Erstmals sind auch Angler von den Fangbeschränkungen für Dorsch in der westlichen Ostsee betroffen. Das Limit liegt bei fünf Fischen pro Tag. Auch wenn diese Menge nur wenige Angler ausschöpfen, bremst die Obergrenze zum Leidwesen der Kutter-Kapitäne den Angeltourismus. (c) proplanta
In den Hotels beiderseits der Warnow-Mündung liegen die meisten Ostsee-Urlauber noch im Tiefschlaf. Für die sechs Fahrgäste an Bord des fast 70 Jahre alten Schiffes hingegen war die Nacht kurz.
Voller Erwartung stehen sie nun im Morgengrauen an der Reling, eingehüllt in wetterfeste Monturen, die Strickmützen gegen den frischen Meereswind tief in die Stirn gezogen. Es geht hinaus zum Dorschangeln. «Wenigstens einer wäre gut - für die Pfanne und natürlich für's Ego», sagt Andreas. Der Geschäftsmann aus München macht mit der Familie im Hinterland der Ostsee Urlaub und gönnt sich nun als Hobbyangler einen Solo-Tag auf dem Meer.
Nicht alle Angler, die nach dem Ende der Laichzeit nun von Rostock, Wismar oder Sassnitz zum Dorschfang hinausfahren, sind so bescheiden. Fünf Männer aus dem Münsterland haben die Ausfahrt mit der «MS Storkow» ebenfalls gebucht. Ihre Ausrüstungen lassen auf reichlich Erfahrung im Hochseeangeln und ambitionierte Ziele schließen.
«Wer hierherkommt, lange Fahrstrecken in Kauf nimmt und gutes Geld für das Hotel hinblättert, der will natürlich auch was fangen», sagt Kapitän Lothar Schlicker. Doch nicht allein seine Ortskenntnis in den Fanggründen vor Warnemünde und das sprichwörtliche Anglerglück entscheiden darüber, wie umfangreich der Fang dann am Abend ist.
Seit diesem Jahr gelten zum Schutz der arg strapazierten Dorschbestände in der westlichen Ostsee erstmals auch Beschränkungen für Angler - zusätzlich zu den Fangquoten für Berufsfischer. Maximal fünf Dorsche von mindestens 35 Zentimetern Länge darf ein Petrijünger am Tag fangen. Die Beschränkung gilt auch, wenn der Nebenmann an Bord weniger fängt.
«Da überlegen viele, ob sich die lange Anfahrt überhaupt lohnt», sagt Schlicker und öffnet auf seinem Bordcomputer die Datei mit den aktuellen Anmeldungen. Bis zu zwölf Angler könnte er täglich mitnehmen. Doch das Wort «ausgebucht» findet sich in der Regel nur an den Wochenenden. Gut zwei Drittel der Angler, die vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns ihr Glück versuchen, reisten bislang aus anderen Bundesländern oder auch aus der Schweiz an.
Seit die Fangbeschränkungen im Herbst publik wurden, haben sich die Absagen spürbar gehäuft. Auf etwa 30 Prozent schätzt Schlicker den Buchungsrückgang. Von 50 Prozent gar spricht Kapitän Andreas Retzlaff, der seine Touren von der gleichen Anlegestelle gegenüber dem Rostocker Überseehafen startet.
Auch er sieht in den Fangbeschränkungen den Hauptgrund für den Nachfrageschwund. «Die wenigsten Angler holen bei uns am Tag wirklich fünf Fische aus der Ostsee. Aber das ist wie mit Lotto-Spielen: Wenn der Jackpot groß ist, kaufen besonders viele Menschen ein Los. Die Aussicht auf den Haupttreffer motiviert. Das ist einfach Psychologie», sagt Retzlaff.
Wie er zweifelt auch Schlicker die Hochrechnungen des Rostocker Thünen-Instituts für Ostseefischerei an, die der Fangbeschränkung für die westliche Ostsee zugrunde liegen. Nach Erhebungen der Forscher waren 2015 dort etwa 160.000 Angler an insgesamt etwa einer Million Tagen unterwegs.
Bei durchschnittlich drei Dorschen je Fangtag und Angler berechneten die Wissenschaftler eine Gesamtfangmenge von rund 3.000 Tonnen. Nach Angaben des Dorsch-Spezialisten Uwe Krumme entsprach dies der Anlandemenge der deutschen Berufsfischer vor der neuerlichen Quotenabsenkung.
