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17.11.2018 | 15:45 | Wisent-Herde 

Artenschutz für Wisente oder Rotbuche?

Karlsruhe - Ihr unbändiger Appetit auf Buchenrinde könnte ihnen zum Verhängnis werden: Den einzigen freilebenden Wisenten in Deutschland droht die Rückkehr ins Gehege oder sogar die Umsiedlung nach Ostpolen - wenn aufgebrachte Waldbauern nicht ihren Widerstand aufgeben.

Wildrinder
Wie weit dürfen Wisente gehen? In NRW streifen die mächtigen Tiere wieder frei durch die Wälder - und machen dabei vor Buchen nicht Halt. Scheitert das Projekt am Widerstand geschädigter Forstwirte? (c) proplanta
Die Fronten haben sich über Jahre verhärtet. Am Freitag erreichte der Streit über das Schicksal der Wisente im nordrhein-westfälischen Rothaargebirge den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht.

Das von Bund und Land geförderte Artenschutz-Projekt war mit großen Hoffnungen gestartet: Lange Zeit waren die größten Landsäuger Europas in deutschen Wäldern ausgerottet, nun sollten die bis zu drei Meter langen und bis zu 900 Kilo schweren Wildrinder im Siegerland wieder heimisch werden. In einem Gehege bei Bad Berleburg wurde die Herde um Bulle Egnar und Leitkuh Araneta aufgebaut. Im April 2013 wurde den damals acht Tieren der Zaun in die Freiheit geöffnet. Nur wenige Wochen später kam das erste Jungtier zur Welt.

Inzwischen hat sich die Herde vergrößert - auf mehr als 20 Tiere, schätzt der Trägerverein, auf mehr als 30, sagen die Waldbauern. Die Wisente haben ihr Revier ausgedehnt: Sie bleiben nicht im Wald von Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, der das Projekt vor seinem Tod angestoßen hatte. Es zieht sie ins angrenzende Sauerland - wo sie mit Vorliebe den geschützten Rotbuchen an die Rinde gehen. Am Anfang zahlte den Schaden die Versicherung, inzwischen ist ein vom Land NRW mitfinanzierter Entschädigungsfonds eingerichtet. Gelöst ist das Problem damit nicht: «Wir wollen nicht dafür entschädigt werden, dass der Wald stirbt, der uns gehört», sagte der BGH-Anwalt eines der Forstwirte. «Wir wollen, dass diese Buchen geschützt werden.» Das heißt für die Waldbauern: dass die Wisente ihrem Grund fernbleiben.

Der Verein hat schon alle möglichen Lösungen durchgespielt: Die Wisente sollten mit Lockfutter auf einen anderen Geschmack gebracht werden. Es wurde über einen Grenzzaun nachgedacht, über Schälmatten um die Bäume, selbst über Hirten, die die Herde im Auge behalten. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm überzeugte nichts davon: Die Richter kamen 2017 zu dem Schluss, dass das Eigentum der Waldbauern nur geschützt werden kann, indem die Wisente eingefangen werden. Sie könnten anschließend zum Beispiel im Nationalpark Bialowieza an der polnisch-weißrussischen Grenze leben. Der Verein sollte sich dafür um eine Ausnahmegenehmigung der Naturschutzbehörde bemühen. Denn es ist verboten, «wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten».

Dieses Urteil dürfte allerdings keinen Bestand haben. Die obersten Zivilrichter des BGH bezweifelten in der Verhandlung am Freitag, dass die Wisente überhaupt wilde Tiere sind. Denn der Vertrag über die derzeit laufende «Freisetzungsphase», in der erst einmal Erfahrungen gesammelt werden sollen, legt den Verein als Eigentümer und Halter der Tiere fest. Erst am Ende dieser Phase soll entschieden werden, ob die Wisente «herrenlos» werden - oder das Projekt abgebrochen wird. Die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann legte den Verantwortlichen mit deutlichen Worten nahe, nicht ewig auf die Gerichte zu warten, sondern den nächsten Schritt zu gehen. Das Schicksal der Wisente hänge auch davon ab, wie die nächste Phase angegangen werde. Bei der Entscheidung, ob das Projekt eine Zukunft hat, müssten auch die Belange der Waldbauern berücksichtigt werden.

Der Erste Vorsitzende des Wisent-Vereins, Bernd Fuhrmann, kündigte an, das Gespräch mit den Vertragspartnern zu suchen. «Wir sind der festen Überzeugung, dass wir sehr gute Argumente für die Fortführung des einzigartigen Artenschutzprojektes im Rothaargebirge haben.» Wer vor Gericht bessere Chancen hätte, blieb vorerst unklar. Der Senat brachte die Frage auf, ob möglicherweise das Naturschutzgesetz (Paragraf 65) die Forstwirte zur Duldung der Wisente verpflichtet. Das hängt wiederum davon ab, ob der Projektvertrag überhaupt wirksam geschlossen wurde. Die klagenden Waldbauern waren daran nämlich nicht beteiligt. Nun haben beide Seiten Zeit, dazu bis zum 18. Januar 2019 Stellung zu nehmen. Vor dem Urteil könnte es eine zweite Verhandlung in Karlsruhe geben. Danach muss sich wohl das OLG Hamm erneut mit dem Fall befassen.
dpa
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