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06.06.2022 | 09:22 | Saatguterzeugung 

Saatgutwirtschaft warnt vor ausufernden Vorschriften

Magdeburg - Der Bundesverband der VO-Firmen (BVO) hat davor gewarnt, den Bogen bei den behördlichen Auflagen zur Saatgutaufbereitung und -ausbringung zu überspannen.

Saatgutwirtschaft
In der Kritik der VO-Firmen steht vor allem die Windauflage bei der Aussaat - BVO-Vorsitzender Hartmann warnt vor Zerstörung der mittelständisch geprägten Saatguterzeugung bei übermäßiger Auslegung. (c) proplanta
Ansonsten droht nach Überzeugung des BVO-Vorsitzenden Jörg Hartmann die „Zerstörung“ der überwiegend mittelständisch geprägten Saatguterzeugung in Deutschland. Seine Kritik entzündet sich an den seit dem 1. Juni 2022 geltenden neuen Vorschriften zu Beizanlagen und zur Aussaat von gebeiztem Saatguts bei Wind.

Die Branche habe in den letzten Jahren große finanzielle und zeitliche Ressourcen darauf verwendet, die Saatgutqualitäten weiter zu verbessern. „Trotz sehr guter Ergebnisse, was den Staubabrieb angeht, sehen die Behörden weiterhin die Notwendigkeit einer Windauflage, und weitere Verschärfungen der Beizauflagen stehen im Raum“, beklagte Hartmann bei einem Pressegespräch am Rande des diesjährigen Saatguthandelstages, der am Dienstag (31.5.) in Magdeburg stattfand.

Vor allem in süddeutschen Raum hätten kleinere Aufbereiter bereits angekündigt, angesichts steigender Auflagen für den Betrieb der Beizanlage nicht mehr vermehren zu wollen. „Solange es noch Beizen gibt, die man ohne Zertifizierung anwenden kann, bleiben die dabei, ansonsten hören sie auf“, berichtete der Verbandsvorsitzende.

Investition in Sicherheit

Zwar gibt es Hartmann zufolge auch dann in Deutschland insgesamt noch ausreichend Aufbereitungskapazitäten, zumal einige Anlagen bislang auch noch nicht komplett ausgelastet seien. „Die Frage wird sein, wie wir die Saatgutverteilung dann logistisch hinbekommen“, so der BVO-Vorsitzende. Bisher habe man beim Transport „aus dem Vollen schöpfen“ können; inzwischen würden die Unternehmen aber durch Fahrermangel und teuren Sprit ausgebremst.

Von Politik und Behören forderte Hartmann in erster Linie Verlässlichkeit. Verfügbare Mittel und Methoden dürften nicht noch weiter eingeschränkt werden. Fehlende Planbarkeit stelle für die gesamte Branche ein Problem dar, für die größeren gewerblichen Saatgutproduktionsanlagen ebenso wie für die landwirtschaftlichen Vermehrer.

Hartmann geht davon aus, dass die Preise für Zertifiziertes Saatgut (Z-Saatgut) angesichts der aktuellen Preishausse bei Agrarrohstoffen und explodierter Betriebsmittelkosten steigen werden. Aus seiner Sicht macht es aber auch bei höheren Preisen Sinn, in Z-Saatgut zu investieren, denn mit dem Kauf zertifizierter Ware investiere der Landwirt in Ertragssicherheit.

Viele offene Fragen

Für BVO-Geschäftsführer Martin Courbier ist klar, dass das Betriebsmittel Saatgut in den nächsten Jahren eine enorme Aufwertung erfahren wird. „Bei rückläufigen Aufwandsmengen bei Düngung und Pflanzenschutz muss Saatgut im Pflanzenbau zusätzliche Aufgaben lösen“, begründete Courbier seine Einschätzung.

Die zu erwartende Aufwertung spiegle sich jedoch nicht in den aktuellen Genehmigungen und Beizzulassungen wider, wo die Situation besorgniserregend sei. So laufe aktuell keine einzige Zulassung länger als ein Jahr; zugleich gebe es immer weniger zugelassene Mittel. Und auch in Sachen Biostimulanzien gebe es noch viele offene Fragen. „Wir bewegen uns in einem europäischen Wettbewerbsmarkt.

Saatgutbehandlung und Auflagen stellen eine klare Wettbewerbsverzerrung dar, die den Standort Deutschland benachteiligen“, kritisierte der BVO-Geschäftsführer. Auf der einen Seite gebe es eine europäische Zulassung, während gleichzeitig nationale Auflagen ausgesprochen würden. „Das ist nicht im Sinne der deutschen Saatgutwirtschaft“, stellte Courbier klar.