Die EU-Fischereiminister hatten sich im Oktober vorigen Jahres darauf verständigt, die Fangmenge in der westlichen Ostsee zwischen Kieler Bucht und Bornholm für 2017 um 56 Prozent zu kürzen. Den deutschen Fischern werden in dem Fanggebiet nun 1.194 Tonnen Dorsch zugebilligt. Gleichzeitig wurden auch den Anglern erstmals Grenzen gesetzt.
«Die Angler hatten jahrelang Glück, dass sie gewissermaßen unter dem Radar fuhren. Aber der sehr schwache Dorsch-Jahrgang 2015 hat die Politik zu drastischen Maßnahmen gezwungen», erläutert Krumme. Der Bestand sei schon seit vielen Jahren überfischt. Nur mit deutlich verringertem Fischereidruck könne sich der Dorsch in der westlichen Ostsee auch schnell wieder erholen.
Die Politik sei bestrebt, die Lasten für den Wiederaufbau des Bestandes gleichermaßen auf Berufs- und Freizeitfischerei zu verteilen. «Es geht um nachhaltige Bewirtschaftung. Schließlich wollen Fischer und Angler auch in zehn oder zwanzig Jahren Dorsch aus der Ostsee holen», sagt Krumme.
Doch angesichts der Fangbegrenzungen, hoher Kosten für den Unterhalt der Kutter, für Versicherungen und für die regelmäßig zu erneuernden Zertifikate hegt Kapitän Schlicker zunehmend Zweifel, dass seine Zunft noch lange durchhält. Sein Geschäft habe im Vorjahr rund 8.000 Euro Gewinn abgeworfen.
Neben den rückläufigen Buchungen drohten nun auch noch höhere Liegekosten am stadteigenen Kai das Ergebnis weiter zu schmälern. Der Bescheid der Stadtverwaltung über eine saftige Gebührenerhöhung von fast einem Drittel sei gerade gekommen.
«Man könnte den Eindruck gewinnen, dass man uns nicht mehr will», resümiert Schlicker. Vor 17 Jahren hängte er seinen Beruf bei einem Wohnungsunternehmen an den Nagel, setzte den alten Kutter für viel Geld instand und trat in die Fußstapfen seines Vaters, einst Fischer auf Rügen. Dabei betone die Landespolitik doch immer, wie wichtig Angeltourismus sei.
Die 45 Anbieter von Angeltouren und die fischreichen Seen im Hinterland locken rund 300 000 angelnde Gäste im Jahr in den Nordosten. Davon profitieren auch Hotels, Gaststätten und Fachhandel. «Und die 17-Meter Kutter gehören auch zum maritimen Bild der Hafenstädte. Wären sie weg, dann gäbe es vielleicht noch drei fest vertäute Fischbrötchen-Kutter», meint Bernd Fischer, Geschäftsführer des Landestourismusverbandes.
Mecklenburg-Vorpommern hatte 2005 den Touristen-Fischereischein eingeführt, der ohne Prüfung vergeben wird. Bis zu 10.000 Menschen pro Jahr erwerben laut Fischer diese Erlaubnis, viele, um zum Dorschangeln auf die Ostsee zu fahren.
Einen solchen Schein benötigen die fünf Angler aus dem Münsterland nicht, die seit Jahrzehnten einem Verein angehören und jedes Frühjahr eine gemeinsame Mehrtagestour unternehmen. «Wir waren in Norwegen, Dänemark, Polen. Und regelmäßig fahren wir auch in deutschen Küstengewässern zum Angeln hinaus», berichtet Frank, dessen Angelleidenschaft vor vielen Jahren vom Großvater an Flüssen und am heimischen Biggesee (Nordrhein-Westfalen) geweckt wurde.
Der 50-jährige Metallarbeiter zeigt Verständnis für die verhängten Schutzmaßnahmen: «Jeder vernünftige Angler weiß, dass Fischbestände nicht grenzenlos ausgebeutet werden können.» Der Blick in die Tonne vor seinen Füßen scheint wie ein Beleg dafür, dass die Grenze beim Dorsch derzeit erreicht scheint. Ein einziges Exemplar liegt dort als Ausbeute der mehrstündigen Ausfahrt. Drei seiner Angelfreunde gingen ganz leer aus.
Sie tragen es mit Fassung, wie auch der Münchner Andreas, der einen Seestern und Steine am Haken hatte, aber keinen Dorsch. «Jeder Tag ist ein Angeltag, aber nicht jeder Tag ist auch ein Fangtag», bemüht er eine alte Anglerweisheit, die auch Kapitän Schlicker bestätigt.