Sensoren registrieren die Temperatur und die Luftqualität im Stall. Das Ziel:
«Wir wollen ein digitales Frühwarnsystem», sagt Tierarzt Marc-Alexander Lieboldt. Er ist Projektkoordinator des Projekts «DigiSchwein», einem vom
Bundeslandwirtschaftsministerium geförderten Verbundprojekt.
Standort ist die Versuchsstation für Schweinehaltung der
Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Wehnen an der Stadtgrenze zu Oldenburg. Die Komplettüberwachung der Schweine soll in mehrerlei Hinsicht Erkenntnisse und Verbesserungen bringen. Einerseits ist das Ziel, die Haltung der Tiere zu verbessern.
Wie verhalten sie sich im Stall, wie interagieren sie in der Gruppe? Welche Faktoren haben Einfluss auf ihr Verhalten? Mit der umfangreichen Datenerfassung im DigiSchwein-Projekt wollen die Forscherinnen und Forscher detaillierte Daten bekommen, um die Haltung zu verbessern.
Hier kommt ein weiteres Forschungsziel ins Spiel: Wie lassen sich die Daten interpretieren? Es müssen nämlich auch Verfahren entwickelt werden, um aus den Luft-, Licht- und Geräuschinformationen Rückschlüsse auf das Wohlbefinden der Tiere zu ziehen, erklärt Lieboldt.
«Es geht darum, welche Krankheiten man überhaupt erfassen kann über die Sensoren», sagt Jeanette Probst. Die Tierärztin ist Wissenschaftlerin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, einer der Projektpartner. Probleme in der
Ferkelaufzucht seien typischerweise Atemwegserkrankungen, Darmerkrankungen oder Infektionserkrankungen. Jedes einzelne Tier werde regelmäßig untersucht, und diese Befunde werden dann mit den Daten aus den Ställen verglichen. Das Ziel sei es, anhand der Daten sich anbahnende Krankheiten schon zu einem Zeitpunkt zu erkennen, bevor ein Tier schwer erkranke.
Ein wichtiger Aspekt sei dabei, nicht nur die Krankheiten zu sehen, sondern auch, die Riskofaktoren in der Haltung abzustellen. Ein Kernfaktor sei das
Stallklima - die Temperatur müsse für die Tiere stimmen, auch die Luftqualität müsse stimmen, sagt Probst. «Die Klimasensoren funktionieren sehr, sehr gut ich kann hier am Schreibtisch sitzen und sehen, wie es vor Ort gerade ist.»
Letztlich solle das DigiSchwein-Projekt Landwirte bei der Tierhaltung unterstützen, betont Probst. «Es geht tatsächlich darum, den Landwirt zu unterstützen, Dinge zu finden, die er gar nicht finden kann, weil er nicht da ist.» Denn kein Landwirt könne 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche im Stall sein. Die Rundum-Überwachung dokumentiere auch Details, die sonst nicht bekannt wären. Zum Beispiel, wenn nachts die Heizung ausfalle. Am nächsten Morgen seien die Tiere dann unruhig und gereizt - ein Blick auf die gesammelten Daten verrate nun, warum das so sei.
Moderne Technik könne einen guten
Tierhalter nicht ersetzen, betont Melanie Dopfer, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Die Technik könne zwar den Tierhaltern zusätzliche Informationen zukommen lassen. «Allerdings leidet dadurch aber auch die Mensch-Tier-Beziehung unter dieser zunehmenden Technisierung der Abläufe auf einem Betrieb», erklärt Dopfer. Sie sehe die Gefahr, dass irgendwann der Mensch die natürlichen Zeichen, die ihm ein Tier übermittele, nicht mehr lesen könne.
«Systeme, die nur noch mit Unterstützung von Computern und Software im weitesten Sinne tiergerecht und tierschutzkonform funktionieren können, stellen aus unserer Sicht keine zukunftsfähige Tierhaltung im Sinne des Tierschutzes dar.» Das Problem der gegenwärtigen Mechanisierung und Automatisierung der
Nutztierhaltung sei, dass es in erster Linie darum gehe, die Produktion effizienter zu machen. «Die Tiere werden hierbei kaum mehr wie Lebewesen, sondern vielmehr wie Teile eines optimierten Produktionsprozesses betrachtet», fürchtet die Expertin des Tierschutzbundes.
Dem Einwand, das DigiSchwein-Projekt diene letztlich dazu, die konventionelle Tierhaltung weiterzuentwickeln, wolle sie widersprechen, sagt Probst. Das Projekt sei zwar in einem sehr konventionellen Stall aufgebaut, sagt sie. «Es geht nicht darum, das konventionelle System zu fördern, sondern man will zeigen, was technische Systeme im
Schweinestall überhaupt können - diese kann man ja dann auch in jedem anderen System einbauen».
Mit anderen Worten: Auch die Bio-Schweinehaltung profitiere am Ende von den Erkenntnissen aus dem DigiSchwein-Projekt. «Auch ein Biostall hat ein Stallklima, und auch im Biostall ist das Stallklima vielleicht nicht immer optimal», sagt Probst. Dass ein guter Tierhalter auch durch noch so gute Technik nicht zu ersetzen sei, sehe sie auch so.
Auch in anderen Bundesländern wird an modernen computerunterstützten Tierhaltungskonzepten gearbeitet. Nordrhein-Westfalen stellte vergangenes Jahr das «Informationssystem
Tiergesundheit 4.0» vor. Und in Baden-Württemberg forschen die Universität
Hohenheim und die Hochschule Nürtingen zu den Schweineställen der Zukunft.