Zielkonflikte auflösen

Um den Züchtungsfortschritt zu beschleunigen, plädiert der Generalsekretär des Bauernverbandes Schleswig-Holstein (BVSH), Stephan Gersteuer, für den Einsatz moderner Züchtungstechniken wie der Genschere CRISPR/Cas. Technologiefeindlichkeit könne man sich angesichts enormer Herausforderungen wie Klima- und Artenschutz sowie globaler Ernährungssicherheit einfach nicht mehr leisten.

Aufgabe der Politik sei es, bestehende Zielkonflikte aufzulösen, beispielsweise den zwischen dem Klimaschutz und dem Bau tierwohlgerechter Offenställe. Sollten sich Zielkonflikte nicht lösen lassen, müsse die Politik abwägen und am Ende auch Entscheidungen treffen.

Gersteuer gab gegenüber den mehr als 200 Teilnehmern des Saatguthandelstages zu bedenken, dass sich Landwirte noch immer in erster Linie über ihre Rolle als „Ernährer“ definierten. Daher müsse die Politik über Förderprogramme auch finanziell attraktive Angebote für mehr Klimaschutz, Biodiversität, Gewässerschutz und Tierwohl in der Landwirtschaft machen.

Taschen voller Geld

Der Präsident des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt, Olaf Feuerborn, berichtete vom Zielkonflikt zwischen Nahrungs- und Energieproduktion in seinem Bundesland. Nach seiner Ansicht sollte Photovoltaik (PV) auf Agrarflächen zumindest ins solchen Regionen in Betracht gezogen werden, wo es bedingt durch den Klimawandel nicht mehr möglich sei, auf Dauer ausreichende pflanzenbauliche Erträge zu erzielen, erklärte Feuerborn, der für die CDU im Landtag von Magdeburg sitzt.

Derzeit zögen Solar-Investoren „mit Taschen voller Geld“ übers Land, berichtete der Bauernpräsident. In Sachsen-Anhalt werde dabei besonders intensiv nach Flächen für PV-Anlagen gesucht, da das Eigentum breit gestreut sei. „Da wird potentiellen Verpächtern das Zehnfache dessen angeboten, was wir als Landwirte auf der Fläche erwirtschaften können“, so Feuerborn.

Entscheidender als das schnelle Geld sei es aber, ein ganzheitliches Konzept auf den Weg bringen, von dem eine ganze Region profitiere. Notwendig sei ein Mehrwert für die Bevölkerung vor Ort, die Landwirte und auch die Industriebetriebe in der Region, die mit grünem Strom versorgt werden könnten.

Schwetje konstatiert „Bewusstseins-Wende“

Der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Gerhard Schwetje, konstatierte in Magdeburg eine „Bewusstseins-Wende“ nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, auch wenn diese bisher nicht in allen Politikbereichen zu einem Umsteuern geführt habe. Schwetje erinnerte an Aussagen von Vizekanzler Dr. Robert Habeck, wonach sich die Politik ändern müsse, wenn sich die Verhältnisse änderten.

„100 Tage Krieg in Europa haben noch nicht gereicht, um ein neues Bewusstsein auch in die Agrar und Umweltpolitik zu tragen“, kritisierte der Kammerpräsident. Die globale Ernährungssicherung auf der einen Seite und der unverändert notwendige Arten-, Umwelt- und Klimaschutz machten aber auch in der Agrarpolitik an der einen oder anderen Stelle Kompromisse notwendig. Sein Bundesland sieht Schwetje diesbezüglich mit dem „Niedersächsischen Weg“ auf einem guten Weg.

Diesen bezeichnete er als „erfolgreichen Versuch“, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schließen, der berechtigte Forderungen aus Landwirtschaft und Naturschutz zugleich berücksichtige. Für ihn sei für die Zustimmung entscheidend gewesen, dass die Landwirte auf dem Niedersächsischen Weg auch in Zukunft ein ausreichendes Einkommen erzielen könnten.

„Wenn die Produktionsweise einschränkt werden muss, weil wir Dienstleistungen im Artenschutz, im Gewässerschutz oder im Moorschutz erbringen, dann muss da ein Preisschild dran“, stellte der Kammerpräsident klar. Wenn das Prinzip „Anreiz vor Ordnungsrecht“ gelte, seien „die Landwirtschaftskammern mit an Bord“.
AgE
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