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30.09.2009 | 02:08 | Fischerei 

Spione an Bord: Dänen kämpfen gegen Überfischung

Hanstholm - Es ist kühl und stockfinster an diesem nordischen Herbstmorgen, als Skipper Erik Petersen und seine Matrosen Dennis Svaneborg und Allan Nielsen gegen 5 Uhr den Hafen von Hanstholm verlassen.

Heringe
(c) proplanta
Am Horizont vor der jütländischen Küste grollt und blitzt es: Ein Wetterleuchten. Unverdrossen steuert Petersen die «Fru Middelboe» mit flotten acht Knoten aufs offene Meer. Er macht Jagd auf Scholle. Der 48-jährige Däne weiß genau, wo er heute fündig werden kann, fährt lange genug zur See. Und deshalb weiß er auch, dass Scholle überfischt ist. Fast jede neunte Fischart in Europa teilt dieses Schicksal, weltweit etwa jede Achte.

Wenn die Menschheit so weitermacht, warnen Wissenschaftler, könnte die kommerzielle Fischerei bis Mitte des Jahrhunderts zusammenbrechen. Nirgendwo ist die Lage so dramatisch wie in der EU. Gerade die Nordsee war einst eines der fischreichsten Meere der Welt. Jetzt sind leckere Speisefische wie der Kabeljau selten geworden. Das liegt nicht etwa an Rekord-Verkaufszahlen. Tatsächlich schmeißen Europas Fischer im Schnitt für jeden Kabeljau, den sie an Land liefern, einen toten wieder über Bord.

Grund für diese verhängnisvolle Praxis der «Rückwürfe» ist auch ein absurdes Gesetzesdickicht, in das die EU-Staaten die Spielregeln für die Fischer gegossen haben. Gleichzeitig ist die europäische Fangflotte völlig überdimensioniert - dank Subventionen aus Steuergeldern. Bis zu dreimal größer ist deshalb die Fangkapazität auf einige Arten, als dies der jeweilige Bestand verkraften könnte. Und so fischen riesige europäische Fabrik-Trawler längst auch viele Küsten Afrikas leer. Die dortigen Regierungen kriegen EU-Steuergelder dafür, aber die Fischer dieser Länder treibt es in den Ruin.

Jetzt soll die EU-Fischereipolitik reformiert werden. Um danach mit der Überfischung endlich Schluss zu machen, haben die Dänen ein Konzept entwickelt: Die «vollständig dokumentierte Fischerei» erinnert auf den ersten Blick an «Big Brother», wird aber sogar von Umweltschützern als Durchbruch gepriesen.

Die Politiker müssten dringend handeln - und zwar gemeinsam mit den Fischern, findet Skipper Petersen. So hat der hochgewachsene Däne mit dem gutmütigen Gesicht und den zerzausten, roten Haaren seinen 22 Meter langen Snurrewadenkutter HM 423 «Fru Middelboe» («Frau Middelboe») der Regierung in Kopenhagen für ihr ambitioniertes Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt. Ein knappes Jahr lang lang haben Wissenschaftler der Technischen Universität von Dänemark (DTU) dem Skipper und seiner Crew nun von der Ferne auf die Finger geschaut. Mithilfe von Kameras, Sensoren und Druckmessgeräten haben die Forscher jeden noch so kleinen Fisch gezählt, der bei den insgesamt sechs teilnehmenden Booten ins Netz ging.

Ob Kutter oder Fabrik-Trawler: Für die dänische Fischereiministerin Eva Kjer Hansen ist die Schnüffel-Technik an Bord die Zukunft einer überlebensfähigen Fischerei. Am 8. Oktober will sie ihre europäischen Amtskollegen davon überzeugen, die Methode auf freiwilliger Basis europaweit zuzulassen. Doch wie immer, wenn es um die erlaubten Fangmengen («Quoten») geht, ist Streit programmiert. Und die Quoten sind ein wichtiger Teil des dänischen Plans. Denn ohne eine Aufstockung seiner Fanglizenz würde kein Fischer freiwillig mitmachen. Und ohne das Prinzip der Freiwilligkeit wiederum wäre das ganze Projekt eine Totgeburt, die Zustimmung stolzer Fischereinationen wie Spanien oder Frankreich undenkbar.

