Seehofer müsse zumindest einen befristeten Verkaufsstopp des Pflanzenschutzmittels
Clothianidin erlassen, bis die Gefahren eindeutig geklärt seien, sagte die Vorsitzende des Bundestags- Agrarausschusses, die Grünen-Politikerin Ulrike Höfken, am Donnerstag in Berlin. Das Bundesagrarministerium sucht derzeit nach den Ursachen für den Bienentod. Nach Forscherangaben haben rund 30 Prozent der
Bienenvölker in Deutschland den Winter nicht überlebt. Besonders dramatisch ist die Situation im Rheintal von Baden-Württemberg.
Bienenzüchter machen das Pflanzenschutzmittel Clothianidin, das auf Maisfeldern im Kampf gegen den
Maiswurzelbohrer eingesetzt wird, für das Sterben verantwortlich. «Wir nehmen das ernst und haben Untersuchungen veranlasst», sagte eine Ministeriumssprecherin am Donnerstag in Berlin. Das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (Julius Kühn-Institut) in Braunschweig rechnet in den kommenden Tagen mit Ergebnissen. Clothianidin wurde nach Angaben des Instituts in Spuren bereits in Bienen aus dem Rheintal nachgewiesen. Diese ersten Resultate reichten aber nicht für eine abschließende Einschätzung, ob die Dosis allein für den Bienentod verantwortlich ist.
Das
Bienensterben könne massive Auswirkungen auf die Produktion von Obst und Gemüse haben, warnte Höfken. Die französische Zulassungsbehörde habe den Wirkstoff Clothianidin bereits zweimal abgelehnt.
Der Würzburger Biologe Jürgen Tautz vermutet Überzüchtung und ein zu geringes Nahrungsangebot als Ursachen für das Bienensterben in Deutschland. Im vergangenen Jahr hatte ein großflächiges Bienensterben in Nordamerika für Schlagzeilen gesorgt.
Hintergrundinformation Clothianidin ist als Wirkstoff in verschiedenen Pflanzenschutzmitteln enthalten, die überwiegend zur Saatgutbehandlung eingesetzt werden. Eines der Mittel, Poncho (= Poncho Pro) ist vom BVL seit 2004 auch für die Behandlung von
Maissaatgut zugelassen. Aktuell haben sechs Mittel eine Zulassung, die entweder Clothianidin allein oder den Wirkstoff in einer Kombination mit beta-Cyfluthrin enthalten. Fünf der sechs Mittel dienen zur Saatgutbehandlung, eines wird in Kartoffeln entweder beim Legen zur Pflanzgutbehandlung eingesetzt oder später gespritzt.
Die zulässige Dosierung hängt vom Schutzzweck ab: Gegen den Befall von Fritfliege und
Drahtwurm erhält das Saatgut 25 g Wirkstoff pro 50.000 Körner; für Saatgut, das gegen den Westlichen Maiswurzelbohrer bei hohem Befallsdruck geschützt werden soll, sind dagegen 62 g Wirkstoff pro 50.000 Körner zugelassen. Bisher sind Bienenschäden dieser Art in Deutschland im Zusammenhang mit diesem Mittel nicht bekannt geworden.
Clothianidin ist im EU-Gemeinschaftsverfahren bewertet worden; 2002 war das Verfahren so weit fortgeschritten, dass die Mitgliedstaaten vorläufige Zulassungen erteilen durften; 2006 wurde Clothianidin für 10 Jahre in die Positivliste der Wirkstoffe aufgenommen, die für die Verwendung in Pflanzenschutzmitteln zulässig sind.
Im Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel werden die möglichen Auswirkungen auf Bienen bewertet, auch bei Mitteln, die für die Saatgutbehandlung vorgesehen sind. Auch bei dem Mittel Poncho haben die an der Zulassung beteiligten Behörden eine gründliche Bewertung auf Bienengefährdung vorgenommen. Da der Wirkstoff Clothianidin für Honigbienen sehr toxisch ist, sind eine Reihe von praxisnahen Versuchen zur Wirkung der Saatgutbehandlung auf Bienen durchgeführt worden. In diesen Tests konnten keine negativen Auswirkungen auf Mortalität, Volksentwicklung, Brutenwicklung, Flugintensität, Verhalten und das Orientierungsvermögen festgestellt werden. Rückstände von Clothianidin in Materialien, die für Bienen relevant sind, lagen deutlich unter den für Bienen kritischen Konzentrationen.
Bei den ersten Untersuchungen der Bienenschäden in Baden-Württemberg deutet sich nun an, dass pneumatische Sämaschinen je nach Konstruktionstyp eine erhebliche Staubabdrift mit Wirkstoffabrieb verursachen, die möglicherweise zu einer Clothianidinbelastung der Bienen führen können und für die Schäden verantwortlich sein könnten.
Nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse empfiehlt das BVL als Sofortmaßnahme, Bienenstöcke aus dem näheren Umkreis von Flächen zu entfernen, auf denen clothianidinbehandelter Mais ausgesät wurde oder noch wird. Anwender, die noch Mais aussäen, sollten vorzugsweise Geräte einsetzen, deren Abluft in den Boden abgeführt wird. Bei pneumatischen Geräten, deren Abluft nach oben oder zur Seite abgeführt wird, sollte am Abluftkanal ein Schlauch so angebracht werden, dass der Luftstrom bodennah austritt.
Unabhängig davon, ob sich Clothianidin letztlich als verantwortlich für die Bienenschäden erweist oder nicht, wird das BVL diese Erkenntnisse zum Anlass nehmen, sich mit der Staubabdrift von pneumatischen Sämaschinen zu befassen, im Zusammenhang damit gegebenenfalls Neubewertungen von clothianidinhaltigen und anderen Saatgutbehandlungsmitteln vorzunehmen und wenn nötig die Zulassungen zu modifizieren. (dpa/BVL)