Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
23.07.2014 | 02:07

Deutsche Klimaschutzziele in Gefahr

Kohlekraftwerk
(c) proplanta

Gabriels ungelöste K-Frage



Als Lobbyist der Braunkohle hat man es nicht leicht in diesen Tagen in Deutschland. Etwas genervt klingt George Milojcic, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Braunkohle, als er mit einer Studie konfrontiert wird, wonach im vergangenen Jahr unter den fünf Braunkohlekraftwerken in Europa mit dem höchsten CO2-Ausstoß vier deutsche waren. «Braunkohle ist als heimischer Energieträger sicher verfügbar, wettbewerbsfähig und zunehmend flexibel einsetzbar», sagt er. Der Ausstoß werde zudem durch den EU-Emissionshandel gedeckelt.

Und es ist der einzige fossile Energieträger, der nicht massenhaft importiert werden muss und unabhängig ist von geopolitischen Krisen. Die Branche preist ihn als Garant für halbwegs stabile Strompreise.

Eine Studie, unter anderem von der Umweltstiftung WWF erstellt, kommt zu dem Ergebnis, dass allein die beiden RWE-Kraftwerke Neurath (33,28 Millionen Tonnen) und Niederaußem (29,58 Mio. Tonnen) und die beiden Vattenfall-Anlagen Jänschwalde (25,4 Mio. Tonnen) und Boxberg (21,89 Mio. Tonnen) 2013 zusammen rund 110 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 ausgestoßen haben. Nur zum Vergleich: Ein Flug Berlin-New York-Berlin verursacht etwa 5,6 Tonnen CO2 pro Passagier.

Zwar muss für jede ausgestoßene Tonne CO2 ein Verschmutzungsrecht vorgewiesen werden - aber die europäische Obergrenze in diesem Emissionshandel ist Experten zufolge viel zu lasch. Die Folge: Die Zertifikate kosten kaum etwas. Das Ziel, Anreize für weniger CO2 zu setzen, wird verpasst. Zwar werden nun 900 Millionen Zertifikate dem Markt entzogen, aber nur vorübergehend. Die Grünen-Umweltpolitikerin Bärbel Höhn fordert daher, als ersten Schritt Überkapazitäten in Deutschland abzubauen. «Einige Braunkohlemeiler sind älter als 40 Jahre und laufen nur noch für die Profite der Konzerne», meint Höhn. «Die brauchen wir auch nicht für unsere Versorgungssicherheit.»

Nun sind die WWF-Zahlen für sich wenig aussagekräftig und können von Umweltschützern als Kampfargument benutzt werden. Die deutschen Anlagen unter den Top 5 sind auch besonders leistungsstark - daher auch hohe Emissionen. Ausgerechnet sie sind nun ein Rückgrat der Energiewende. Beispiel Neurath. Die 2,6 Milliarden teuren Blöcke «BoA 2&3» im rheinischen Grevenbroich gingen 2012 ans Netz. Mit einer Leistung von 2200 Megawatt sollen sie bis zu 3,4 Millionen Haushalte mit Strom versorgen - und im Vergleich zu ähnlich starken alten Anlagen weit weniger CO2 ausstoßen. RWE spricht von bis zu sechs Millionen Tonnen CO2 weniger im Jahr bei gleicher Stromproduktion.

Die Frage, die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bisher nicht beantwortet hat, lautet aber: Welche Rolle soll die Braunkohle mittelfristig spielen? Im ersten Halbjahr wurde sie zwar nach neuen Zahlen des Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme erstmals von den erneuerbaren Energien als wichtigster Energieträger überholt; ihr Anteil an der Bruttostromerzeugung sei auf 28 Prozent gestiegen.

Da sich seit 2010 aber die Erzeugung in CO2-ärmeren Gaskraftwerken halbiert hat, muss geklärt werden, ob zur Eindämmung klimaschädlicher Emissionen aus Kohlekraftwerken finanzielle Sonderanreize für die Gaskraftwerke geschaffen werden. Gabriel will nun ran an eine Strommarkt-Reform - in der Kohle-Frage liegt viel Konfliktpotenzial für das Verhältnis zwischen SPD und Grünen. Allein schon die Tatsache, dass das Ziel von 40 Prozent weniger Emissionen bis 2020 nach heutigem Stand deutlich verfehlt würde, erhöht den Druck.

Ohne weitere Maßnahmen werden es nur 33 Prozent weniger als 1990. Aber selbst diese Prognose beruht auf recht wackligen Annahmen zu Wirtschaftswachstum und CO2-Preisen, wie aus einer Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter an die Grünen-Politikerin Höhn hervorgeht. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sammelt gerade Ideen für zusätzliche Einsparungen.

Da Kohle- und Ökostrom boomen, kann es 2014 erneut zu einem Rekord beim Stromexport kommen. Im ersten Halbjahr waren es bereits 18 Terawattstunden (1. Halbjahr 2013: 14,4). Der Großteil ging den Fraunhofer-Forschern zufolge in die Niederlande, gefolgt von Österreich, der Schweiz und Polen. Es ist das Paradoxon der deutschen Energiewende: Über 20 Milliarden Euro Ökostromförderung im Jahr - und zugleich seit 2012 plötzlich steigende CO2-Emissionen, also seit der Fukushima-Wende mit der Stilllegung von acht Atomkraftwerken.

Die Grünen hätten gerne schnell hochzufahrende Gaskraftwerke als Ergänzung zur schwankenden Erzeugung von Solar- und Windenergie - aber Anreize hierfür fehlen bisher. «Der Erdgaspreis müsste sich halbieren oder aber der CO2-Preis verzehnfachen», sagt Milojcic mit Blick auf die Preisvorteile der Braunkohle in der Stromerzeugung. «Das würde aber den Strompreis verdoppeln und Industriearbeitsplätze vernichten», meint der Vorkämpfer für den umstrittenen Energieträger. (dpa)
zurück
Seite:12
weiter
Kommentieren

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Strom ist Menschenrecht - Weltbank will besseren Zugang in Afrika

 Klima-Expertenrat äußert sich zum Treibhausgas-Ausstoß 2023

 Reform des Klimaschutzgesetzes - Druck auf Ampel-Koalition steigt

 Methan-Ausstoß aus Braunkohletagebau höher als angenommen

 Erneut weniger Elektroautos im März - Ziel in weiter Ferne

  Kommentierte Artikel

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet

 Weniger Schadholz - Holzeinschlag deutlich gesunken