Gegen 6 Uhr werfen die Matrosen Svaneborg und Nielsen den Anker. Mit pinken Bojen markieren sie die Stelle, und das Schiff nimmt wieder Fahrt auf. Eine halbe Stunde lang läuft die erste der beiden gut zwei Meilen langen Leinen von einer riesigen Rolle, dann - die Bojen sind längst außer Sichtweise - folgt das grüne Netz. Am Ende ihrer Runde ist die «Fru Middleboe» wieder am Anker angelangt und zieht das Netz ein. Mit ihrer Bewegung scheuchen die schweren Leinen die Plattfische in ihre Mitte, wo sie vom Netz eingesammelt werden. Der Vorteil: Die traditionell-dänische Ankerwade pflügt weniger den Meeresboden um als andere Techniken, auch spart sie Energie.

Um neun Uhr windet sich das Netz am Heck, platscht der zappelnde Fang in die Luke; neben Schollen auch Krebse, Seesterne, Quallen und einige andere Fischarten - der sogenannte Beifang. Eine knappe Stunde braucht die Crew, um am Fließband die Tiere zu sortieren. Nur ab einer Mindestgröße von 27 Zentimeter dürften die Schollen angelandet werden, erklärt Nielsen, während er flink mit einem Messer die Fische ausnimmt und je nach Größe in Kisten wirft. Ruckelnd bewegt sich das Fließband - zu langsam für die zu kleinen Schollen, die am Anfang der Prozedur noch nach Luft schnappen, am Ende des Bandes aber tot durch eine Luke zurück ins Meer rutschen.

Eine solche Mindestgröße ist sogar in den Augen von Umweltschützern notwendig. So sollen die Fischer dazu gebracht werden, mit Mindestmaschengrößen oder gezieltem Vermeiden gewisser Gebiete Jungfische zu verschonen. Denn die Tiere sollen sich wenigstens einmal fortgepflanzt haben, bevor sie gefangen werden - nur sieben Prozent des Kabeljau beispielsweise gelingt dies.

Ansonsten aber treiben die mehreren tausend EU-Regeln die Betroffenen in den Wahnsinn: Vorgeschrieben werden je nach Fischart, Fanggebiet oder Schiffsgröße die erlaubten Fangmengen, aber auch die erlaubten Tage auf See, Maschengrößen, die Geräte zur Messung derselben, Garndicke, und so weiter.

Wer dahinter weltfremde Regelungswut von Brüsseler Eurokraten vermutet, irrt. Die Europäische Kommission, zuständig für die Einhaltung der EU-Gesetze, stöhnt über Zwangs-«Mikromanagement» und hat mit ihrem Grünbuch im April den Reformprozess eingeleitet. Scharf greift Fischereikommissar Joe Borg EU-Staaten und Industrie an: Eine von den Regierungen in Paris, Rom oder Madrid finanzierte, unrentable, immer höher gerüstete Flotte mache Jagd auf schrumpfende Fischbestände. Mit diesem «Teufelskreis» müsse endlich Schluss sein, um eine «ökonomische und ökologische Katastrophe» zu vermeiden.

Dass es auch künftig EU-Regeln und -Quoten geben muss, ist klar: Fische kennen keine Landesgrenzen, deshalb werden die Bestände auf EU-Ebene verwaltet. Doch die EU-Fischereipolitik hat nach Ansicht der Betroffenen versagt: Gegen Ende eines jeden Jahres liefern sich die europäischen Fischereiminister in nächtlichen Sitzungen Schlachten um die Quoten für das nächste Jahr. Grundlage dafür sind die Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) - an die sich nur niemand hält. Die Spanier kämpfen für ihre Sardellenquoten, für die Franzosen ist es der Thun, für die Polen der Dorsch.

Und weil die Fangrechte vergeben werden für angelandete Fische und nicht den gesamten Fang, wirft der Fischer zu kleine oder solche, für die er keine Quote hat, wieder ins Wasser. EU-weit ist es die Hälfte des Fangs, der zum größten Teil tot wieder über Bord geht.

Während für Borg die Überkapazität das Grundübel ist, stellen die Dänen bei ihren Reformvorschlägen das Regelwerk auf die Füße und den einzelnen Fischer in den Mittelpunkt. Er soll künftig alles über der Mindestgröße anlanden, was er fängt, und dafür auch die Erlaubnis, sprich Quoten bereit halten. Da mit wirtschaftlichen Einbußen zu rechnen ist - etwa weil er mehr Schiffsraum braucht auch für unrentablere Fische - erhält der Fischer eine Prämie in Form einer Extra-Quote. Sie soll in etwa der Menge entsprechen, die sonst als Rückwürfe wieder im Meer gelandet wäre.

