionsweisen aber nicht hinterfragt würden.

Obstbauer Manfred Felten, auf dessen Betrieb in Meckenheim die Informationsveranstaltung stattfand, baut mit seiner Ehefrau Zuzanna und Sohn Matthias Süßkirschen auf einer Fläche von 1,5 ha an. „Bei der Planung der Anlage haben wir von Anfang an eine Überdachung vorgesehen", so Felten. So könne die Kirschblüte vor Frost geschützt, die Kirschen könnten ohne Angst des Erzeugers vor dem Platzen bei Regen vollreif werden und ihr optimales Aroma erreichen. Durch eine Einnetzung der Bäume könnten mehrere Insektizid-Spritzungen gegen die Kirschessigfliege eingespart werden.

Die weibliche Kirschessigfliege lege bis zu 300 Eier in gesunde und erntereife Früchte, berichtete Dr. Silke Benz vom Pflanzenschutzdienst der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

Der Schädling, der aus dem asiatischen Raum stamme, habe sich seit 2014 in Deutschland etabliert und befalle Weichobst, wie Kirschen, Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren. So habe man „gute Erfahrungen mit Netzen als Abwehr und Ausgrenzung der Kirschessigfliege gewonnen, die eine Maschenweite von 0,8 x 0,8 mm aufweisen", informierte Benz.

Der Betrieb Felten habe als Demonstrationsbetrieb mit dem Einnetzen der Obstkulturen gegen den gefährlichen Schädling eine wichtige Rolle übernommen. Die Netze würden nach der Blüte angebracht und unmittelbar nach der Ernte wieder eingerollt, sodass Insekten und Vögel wieder freien Zuflug zur Kultur hätten.

Für viele Verbraucher sei nicht der geringere Energieverbrauch und damit gelebter Klimaschutz das wichtigste Argument für den Einkauf regionaler und saisonaler Lebensmittel, stellte Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale NRW fest. „Solche Lebensmittel können ausreifen und schmecken besser, weil sie frisch sind und nicht schon halbreif geerntet wurden", so Burdick. Die Nähe schaffe Vertrauen und Transparenz, was in globalisierten Märkten immer wichtiger werde.

Am Beispiel der Süßkirschen zeigte Burdick auf, wie hoch der Energieverbrauch für den Transport der Früchte zu den Verbrauchern im Rheinland ist. Bei Kirschen aus der Region in einem Umkreis von 250 km würden bei einem LKW-Transport 25 - 30 ml Erdöl je Kilogramm Kirschen verbraucht, bei Kirschen aus Italien seien es 100 - 150 ml und bei Kirschen aus der Südtürkei etwa 250 ml. „Werden die Kirschen eingeflogen, dann verbraucht dies für 1 Kilogramm Kirschen etwa 1,5 kg Erdöl – mit entsprechend 6-facher Klimabelastung", so Burdick.

Philip Wißkirchen, Vorsitzender der Obstbaujunioren Rheinland und stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe Obstbau Bonn/Rhein-Sieg, stellte ein mögliches Szenario für den Einkauf im Jahr 2030 vor, wenn für den regionalen Obstbau keine besseren Bedingungen geschaffen würden. So liege im Supermarkt nur noch Obst von milliardenschweren multinationalen Konzernen aus Asien und Amerika, die in Niedriglohnländern ohne Rücksicht auf Klima und Artenschutz produzieren ließen.

Der deutsche Verbraucher fahre mit seinem Elektroauto zum Supermarkt und kaufe das Obst mit gutem Gewissen ein. Ändern lasse sich das nicht, weil die umweltfreundliche Produktion vor der Haustür abgeschafft worden sei und das Obst stattdessen tausende Kilometer transportiert und die Insekten in den Produktionsländern durch nicht zielorientierten Pflanzenschutz ausgestorben seien.

„Die Aufrufe an die Politik sind essentiell wichtig, aber es wird Zeit, dass jeder einzelne seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet", so Wißkirchen. Er rief die Verbraucher dazu auf, beim Einkauf genau auf das Etikett des Obstes zu schauen und durch den Einkauf von regional erzeugtem Obst viele Tonnen CO2 und andere Treibhausgase einzusparen sowie die heimische Wirtschaft zu unterstützen und Arbeitsplätze in der Region zu sichern.

Im Namen vieler junger Obstbäuerinnen und Obstbauern bat Wißkirchen die Verbraucher um Unterstützung der Familienbetriebe aus der Region, die unter modernsten Technologien klimafreundlich und unter Beachtung des Natur- und Artenschutzes Obst produzierten.
lz-rheinland
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