Alles Maßnahmen gegen den Wolf, der sich in Sachsen-Anhalt immer weiter ausbreitet. Keller besitzt 150 Schafe und hat bereits einen Wolfsriss in seiner Herde mitmachen müssen - so wie jeder in seiner «Interessengemeinschaft
Herdenschutz und Hund», wie er sagt.
Die Zahl der Angriffe durch Wölfe auf Weidetiere nimmt zu. In diesem Jahr wurden bereits 213 Nutztiere durch Wölfe getötet, wie aus der Statistik über Nutztierrisszahlen des Wolfskompetenzzentrums Sachsen-Anhalt hervorgeht. Pro Angriff starben statistisch vier Tiere. Im ganzen Jahr 2019 waren es 247. Opfer sind meist Schafe, aber auch junge Rinder sind beliebte Beute für den Wolf. Im Monitoringjahr 2018/19 konnten in Sachsen-Anhalt 15 Rudel und 2 Paare mit einer Mindestzahl von 104 Tieren nachgewiesen werden.
Seit der Rückkehr des Raubtiers nach Deutschland um die Jahrtausendwende treibt Tierhalter daher die Frage um: Wie lässt sich das verhindern? Der Wolf hat in Deutschland den höchsten Schutzstatus und darf nur unter sehr engen Voraussetzungen geschossen werden. «Leichter wäre es schon, wenn man einen Wolf, der Probleme macht, entnehmen könnte», sagt Peter Deumelandt vom Bauernverband Sachsen-Anhalt, der in diesem Jahr zwei Kälber durch einen Wolfsangriff verloren hat.
Die Tierschutzorganisation WWF etwa hat generell Verständnis für die Sorgen der Tierhalter, weist aber auch auf die Bedeutung des Wolfs hin, der seinen Teil zu einem funktionierendes Ökosystem beiträgt: «Wölfe bemerken kranke Wildtiere früher und erbeuten sie weit effizienter als Jäger», so der WWF. So helfen sie beispielsweise, die Ausbreitung von Krankheiten zu reduzieren.
Tierschutz steht gegen Tierschutz: Besonders für Schäfer ist das ein Dilemma. Sie sind ohnehin eine gebeutelte Berufsgruppe. Eine Schäferei brauche 30 Prozent mehr Fläche als andere landwirtschaftliche Betriebe, mache aber deutlich weniger Gewinn, erklärt Andreas Schenk vom Bundesverband der Berufsschäfer. Die Zahl der Schafhaltungen in Deutschland sinkt demnach kontinuierlich, die Zahl derer, die davon leben können, erst recht.
In Sachsen-Anhalt gibt es nach Angaben des Bauernverbands rund 300 Schäfereibetriebe und knapp 46.000 Mutterschafe. Die
Schäferei dient Schenk zufolge nicht nur der Nahrung, sondern auch dem Naturschutz, beispielsweise der Deichpflege oder der Pflege von Biotopen. Umso wichtiger ist es nach Ansicht von Peter Deumelandt vom Bauernverband, dass man die Tierhalter mit dem Wolfsproblem nicht alleine lässt. «Wenn man ein Tier verliert, wird das immer auf den wirtschaftlichen Schaden reduziert. Aber man hängt ja auch emotional an seinen Tieren», sagt er.
Sachsen-Anhalt setzt auf Schadensbegrenzung und Prävention: Seit vergangenem Jahr fördert das Land den Kauf von mobilen Elektrozäunen und Zubehör zum Schutz vor Wölfen zu 100 Prozent, wie das Umweltministerium mitteilt. 2019 wurden für insgesamt 26 sogenannte Rissentschädigungen mehr als 19.000 Euro an Schadensausgleich gezahlt, für Präventionsmaßnahmen wurden den 163 Antragsstellern rund 975.900 Euro bewilligt.
«Selbst hätte ich mir das nie kaufen können», sagt Schäfer Keller in Bezug auf sein Zaunsystem. Ein Elektrozaun sei das wirksamste Mittel gegen einen Angriff: «Ich halte den Wolf nur raus aus meiner Herde mit Strom. Alle anderen Maßnahmen schaut sich der Wolf eine Woche lang an und dann überwindet er das auch.»
Auch ein Herdenschutzhund kann sinnvoll sein, da er die Jagdstrategie des Wolfs durcheinanderbringt. In Thüringen ist am Mittwoch ein dreijähriges Pilotprojekt zu Herdenschutzhunden gestartet. Tierhalter können sich zunächst zur Anschaffung von Hunden beraten lassen. Anschließend kommen die Hunde zur «Integrationsphase» in die Herden, wie das Thüringer Umweltministerium mitteilte.
Die Hunde müssen jedoch sorgfältig ausgebildet und regelmäßig kontrolliert werden. Das ist auch eine Kostenfrage: «Für einzelne Kleinstherden rechnet sich der Einsatz der Hunde meistens nicht», teilte der WWF mit. In Sachsen-Anhalt möchte das Umweltministerium an dieser Stelle bald ansetzen und neben den Kosten für die Pflege des Zauns auch den Unterhalt für die Herdenhunde fördern, also Futter- oder Tierarztkosten übernehmen. «Ich denke, dann sind wir richtig gut aufgestellt», sagt Umweltministerin Claudia Dalbert (Grüne).
Peter Deumelandt vom Bauernverband hält die Maßnahme bloß für ein «Feigenblatt». Es werde für die Menschen immer schwerer, all die Schutzmaßnahmen im Alltag zu händeln: «Größere Zäune, mehr Hunde - die Spirale hört nicht auf. Wie soll das auf Dauer funktionieren?» Auch Schäfer Keller macht sich keine Illusionen: Selbst mit Herdenschutzhund und Elektrozäunen bleibe immer ein Restrisiko.