Heimliche Rückwürfe achtern sind nicht drin, versichert Lotte Kindt-Larsen von der DTU: Kameras und Sensoren an Bord sollen Schummeln unmöglich machen. In dem einjährigen Pilot-Projekt haben die Experten bis zum Sommer von den sechs Schiffen fast 14 000 Stunden Daten eingesammelt. Die Technik funktioniert, versichert Kindt-Larsen. «Und die Analyse dauert jeweils nur bis zu 40 Minuten.»

Da das System Flexibilität erfordert, sollen die Fischer frei handelbare Fangrechte (Individual Transferable Quotas, ITQ) erhalten. Die Idee dahinter: Das Anlandegebot und der freie Handel mit Quoten sollen den Fischern ein Anreiz sein, schonender und ergiebiger zu arbeiten. Unrentable Schiffe sollen ihre Quoten an rentable verkaufen. Seit Dänemark auf nationaler Ebene das ITQ-System einführte, seien die Überkapazitäten um 30 Prozent gesunken, erklärt Regierungsberater Mogens Schou.

Oben im Steuerhaus der «Fru Middelboe» kann Kapitän Petersen auf einem Bildschirm die Aufnahmen der Kameras verfolgen. Er sieht das Ganze pragmatisch: «Das ist sehr bequem - eine viel bessere Methode, nachzuweisen, was wir tun, als von vornherein misstrauische Beobachter an Bord zu haben», meint er. Petersen weiß: Die Verbraucher wollen mehr und mehr wissen, wo der Fisch herkommt und ob er nachhaltig gefangen wurde.

Auch wirtschaftlich macht es Sinn, argumentiert Schou. «Im EU- Rahmen glauben wir nicht daran, dass Fischer ein Eigeninteresse daran haben könnten, verantwortlich zu handeln. Darum arbeiten wir mit Kontrollen und mehr als 2.000 Regeln, die keiner mehr versteht. Das wollen wir mit dem Anreizsystem ändern.»

Grundsätzliche Zustimmung signalisiert die EU-Kommission ebenso wie die Bundesregierung. Es sei eine «interessante Idee», heißt es in einem Brief von Borg an Hansen. Aber der Malteser macht auch klar, dass die Gesamtquote für einen Bestand nicht erhöht werden dürfe. Für die vorgesehene Prämie müsse dann eben anderswo eingespart werden.

Agrar-Staatssekretär Gert Lindemann hat zudem Bedenken, was den EU-weiten Privathandel mit Quoten anbelangt. So leide die Flotte in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten nicht mehr an Überkapazitäten, erklärt er. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung überwache die deutschen Quoten. «Bei diesem System wollen wir es eigentlich belassen.» Die deutschen Quoten dürften «nicht in anderen Staaten landen, die aufgrund ihrer nicht angepassten Fischereiflotte einen Riesenbedarf haben, irgendwo zusätzliche Quote kaufen zu können». «Das ist der falsche Weg, wenn man den Fangumfang reduzieren will, denn die privat gehandelte Quote wird mit Sicherheit anschließend bis zur Neige ausgeschöpft.»

Schou verhandelt seit 1983 auf dem EU-Parkett mit und weiß: «Verpflichtend kriegen wir das nie durch den Ministerrat, aber als Fußnote, dass es die Option gibt für die einzelnen EU-Staaten.» Schon 2010, glaubt Schou, könnten sich 30 dänische Boote, zehn deutsche sowie einige schottische und spanische beteiligen.

Irgendetwas werden die Fischereiminister ohnehin tun müssen - und sie werden bald anfangen müssen. Denn es gibt eine Frist für die Reform der Fischereipolitik: 2012. Das ist Gesetz.

Auf der «Fru Middelboe» lässt sich Skipper Petersen von den inzwischen meterhohen Wellen nicht aus der Ruhe bringen. Einen guten Fang hat er heute nicht gemacht. Gerade einmal 120 Kilogramm sind ihm ins Netz gegangen. Ob Zufall oder Folge der geschrumpften Schollen-Bestände: Petersen hofft, dass die Politiker handeln. Denn er liebt seinen Beruf. (dpa)
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