Die
Zuckerfabrik Anklam ist die letzte in Deutschland, die immer noch
Rüben aus der Ernte 2019 verarbeitet, vermutet ihr Geschäftsführer Matthias Sauer. «Wir sind die am besten ausgelastete Fabrik», sagt er. Anfang nächster Woche soll aber Schluss sein. Dann liegen 132 Tage im ununterbrochenen Schicht-System hinter den mehr als 200 Mitarbeitern und Saisonkräften des Werks im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Aus 1,62 Millionen Tonnen Zuckerrüben werden sie dann Zuckersirup extrahiert haben, aus dem sie übers Jahr 130.000 Tonnen
Weißzucker und 66.000 Kubikmeter Bioethanol gewinnen können. «Eine sehr gute Kampagne», bilanziert Sauer.
Erstmals war 2019 der Preis für Bioethanol, das dem
Kraftstoff E10 zugesetzt wird, höher als der Preis für Zucker. Seit Zucker zollfrei oder günstig in die EU eingeführt werden darf, ging der Preis in den Keller. Pro Tonne Zucker sind Sauer zufolge auf dem EU-Markt 320 Euro zu erlösen, auf dem
Weltmarkt nur 220 Euro. Für Bioethanol würden 60 Cent pro Liter oder, auf Zucker umgerechnet, 400 Euro pro Tonne erzielt.
«Bioethanol als zweites Standbein stabilisiert unseren Betrieb», sagt der Geschäftsführer des zum niederländischen Konzern Suiker Unie gehörenden Unternehmens. Die Zuckerfabrik profitiert von der wachsenden Nachfrage, seitdem Benzin mehr Biokraftstoff beigemischt wird. In Anklam werden außerdem Rest- und Abfallstoffe zu Biomethangas zum Heizen, zu Futter- und Düngemitteln verarbeitet.
Die
Zuckerrübenernte 2019 fiel nach Angaben Sauers und des Rüben-Anbauerverbandes dank des Regens im Herbst besser aus als erwartet. 73 Tonnen Rüben holten die
Bauern im
Schnitt von einem Hektar. Im Trockenjahr 2018 waren es nur 58 Tonnen. Der
Zuckergehalt war mit 17 Prozent allerdings relativ niedrig. 340
Agrarbetriebe im Osten Mecklenburg-Vorpommerns und in der Uckermark (Brandenburg) liefern ihre Zuckerrüben an den einzigen Verarbeiter im Nordosten.
Die Rüben werden in der Fabrik auf einer Freifläche abgekippt. Ein Förderband transportiert sie zum Waschen in riesigen Trommeln. Die sauberen Rüben werden zu Schnitzeln zerkleinert. Durch Extraktion entsteht der Rohsaft, der in mehreren Schritten gereinigt und zu haltbarem Sirup eingekocht wird. 25 bis 30 Prozent werden zu Bioethanol verarbeitet. Der Weißzucker geht an die Marmeladen-, Getränke- und Süßwarenindustrie sowie an
Molkereien vorwiegend im Osten Deutschlands, in Polen und Dänemark.
Demnächst will Anklam die Verarbeitung noch ausweiten. Die Kapazität ermögliche es, 16.000 Tonnen Rüben pro Tag zu verarbeiten. Das wären bei 135 Kampagnetagen etwa 2 Millionen Tonnen Rüben, rechnet Sauer vor. Dem Anklamer Anbauerverband ist das recht: Dann könnten die Landwirte den Anbau wieder ausweiten, was für die pflanzenbauliche und die wirtschaftliche Stabilität ihrer
Betriebe gut sei, wie Geschäftsführerin Antje Ramm sagt. Betriebswirtschaftlich sei die Zuckerrübe eine der günstigsten Fruchtarten. Aus Pflanzenbausicht sei sie wichtig für die Fruchtfolge. Die Tiefwurzler lockern den Boden und speichern Nährstoffe.
Geschäftsführer Sauer plant auch neue Produkte. Ab 2023 soll Bio-Zucker hinzukommen. Die Nachfrage sei riesig, der Preis dreimal höher als für konventionellen Zucker. Während der Ertrag bei
Biogetreide oft nur die Hälfte des konventionellen ausmache, sei das Verhältnis bei Zuckerrüben günstiger, erklärt der studierte Landwirt.
Klimatisch bedingt sind demnach in Mecklenburg-Vorpommern kaum Pestizide und
Fungizide nötig, Hauptproblem ist das Unkraut. Zehn Konsultationsbetriebe und Berater für Bio-Rüben seien bereits gewonnen, eine mechanische Unkrauthacke sei gekauft, sagt Sauer.
Weitere Produkte schweben ihm vor, die mit einer Zuckerfabrik nichts mehr, mit Rüben aber sehr viel zu tun haben: Mit Wissenschaftlern der Hochschule Neubrandenburg wird an Fleischersatzprodukten auf der Basis von Protein und Pektin aus der
Rübe geforscht.